John 18:20

Der Herr Jesus vor Kajaphas

Während Petrus Ihn verleugnet hat und bei seinen Feinden steht, um sich zu wärmen, wird der Herr Jesus von Kajaphas zuerst über seine Jünger und danach über seine Lehre befragt. Was jemand lehrt, kommt in seinen Schülern zum Ausdruck. Was hätte Er auf die Frage nach seinen Jüngern antworten sollen, von denen einer Ihn verraten hatte, ein anderer gerade dabei war, Ihn zu verleugnen, während alle anderen von Ihm geflohen sind?

Auf die Frage nach seinen Jüngern gibt der Herr keine Antwort. Der Grund dafür ist nicht etwa, dass Er sich seiner Jünger schämte. Im vorigen Kapitel hatte Er sie doch im Gebet vor seinen Vater gebracht als solche, die an Ihn geglaubt und das Wort des Vaters gehalten haben. Er beantwortet diese Frage nicht, weil Er, wie wir anlässlich seiner Gefangennahme gesehen haben, zu der Volksmenge gesagt hat: „Lasst diese gehen!“

Er antwortet wohl auf die Frage nach seiner Lehre. Diese Antwort ist erhaben und klar an das Gewissen gerichtet, um den Hohenpriester der Sünde zu überführen, die er zu begehen im Begriff steht. Er stellt ihn durch seine Antwort voll ins Licht. Seine Antwort dient auch nicht der Verteidigung. Er hat nicht den geringsten Grund, sich zu verteidigen. Alles, was Er gesagt und getan hat, ist ja völlig offenbar und durchsichtig. Er ist ein Mensch, der wirklich nichts zu verbergen hat.

Seine Antwort ist eine Gegenfrage, mit der Er beweist, wie untauglich die Frage des Hohenpriesters ist. Auch weist Er damit die Rechtmäßigkeit und die Gültigkeit dieses Verhörs zurück. Er tut das nicht formell, sondern auf friedvolle und erhabene Weise. Wenn der Hohepriester etwas über seine Jünger und seine Lehre wissen wolle, möge er doch die Menschen befragen, die Ihn haben predigen hören. Sie wissen doch, was Er gesagt hat!

Die sanfte und korrekte Antwort bringt einen übereifrigen Diener des Hohenpriesters dazu, Ihm ins Gesicht zu schlagen. Und es ist niemand da, der diesen Diener daran hindert oder ihn zur Rede stellt. Gottlosigkeit und Herzlosigkeit sind die diesem Prozess zugrundeliegenden Motive. Was für ein Prozess! Aber auch der Herr wehrt dem Diener nicht. Was für ein Herr!

Der Diener meint, Ihn wegen der Antwort, die Er dem Hohenpriester gegeben hat, schlagen zu müssen. Auch er ist Teil dieses gottlosen Systems, in dem keinerlei Empfinden mehr für das vorhanden ist, was vor Gott rechtens ist. Er ist der Ansicht, dass der Gefangene der allerhöchsten Autorität auf religiösem Gebiet unverschämt geantwortet hat und dass ein Schlag ins Gesicht Ihn zur Ordnung – zu ihrer Ordnung – rufen solle.

Der Herr braucht sich nicht zu entschuldigen. Er weiß, dass Er nichts Falsches getan hat oder sich irgendwie hätte gehen lassen. Als der große Diener Paulus später in eine ähnliche Situation kommt, muss er sich wohl entschuldigen (Apg 23:5). Der Sohn ist in allen Umständen vollkommen. Er wird zu Unrecht geschlagen. Und doch droht er nicht, sondern rügt mit eindrucksvoller Würde und völliger Ruhe und erträgt die Beleidigung. Er erkennt den Hohenpriester in keinerlei Hinsicht an, doch zugleich widersetzt Er sich ihm keineswegs. Er überlässt ihn seiner eigenen Niedertracht, Rechtlosigkeit und Untauglichkeit.

Der Sohn strahlt hier eine einzigartiger Würde und Erhabenheit aus. Was für ein Gegensatz zu dem versagenden Petrus! Er bittet sie, zu bezeugen, was Er Verkehrtes gesagt habe. Können sie aus seinem ganzen Leben auch nur ein einziges Beispiel für eine unrichtige Aussage von Ihm anführen? Im Gegenteil, auch die Diener, die Ihn gefangen nehmen wollten, haben bezeugt, dass noch nie ein Mensch so gesprochen habe wie dieser (Joh 7:46).

Es gibt nicht nur keinen Zeugen für eine von Ihm ausgesprochene Falschaussage, sondern es sind genügend Zeugen da, die das von Ihm ausgesprochene Gute bestätigen. Und wenn das so ist, dann ist auch die Frage berechtigt, warum der Diener Ihn schlägt – eine eindringliche Frage, auf die aber keine Antwort kommt.

Weil der Herr zu Annas gebracht worden ist (Joh 18:13), das Verhör aber von Kajaphas geführt wird, berichtet Johannes, dass der Herr inzwischen von Annas an Kajaphas überstellt worden ist. Er erwähnt das aber erst am Ende des Verhörs durch Kajaphas, um den Lesern deutlich zu machen, dass Annas der eigentliche Anführer der ganzen Aktion ist.

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