John 20:16-18

Der Herr und Maria Magdalene

Maria kann die Dinge nicht so auffassen wie die beiden Jünger. Welchen Sinn könnte für sie jetzt ihr „Zuhause“ haben? Was bedeutet ihr jetzt noch die Welt? Nichts anderes als ein leeres Grab, in dem ihr Herr gelegen hat. Andere mögen nach Hause gehen – sie bleibt beim Grab. Ihre Betrübnis bleibt aber nicht ohne Ergebnis und dauert auch nicht lange.

Johannes sah nur die Tücher. Petrus sah mehr als Johannes. Er ging in das Grab hinein, sah die Tücher und das Schweißtuch sowie auch die Ordnung dieser Dinge. Maria bekommt noch mehr zu sehen und auch zu hören. Zunächst sieht und hört sie zwei Engel. Danach hört und sieht sie den Herrn und erhält von Ihm eine gewaltige Botschaft.

Als Maria sich vornüber in das Grab beugt, sieht sie zwei Engel in weißen Kleidern, was himmlische Reinheit andeutet. Die Reinheit des Himmels stimmt völlig überein mit der Reinheit dieses Grabes. Die Engel sitzen am Kopf- und Fußende und markieren so den Ort, wo der Leib des Herrn gelegen hat. Zwischen ihnen ist nun ein leerer Platz.

Diese Szene erinnert uns an die beiden Cherubim auf dem Sühndeckel (2Mo 25:18). Die Engel auf dem Sühndeckel schauen auf das Gesetz und auf das Blut, das auf den Sühndeckel gesprengt ist. Von diesem Ort geht Bedrohung aus, aber auch Sühnung für jeden, der glaubt. Die beiden Engel im Grab sehen die Folgen des gesprengten Blutes. Für sie ist der Platz zwischen ihnen der Ort, wohin Gottes Liebe herniedergekommen ist, um uns vom Tod zu befreien. Dafür hat Er den Fluch des Gesetzes getragen, das in der Bundeslade aufbewahrt wurde. Es ist ein Ort, der keine Angst vor dem Tod einflößt, der mit dem Gesetz verbunden ist, sondern ein Ort, der zum Staunen und zur Anbetung bringt, weil der Tod besiegt ist.

Die Engel sprechen Maria an: „Frau, warum weinst du?“ Sie scheint keine Furcht vor den Engeln zu haben, obwohl diese sonst überall, wo sie erscheinen, Furcht bewirken. Ihr Herz ist so sehr vom Herrn erfüllt, dass dadurch für Angst kein Raum ist (vgl. 1Joh 4:18).

Ihre Antwort zeigt, dass sie an nichts anderes als an ihren Herrn denken kann. Das setzt sie auch bei anderen voraus. Sie nennt keinen Namen, sondern spricht nur von „meinem Herrn“. Das zeigt ihre persönliche Beziehung. Zu den Jüngern hat sie gesagt: „Sie haben den Herrn … weggenommen“ (Joh 20:2), zu den Engeln aber sagt sie meinen Herrn. Und doch sucht sie immer noch einen toten Herrn.

Von einem solchen Herzen, das so eng mit Ihm verbunden ist, ist der Herr Jesus aber nie weit entfernt. Nach ihrer Antwort an die Engel dreht sie sich um und will weiter suchen. Dann sieht sie den Herrn Jesus stehen, ohne Ihn jedoch zu erkennen. Sie erwartet immer noch, dass Er irgendwo liegen muss; deshalb rechnet sie nicht damit, dass jemand, der steht, der Herr sein könnte.

Er spricht sie nun mit derselben Frage an, die auch die Engel gestellt haben. Auch Er fragt sie, warum sie weine, aber Er schließt noch eine weitere Frage an: „Wen suchst du?“ Wegen der Tränen in ihren Augen kann sie nicht klar sehen und meint, der Gärtner stehe vor ihr. Der wird doch sicher wissen, was mit dem Leib geschehen ist; vielleicht hat er ihn ja selbst woanders hingetragen?

Auch jetzt erwähnt sie keinen Namen, sondern spricht von „Ihm“, als ob jeder wissen müsse, wen sie meint. Das ist die Sprache der Liebe, die nicht ohne Antwort bleibt. Seine Antwort besteht darin, ihren Namen auszusprechen. Der gute Hirte, der aus den Toten auferstanden ist, ruft sein Schaf mit Namen (Joh 10:3). Dies eine Wort, ihr Name, lässt alle Schwierigkeiten und Zweifel verschwinden.

Das Aussprechen ihres Namens ist nicht der Ausdruck ihrer Liebe zu Ihm, sondern seiner Liebe zu ihr. Dies eine Wort bewirkt, dass sie, die unter Tränen gesät hat, nun mit Jubel ernten darf. Nun füllt Freude ihr Herz – eine Freude, die überströmt und das Herz anderer jubeln lässt, das Herz aller Glaubenden. Sie ist für Ihn dieselbe wie immer. Auch Er liebt sie nun mit derselben Liebe wie damals, als Er sieben Dämonen von ihr austrieb.

Die Botschaft an die Jünger

Nachdem der Herr sich ihr zu erkennen gegeben hat und sie Ihn voller Freude erkannt hat, kommt Er einer Berührung durch Maria zuvor. Seine Worte „Rühre mich nicht an“ sind nötig, um deutlich zu machen, dass ihre Beziehung jetzt nicht mehr so ist wie vor seinem Tod und seiner Auferstehung. Er wird hier nicht, wie im Matthäusevangelium, als der Messias vorgestellt. Dort ist es durchaus in Einklang mit dem Charakter des Evangeliums, dass die Frauen Ihn anfassen dürfen (Mt 28:9). Hier steht seine Auferstehung in Verbindung mit seiner Rückkehr zum Vater, und hier wäre es unpassend, dass Maria Ihn anrührt.

Wenn Er beim Vater ist, wird sie Ihn wieder „anrühren“ können, und zwar durch den Heiligen Geist, den Er vom Vater aus senden wird. Am Pfingsttag, wenn Maria zusammen mit den anderen Jüngern mit dem Heiligen Geist erfüllt werden wird, wird sie in ihrem Geist eine viel innigere Verbindung mit dem auferstandenen Herrn erfahren, als sie je in den Tagen seines Fleisches erlebt hat (vgl. 2Kor 5:16).

Sie darf Ihn zwar nicht anrühren, aber Er hat jetzt eine gewaltige Botschaft für die, die Er „meine Brüder“ nennt, und die darf Maria überbringen. Mit dieser Bezeichnung „meine Brüder“ bringt Er eine Beziehung zum Ausdruck, die viel weiter geht als „die Seinen“ (Joh 13:1) oder „meine Freunde“ (Joh 15:14), wie Er seine Jünger auch genannt hat.

Indem Er sie „meine Brüder“ nennt, erhebt Er sie in die gleiche Beziehung zu Gott, seinem Vater, die Er selbst genießt. Diese neue Beziehung konnte nur dadurch entstehen, dass Er durch den Tod und die Auferstehung gegangen ist. Weil sein Vater nun auch unser Vater ist, schämt Er sich nicht, uns seine Brüder zu nennen (Heb 2:11; 12). Das bedeutet, dass die Gläubigen nun eine Familie sind.

Wegen ihrer tiefen Zuneigung zum Herrn ist Maria die geeignete Person, die herrliche Botschaft von dieser völlig neuen Verbindung den Jüngern zu überbringen. Sie betrifft die höchsten Wahrheiten des Christentums, die alle damit zusammenhängen, dass wir den Vater und den Gott des Sohnes als unseren Vater und unseren Gott kennen.

Wenn wir sagen „unser“ Vater, bezieht sich dies allerdings ausschließlich auf die Gläubigen, nicht auf die Gläubigen zusammen mit dem Sohn. Der Herr spricht nirgendwo über „unseren“ Vater oder „unseren“ Gott in diesem Sinn. Als der ewige Sohn hat Er eine einzigartige Beziehung zu seinem Vater und Gott, die wir nicht mit Ihm teilen können.

Maria tut nun, was Er ihr aufgetragen hat. Als Erstes berichtet sie den Jüngern, dass sie den Herrn gesehen hat. Ihre Begegnung mit dem Auferstandenen ist der Ausgangspunkt. Danach erzählt sie den Jüngern, was der Herr zu ihr gesagt hat. Diese Reihenfolge ist auch für uns von Bedeutung. Auch wir können erst etwas an andere weitergeben, wenn wir darüber eine persönliche Begegnung mit dem Herrn Jesus gehabt haben, das heißt wenn Er durch sein Wort vor unserer Seele gestanden hat und wir Ihn gesehen haben.

Copyright information for GerKingComments