Acts 20:8-12

Der Sturz des Eutychus

Danach beschreibt Lukas ein Ereignis, das im Dienst des Paulus eine wichtige Bedeutung hat. Wir sehen in dem, was Eutychus widerfährt, die Gefahr, die jede Gemeinde und jeden einzelnen Gläubigen bedroht. Lukas beschreibt zunächst die Räumlichkeit, in der die Gläubigen zusammen waren. Es ist ein Obersaal, irgendwo in einer gewöhnlichen Wohnung im dritten Stock. Die Schrift erwähnt an keiner Stelle ein besonders geweihtes Gebäude, in dem Christen zusammenkamen.

Lukas sagt nicht nur, dass es ein Obersaal ist, sondern auch, dass dort viele Lampen sind. Möglicherweise erwähnt Lukas das, damit wir uns vorstellen können, dass es dort gehörig warm war, denn Öllampen geben nicht nur Licht, sondern auch Wärme. Vielleicht hat das auch dazu geführt, dass Eutychus eingeschlafen ist. Das wäre möglich. Doch wie konnten es die anderen im Saal aushalten? Eutychus saß immerhin an der Stelle, wo es die meiste frische Luft gab. Durch seine Position verhinderte er gar, dass die notwendige frische Luft in den zweifellos vollen Obersaal hineinströmen konnte. Darum scheint es so, dass die Erwähnung der „vielen Lampen“ mehr bedeutet als nur die Angabe einer natürlichen Ursache für den Sturz des Eutychus.

Zweifellos enthält diese Geschichte eine Belehrung für uns. Wir sehen, dass Eutychus einen gefährlichen Platz eingenommen hat. Er sitzt im Fenster, also an der Schnittstelle zwischen zwei Welten. Auf der einen Seite ist dort der Raum mit viel Licht, auf der anderen Seite hört er unten die Betriebsamkeit der Welt. Das Wort „überwältigt“ weist darauf hin, dass er nicht plötzlich vom Schlaf übermannt wurde, sondern dass er langsam aber sicher einschlief. Es wurde sein Todesschlaf, denn er fällt hinunter und wird tot aufgehoben. Er muss aus seinem Todesschlaf aufgeweckt werden. Das tut Paulus. Das ist eine Illustration für das, was Paulus den Gläubigen in Ephesus zuruft. Er sagt ihnen, dass sie aufwachen sollen, weil sie schlafen. Sie müssen aufwachen und aufstehen aus den Toten (Eph 5:14). Es gibt bei Schläfern genauso wenig Aktivität wie bei Toten.

Die Diskussion, ob Eutychus wirklich tot war oder ob seine Seele noch in ihm war, ist nicht so wichtig. Es geht darum, dass kein Leben mehr sichtbar ist. Auch wir können uns in einer solchen Situation befinden, wenn das Licht, das wir empfangen durften, nicht mit Christus in Verbindung gebracht wird. Leben wird nur sichtbar, wenn Christus über uns leuchtet. Vielleicht sollten wir uns selbst einmal die Frage stellen: Was hält mich eigentlich wach? Christen, die einnicken, wenn der Vortrag mal eine Stunde dauert, sind vielleicht durchaus in der Lage, eine Nacht lang zu angeln, Sportereignissen zuzusehen, Konzerte zu besuchen oder lange Fernsehsendungen anzuschauen.

Eutychus war weder drinnen noch draußen. Vielleicht war er gekommen, um den großen Apostel einmal zu sehen und sprechen zu hören. So können auch heute junge Leute großen Namen nachlaufen, jedoch die Zusammenkünfte im Allgemeinen nicht besuchen. Vielleicht war es nicht ganz nach Wunsch und er verlor nach und nach sein Interesse an dem, was Paulus sagte. Vielleicht sah er seine Freunde oder dachte an sie und an die schönen Dinge, die er mit ihnen hätte tun können, während er hier in einem muffigen Raum mit muffigen Menschen einer muffigen Predigt zuhörte.

Eutychus musste lernen, und jeder von uns muss das lernen, dass nicht der Prediger das Wort wertvoll macht, sondern der Zustand der Seele des Zuhörers. Oft ist ein Fall, eine sündige Tat, die Folge der Erschlaffung in geistlichen Dingen. Bevor Eutychus aus dem Fenster fiel, fiel er zunächst in Schlaf. So können auch wir einschlafen, wenn wir Paulus zuhören, d. h. seine Briefe lesen. Der Schlaf, in den die Kirche gefallen ist und der tote oder nahezu tote Zustand als Folge davon, entsteht auch, weil man nicht mehr auf das achtet, was Paulus gesagt hat.

Die Wiederherstellung des Eutychus

Es ist eindrucksvoll und lehrreich, wie Paulus mit Eutychus umgeht. Zunächst geht Paulus zu ihm hinab. Er begibt sich auf das Niveau des gefallenen jungen Mannes und offenbart damit die echte Haltung eines Hirten. Zweitens wirft er sich auf ihn. Er richtet also nicht vom dritten Stock aus, von oben herab, allerlei Vorwürfe an den jungen Mann, dass er beispielsweise nicht so dumm hätte sein sollen, sich an den gefährlichen Ort ins Fenster zu setzen. Er stellt ihm nicht seine eigene Schuld vor. All das hätte keinen Sinn gemacht, denn Eutychus hörte sowieso nichts. Es hat keinen Sinn, jemandem, der abgeirrt ist, so zu begegnen. Es ist wichtig, sich auf sein Niveau hinab zu begeben und ihn dann anzusprechen. Indem er auf den jungen Mann fällt, macht er sich gleichsam mit ihm eins (vgl. 1Kön 17:21; 22; 2Kön 4:34). Drittens umarmt Paulus den jungen Mann. Anstelle von Abweisung lässt er ihn seine Liebe und Annahme empfinden.

Auf diese Weise können wir die drei Stufen, die Paulus hinabsteigt, einteilen in drei Schritte, die nötig sind, um jemanden wieder zurückzubringen in die Gemeinschaft mit Christus und mit den Gläubigen:

1. Auf sein Niveau hinabsteigen.

2. Sich auf ihn werfen, sich also mit seinem Handeln einsmachen und ihm aus dieser Haltung heraus vorstellen, was er getan hat.

3. Ihn umarmen, d. h. ihn in Liebe für Christus gewinnen, gegen den er gesündigt hat.

Den anderen sagt Paulus, dass sie sich nicht beunruhigen sollen. Alles Aufregen über jemanden, der abgewichen ist, hilft nichts. Wichtig ist es, Hirtendienst mit gläubigem Gebet zu unterstützen, anstatt sich aufzuregen über den Fall, von dem jemand ereilt worden ist. Durch den Geist bekommt Paulus die Kraft, die Funktionen des Lebens wiederherzustellen. Die Verbindung zwischen Seele und Leib wird wiederhergestellt.

Nach der Wiederherstellung des Eutychus geht Paulus wieder nach oben. Das Ereignis hat ihn weder geschockt noch verärgert. Wohl ist er hungrig geworden und isst darum Brot. Danach redet er noch lange mit ihnen, da er weiß, dass er sie auf der Erde nicht wiedersehen wird. Gegen Morgen wird es Zeit, nicht, um ins Bett zu gehen, sondern um abzureisen. Paulus ist ein Mann mit beispielloser Energie.

Er verlässt die Gläubigen in Troas mit einem großen Vorrat an Belehrung und mit großem Trost durch die Wiederherstellung des Eutychus. Die Worte und das, was mit Eutychus geschehen ist, werden noch lange Zeit als kräftiger Impuls für das Glaubensleben der Gemeinde in Troas gedient haben.

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