Acts 27:3

Einleitung

Dies ist ein spannendes Kapitel. Wir finden hier den Bericht der Seereise des gefangenen Paulus von Cäsarea nach Italien: Rom ist das Ziel. Gott will ihn dort haben, damit Paulus vor dem Kaiser Zeugnis gebe, wer Gott ist. Auf lebendige Weise berichtet Lukas, der Augenzeuge ist von allen Ereignissen, was Paulus und allen, die mit ihm reisten, widerfahren ist.

Paulus ist häufig übers Meer gefahren, wie Lukas das in der Apostelgeschichte schon mitgeteilt hat (Apg 13:4; 13; Apg 16:11; Apg 18:18; Apg 20:15; Apg 21:1-3; 6). Über diese Reisen hat er uns keinen ausführlichen Bericht hinterlassen. Warum Lukas kurz vor dem Ende dieses Buches gerade diese Seereise per Schiff, bei der Paulus als Gefangener nach Rom reiste, bis in Einzelheiten beschreibt, muss eine tiefere Bedeutung haben. Wir können diese tiefere Bedeutung im Verlauf des Kapitels auch erkennen.

Bevor ich weitergehe, kurz eine Erklärung über die tiefere Bedeutung, die ich glaube, in dieser Geschichte zu sehen. Es wird Leser geben, die diese tiefere Bedeutung mit Fragezeichen versehen oder sie zum Teil oder sogar völlig ablehnen. Ich kann das verstehen. Der Leser braucht nicht in allen Dingen mit mir einer Meinung zu sein und kann dennoch Belehrungen aus dieser Seereise ziehen. Es ist auch gut, zu bedenken, dass die Anwendung einer Geschichte niemals bis in die Einzelheiten vorgenommen werden kann. Es geht mir bei dieser Seereise um die großen Linien. Dabei habe ich dankbar von dem Gebrauch gemacht, was andere darüber gesagt und geschrieben haben. Insoweit ich deren Anwendung nachvollziehen und sie auch selbst vertreten kann, habe ich sie in diesen Kommentar einfließen lassen. Der Leser möge sich sein eigenes Urteil bilden.

Zu Beginn möchte ich jedenfalls Folgendes festhalten. Wir haben im Buch der Apostelgeschichte die Beschreibung der ersten 30 Jahre der Kirchengeschichte vor uns. Mit dem letzten Vers von Kapitel 28 scheint das Buch abrupt zu enden. Doch es ist sozusagen ein offenes Ende. Die Geschichte der Gemeinde hat erst angefangen und geht weiter. Wie diese Geschichte weitergeht, wird uns in der Beschreibung der Seereise vorgestellt.

Dass bestimmte historische Ereignisse auch eine symbolische Bedeutung haben, ist nichts Neues. Schon zu früher Zeit haben zahllose Schreiber das Leben mit einer Reise verglichen. Gerade Seereisen mit Stürmen liefern ein erkennbares Bild des menschlichen Lebens, in dem auch sehr schwierige Zeiten vorkommen können. Das gilt auch für den Gläubigen, für den Diener des Herrn und für die christliche Kirche, die Gemeinde.

Wir werden also sehen, dass diese Reise eine übertragbare Bedeutung hat, so wie wir das auch bei anderen Geschichten auf dem See finden, die in der Bibel beschrieben werden. So gibt es eine Geschichte, in der der Herr im Schiff schläft und ein Sturm heraufzieht (Mt 8:23-26). Es gibt auch eine Geschichte, wo Er während eines Sturms zu seinen Jüngern kommt, die sich in einem Boot mitten im Sturm befinden (Mt 14:22-33). Beide Fälle liefern ein Bild der heutigen Zeit, in der wir leben. Einerseits ist der Herr dabei im Himmel, und andererseits ist Er auch bei uns, auch wenn es so scheint, als wäre Er manchmal abwesend.

Wir sehen auch, dass das Glaubensleben des Einzelnen mit einer Schiffsreise verglichen wird, bei der man Schiffbruch erleiden kann (1Tim 1:18-20). Wir sehen also, dass die Schrift Ereignisse und Ausdrücke aus der Schifffahrt beschreibt und gebraucht, die ein Bild für die Gläubigen sind (siehe auch noch den Gebrauch des Wortes „Anker“ in Heb 6:19).

Wenn wir das Leben eines Gläubigen und Dieners sehen, der auf dem Weg des Herrn ist, dann sehen wir in der Reise des Paulus einen Weg, der nicht glatt verläuft. Paulus ist auf dem Weg, den Gott ihn führt und erlebt unterwegs eine gehörige Katastrophe. Das macht deutlich: Auch wenn wir uns auf dem Weg des Herrn befinden, bedeutet das nicht, dass wir vor Schwierigkeiten bewahrt bleiben. Wer einen Dienst für den Herrn tun will, kann dabei ein Unglück erleiden und sogar umkommen.

Wir lesen in dieser Geschichte nichts von Wundern. Wir wissen, dass Petrus durch einen Engel aus dem Gefängnis befreit wurde. Hier sehen wir jedoch, dass Paulus gefangen bleibt. In den Evangelien straft der Herr den Sturm, doch hier nimmt alles seinen natürlichen Verlauf. Wir sehen hier nicht, dass Gott eingreift, sondern dass die Menschen verzweifeln und das Schiff gänzlich verlorengeht. Doch gerade in diesen Umständen offenbart sich der Glaube und es ist ein Anlass, den lebendigen Gott zu bezeugen. Das tut Paulus. Auf der Reise nach Rom ist Paulus der Meister der Situation. Während des Sturms ist er ebenso ruhig, wie er es kurz zuvor vor den Regierenden und Königen war.

Lukas zeigt hier, wie der Glaube eines einzelnen Mannes eine große Veränderung im Leben der Vielen zuwege bringen kann, die mit ihm auf der Reise sind. Paulus ist derjenige, der Ratschläge erteilt, und zwar entsprechend der Mitteilung, die er von Gott empfangen hat. Er ermutigt und handelt in jeder Hinsicht im Namen Gottes mitten in der Szene, die ihn umgibt, eine Szene, die von falschem Vertrauen und Angst geprägt ist.

Wir finden in dieser Geschichte auch, wie wir die Naturkräfte einordnen müssen. Gott hat gewaltige Kräfte in die Natur gelegt. Hier sind sie entfesselt. Sie haben eine verwüstende Kraft. Naturgesetze sind nicht unabhängig von Gott. Sie kommen aus dem Handeln des Sohnes hervor (Heb 1:3). Sie sind in seiner Hand. Er verfügt darüber nach seinem Gutdünken. Er selbst kann über den See gehen und auch Petrus dazu befähigen (Mt 14:25; 29). Das ist für einen Menschen normalerweise unmöglich.

In Verbindung mit Naturkräften spielen auch Engel eine Rolle. Von ihnen wird gesagt, dass der Sohn sie zu Winden und zu Feuerflammen macht (Heb 1:7). Ist Hiob nicht durch Feuer und Wind geschlagen worden, als der Herr es zuließ, dass der Satan Gebrauch davon machte (Hiob 1:12; 16; 18; 19)? Der Herr Jesus steht auch darüber. Er bedroht oder schilt den Wind und den See (Mt 8:26). Das Wort heißt auch „ernstlich gebieten“ und wird in Bezug auf Dämonen gebraucht (Mk 1:25; Mk 9:25). Als der Herr den Wind und den See bedroht, bedroht er in Wirklichkeit die Engelmächte, die hinter dem Wind und dem See verborgen sind. Daher können wir in den Stürmen auch das Wirken böser Mächte sehen.

Das gilt auch für den Sturm, der das Schiff trifft, auf dem Paulus sich befindet. Satan weiß, dass Paulus auf dem Weg nach Rom ist, um dort Gott vor dem Kaiser zu bezeugen. Satan beherrschte diesen Kaiser, so dass das Reich, über das der Kaiser herrschte, in Wirklichkeit von Satan regiert wurde (vgl. Lk 4:5 mit Lk 2:1). Paulus ist auf dem Weg, um diesem satanischen Menschen das Evangelium zu verkündigen. Das verstärkt das Wüten Satans, diese Reise zu verhindern. Doch Paulus kommt dort an und erfüllt diese Verkündigung während zwei Gefangenschaften in Rom (Phil 1:12; 13; 2Tim 4:17).

Wie gesagt gibt die Reise des Paulus nach Rom auch einen Eindruck wieder von der Entwicklung der Gemeinde nach den ersten dreißig Jahren. Die Reise geht von Jerusalem nach Rom und skizziert symbolisch den Zustand der Christenheit, die in Jerusalem entstand und völlig zur römischen Kirche abgleiten würde, wo die bekennende Kirche ihr Ende finden wird (Off 17.18). Auf diesem Weg ist Paulus als Repräsentant der Wahrheit der Gemeinde ein Gefangener. Bei der Betrachtung dieses Kapitels werden wir dazu verschiedenen Aspekten begegnen.

Ein ruhiger Anfang und Gegenwind

Paulus hat sich auf den Kaiser berufen und soll zum Kaiser gehen. Zu gelegener Zeit wird beschlossen, dass die Reise nach Italien beginnt. Am Gebrauch des Wortes „wir“ erkennen wir, dass Lukas auch mit an Bord geht. Er geht nicht als Gefangener mit, sondern um Paulus auf dem Schiff zu begleiten. Paulus ist ein Gefangener; er, der der Träger des christlichen Bekenntnisses ist. Er ist kein freier Mann mehr. Als Anwendung für unser persönliches Leben können wir festhalten: Wenn das Wort Gottes nicht mehr in seiner vollen Wirksamkeit auf uns einwirken kann, ist das ein Vorbote des Schiffbruchs.

Der Mann, der dafür sorgen soll, dass Paulus zusammen mit einigen anderen Gefangenen sicher in Rom ankommt, ist ein Hauptmann der „kaiserlichen Schar namens Julius. Das betont, dass Paulus ein Gefangener des Kaisers in Rom ist. Julius wählt ein Schiff aus, dessen Route nach Rom führt. Dann macht sich das Schiff auf eine lange Reise.

Außer Lukas ist auch Aristarchus an Bord. Aristarchus hat sich freiwillig entschieden, Paulus und Lukas auf ihrer Reise zu begleiten. Dadurch macht er sich eins mit der Schmach des Evangeliums. Er hat mit Paulus für das Evangelium gelitten (Apg 19:29) und wird in Rom freiwillig die Gefangenschaft mit Paulus teilen (Kol 4:10).

Der Anfang der Reise sieht durchaus nicht bedrohlich aus. Julius behandelt Paulus freundlich. In der Anfangszeit hat die Gemeinde von Seiten der weltlichen Obrigkeit nicht viel zu leiden gehabt. Sie hat die Gemeinde sogar in Schutz genommen, so wie wir das in der Apostelgeschichte verschiedene Male bei Paulus gesehen haben.

In Sidon darf Paulus die Gläubigen besuchen, die Lukas „Freunde“ nennt. An vielen Orten hatte sich solch eine Gemeinschaft von Menschen durch die Gnade des Herrn gebildet. Wo die Liebe der Brüderschaft vorhanden ist, kann von Freunden gesprochen werden (3Joh 15). Paulus geht dorthin, um sich von ihnen versorgen zu lassen; er genießt die Freude freundlicher Aufmerksamkeit. Sie werden ihm sicher das Nötige für seinen Körper gegeben haben. Diese körperliche Erquickung wird eine noch größere geistliche Erquickung für ihn gewesen sein.

Nach dieser körperlichen und auch geistlichen Erquickung wird die Reise fortgesetzt. Dabei erfahren sie Gegenwind, was sie zwingt, nahe an Zypern vorbeizufahren. Gegenwind oder Sturm bedeuten noch nicht, dass du nicht auf dem Weg des Herrn bist. Der Herr Jesus war selbst ebenfalls in einem Sturm. Wichtig ist nur, den vorsichtigsten Kurs zu fahren, nahe an einem möglichen Hafenplatz.

Danach wird das Meer vor Zilizien und Pamphylien durchsegelt, wo Paulus auch auf seiner ersten Missionsreise während seiner Rückreise ins syrische Antiochien gefahren ist (Apg 14:24-26). Alle diese Namen werden wohl Erinnerungen bei dem Apostel wachgerufen haben und ihn zu (zusätzlichem) Gebet für die Gläubigen in diesen Gegenden veranlasst haben. Dann kommen sie nach Myra in die Provinz Lyzien an die Südküste Kleinasiens.

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