John 4:19-30

Das Gewissen im Licht

Bevor der Herr ihr jedoch das Wasser geben kann, das in ihr eine Quelle Wassers werden wird, muss zunächst ihr Gewissen in das Licht Gottes kommen. Sie muss zuerst von ihren Sünden überzeugt werden. Im Blick darauf sagt Er, dass sie hingehen und ihren Mann rufen solle. Er sagt aber nicht nur: „Geh hin“, sondern auch: „… und komm hierher.“ Seine Güte wird durch ihr sündiges Leben nicht eingeschränkt. Seine Güte erweist sich gerade dadurch.

Durch seine Frage erkennt die Frau sich selbst. Wenn sie sagt: „Ich habe keinen Mann“, ist das keine Ausrede, sondern damit anerkennt sie, dass sie durch ihr unverheiratetes Zusammenwohnen in Sünde lebt. Der Herr bestätigt, dass ihre Antwort richtig ist. In seiner folgenden Reaktion spricht Er nur wenige Worte, aber diese Worte bringen sie in das Licht Gottes. Sie wird von diesem Licht jedoch nicht verzehrt, sondern in die Gnade eingeführt.

Er zeigt ihr, dass ihre Geschichte für Ihn wie ein aufgeschlagenes Buch ist. Die Wahrheit verschont sie nicht, sondern legt vielmehr ihre Sünde vor Gott und ihrem eigenen Gewissen offen. Das erkennt sie als das Licht Gottes. Die Frau erkennt, dass die Worte des Herrn nicht menschlicher Weisheit entspringen, sondern der Kraft Gottes. So spricht ein Prophet, und so spricht Christus hier. Ein Prophet spricht die Worte Gottes, durch die der Hörer in die Gegenwart Gottes kommt und sich selbst erkennt (vgl. 1Kor 14:24; 25).

Für die Frau war der Herr zunächst einfach nur „ein Jude“ (Joh 4:9), nun ist er schon „ein Prophet“, und sogleich wird sie Ihn als den „Christus“ bekennen (Joh 4:29). So sehen wir, wie ihr Glaube durch das gnädige Wirken Christi in ihrer Seele schnelle Fortschritte macht. Es ist die Gnade, die ihre Sünde nicht vor ihr verbirgt, sondern sie empfinden lässt, dass Gott alles weiß. Und doch ‒ Er, der alles weiß, ist da, ohne sie zu beunruhigen. Ihre Sünde ist vor dem Angesicht Gottes, doch Gott geht nicht mit ihr ins Gericht. Was für eine wunderbare Begegnung ist das zwischen einem mit Sünden belasteten Herzen und Gott, eine Begegnung, die durch Christus zustande kommt. Die Gnade bewirkt Vertrauen.

Der Ort der Anbetung

Nachdem die Frau sich in das Licht Gottes gestellt weiß, spricht sie über Anbetung, über die Verehrung Gottes. Ein Herz, das von seinen Sünden und von der Gnade Gottes gegenüber Sündern überzeugt ist, verlangt danach, Gott anzubeten. Hier sehen wir, wie das bei dieser Frau geschieht. Sie äußert ihren Wunsch nach Anbetung und zugleich spricht sie über ihre Schwierigkeit, zu wissen, wie und wo das geschehen soll, indem sie auf zwei Orte der Anbetung hinweist.

Die Frau spricht über „unsere Väter“, die auf „diesem Berg“ angebetet haben. Anbetung war für sie bis jetzt immer mit einer langen Tradition verbunden. Das ist bei zahllosen Christen auch heute der Fall. Sie besuchen eine Kirche oder ein Gebäude, weil ihre Eltern und Großeltern das auch getan haben. Sie haben sich noch nie gefragt, was die Frau sich nun fragt: „Was ist der wahre Ort der Anbetung“?

Die Frau weiß auch, dass für die Juden Jerusalem der Ort ist, wo man anbeten muss. Sie will vom Herrn Jesus wissen, welcher der beiden Orte der wahre Ort der Anbetung ist. Der Herr geht auf ihre Frage ein, wobei Er zuerst den Glauben an Ihn betont. Das sieht man daran, dass Er seine Belehrung über Anbetung mit den Worten beginnt: „Frau, glaube mir.“ Er macht ihr klar, dass für den Glauben Jerusalem und Samaria als Orte der Anbetung ganz und gar verschwinden werden. Nachdem nun der Vater im Sohn und durch den Sohn offenbart ist, ist Anbetung nicht mehr an einen bestimmten Ort auf der Erde gebunden.

Obwohl sowohl Jerusalem als auch Samaria verschwinden werden, ist es doch nicht so, dass sie gleichwertige Orte der Anbetung sind. Die Frau und alle Samariter haben eine Anbetung, die nicht auf den wahren Gott ausgerichtet ist. Sie wissen nicht, was sie anbeten. Gott hat sich nicht mit ihnen verbunden und sich ihnen nicht als Jahwe bekanntgemacht. Ihre Anbetung richtet sich an einen unbekannten Gott, ein Produkt ihrer eigenen religiösen Phantasie. Für die Juden („wir“) gilt, dass sie wohl wissen, was sie anbeten. Ihnen hat Gott sich bekanntgemacht und hat ihnen auch gesagt, wo und wie Er angebetet werden will.

Gegenüber der samaritischen Frau hält der Herr daher auch den jüdischen Gottesdienst aufrecht. Der ist in diesem Augenblick noch immer der von Gott bestimmte Dienst, denn aus ihnen ist das Heil, das in Christus ist (Röm 9:4; 5). Die Samariter sind Nachahmer und stehen Gott feindlich gegenüber, denn sonst hätten sie sich den Wegen und dem Wort Gottes unterworfen.

Der Herr spricht darüber, „was“, und nicht „wer“ angebetet wird. Obwohl Gott sich im Judentum offenbart hat, ist diese Offenbarung doch noch eingeschränkt. Der ganze Dienst ist auf eine Weise geregelt, dass auch jemand daran teilnehmen kann, der nicht an Gott glaubt. Dazu kommt, dass Gott im Dunkeln wohnte, hinter dem Vorhang, und dass das allgemeine Volk Ihm nicht nahen durfte. Daher ist diese Anbetung ein „Was“, die Erfüllung einer Vorschrift, ohne dass notwendigerweise eine innere Beziehung zu Gott vorhanden ist. Doch als Christus starb, änderte sich das. Da trat Gott heraus und offenbarte sich durch den Geist in dem Sohn als Vater. Deshalb wissen Christen, „wen“ sie anbeten und nicht nur „was“.

Der Vater sucht Anbeter

Hier finden wir die erste Entfaltung christlicher Anbetung, die Gott jemals einem Menschen gegeben hat. Diese Anbetung geht nicht nur über die samaritische, sondern auch über die jüdische Anbetung hinaus. In der christlichen Anbetung wird der Vater angebetet; es geht nicht länger um die Anbetung Jahwes, des Gottes Israels, oder des Allmächtigen, wie die Erzväter Ihn kannten. Es geht auch nicht länger um eine vorgeschriebene Anbetung, die Gott fordert (5Mo 6:13). Gott hat ein Recht auf die Anbetung jedes Menschen auf der Erde, und Er hat diese Anbetung zu allen Zeiten vom Menschen gefordert. Auch wenn die Gemeinde in den Himmel aufgenommen ist und auf der Erde eine große Drangsal sein wird, ertönt der Befehl: „Betet den an, der ...“ (Off 14:7).

Doch von der Gemeinde fordert Gott keine Anbetung, denn als der Sohn auf die Erde kam, hat Gott sich als ein Geber offenbart. So kommt der Sohn Gottes zu sündigen Menschen, die wir in dieser samaritischen Frau repräsentiert sehen. Der Herr Jesus hat Gott so bekanntgemacht, wie der Sohn Ihn kennt. Er hat den Vater in der Fülle der Liebe und Gemeinschaft offenbart. Der Sohn wird auch die Seinen, die in der Welt sind, in eine bewusste Verbindung mit seinem Vater bringen, als Kinder des Vaters (Joh 20:17), weil sie aus Gott geboren sind (Joh 1:12; 13).

In diesem Licht verschwinden sowohl der Berg Gerisim als auch Jerusalem. Die Anbetung auf dem Berg Gerisim war nichts anderes als ein eigenwilliger Gottesdienst; die Anbetung in Jerusalem war nur die Erprobung des Menschen und der Beweis seiner Unfähigkeit, Gott unter dem Gesetz zu begegnen. Christliche Anbetung gründet sich auf den Besitz des ewigen Lebens im Sohn und die Gabe des Heiligen Geistes als die Kraft der Anbetung (Phil 3:3).

Von nun an ist nationaler Gottesdienst ein Irrweg, es ist nur der Versuch, etwas zum Leben zu erwecken, was verschwunden ist, wenn es um die Erkenntnis Gottes geht. Von jetzt an sucht der Vater Personen, die Ihn als Vater anbeten. Dazu müssen diese Personen Ihn als Vater kennen, und das ist nur möglich, wenn sie den Sohn angenommen haben.

Wir sehen hier das große Verlangen des Vaters, das der Sohn bekanntmacht. Das ganze Wirken des Sohnes ist darauf ausgerichtet, diese Anbetung zu bewirken. Wir lesen nirgends in der Schrift, dass der Vater etwas anderes sucht, obwohl es beispielsweise auch wichtig ist, dass wir den Herrn Jesus bezeugen. Wir sollten darüber nachdenken, ob wir diesem Verlangen des Vaters die höchste Priorität in unserem Leben einräumen.

Der Herr fügt noch etwas hinzu. Der Vater sucht sicher Anbeter, doch dabei ist es wichtig, zu wissen, wie Er angebetet werden will. Deshalb sagt der Sohn, dass wir bedenken müssen, dass Gott ein Geist ist. Er spricht über den „Vater“, wenn es um Segnungen geht, und über „Gott“, wenn es um Verantwortung geht. Wenn es daher auch um die Art und Weise der Anbetung geht, geht es um Verantwortung, und deshalb spricht Er über „Gott“ und über „müssen“.

Die Anbetung des Vaters muss „in Geist“, das heißt auf eine geistliche Weise stattfinden, geleitet durch den Heiligen Geist, und nicht in einer alttestamentlichen, irdischen und „tastbaren“ Weise. Die Anbetung, von der der Herr Jesus hier spricht, ist keine äußere Angelegenheit, für die besondere Kleidung, geweihte Räume oder bestimmte sichtbare Handlungen erforderlich wären. Es geht um das Herz und nicht um die Augen oder um die Hände. Alles, was äußerlich ist, hat nur zur Folge, dass die Aufmerksamkeit von Ihm abgelenkt wird, der dem Glauben durch den Heiligen Geist vorgestellt wird.

Zugleich ist es wichtig, dass die Anbetung des Vaters in Wahrheit geschieht, das heißt, in Übereinstimmung mit der Wahrheit, die der Herr Jesus über den Vater offenbart hat. Christliche Anbetung ist auf den Vater und den Sohn des Vaters ausgerichtet. Nur wahre Gläubige können in Geist und Wahrheit anbeten.

Christus stellt sich der Frau vor

Was der Herr Jesus über Anbetung gesagt hat, geht noch weit über das Denken der Frau hinaus. Sie wendet sich jedoch nicht von Ihm ab, sondern spricht Ihn auf den Messias an. Das ist jedenfalls der Gedanke, der durch das, was Er gesagt hat, in ihr aufkommt. Sie trifft den Kern, sie ist an der Quelle.

Als die Frau von ihrem Verlangen nach dem Messias, dem Christus, spricht, kann der Herr sich ihr bekanntmachen. Er hat sein Ziel mit ihr erreicht. Eine arme samaritische Sünderin nimmt den Messias Israels an, den die Priester und Pharisäer aus der Mitte des Volkes verworfen hatten. Jeder, der glaubt, dass Jesus der Christus (das ist der Messias) ist, ist aus Gott geboren (1Joh 5:1). Das glaubt sie. Ihr Herz ist berührt und ihr Gewissen ist erreicht. Die Gnade und die Wahrheit, die in Jesus Christus zu ihr gekommen sind (Joh 1:17), bedeuten ihr nun alles.

Da kommen gerade im richtigen Augenblick die Jünger zurück, denn das Ziel des Herrn mit dieser Frau war ja erreicht. Die Frau ist allerdings noch nicht fort, als die Jünger zurückkommen. Der Herr will, dass sie sehen, womit Er während ihrer Abwesenheit beschäftigt war. Die Jünger wundern sich darüber, dass Er mit einer Frau spricht. Es war nicht üblich, dass ein Mann allein mit einer einzelnen Frau sprach.

So wie die Frau haben auch die Jünger noch nicht viel von der Gnade und Wahrheit, die in Christus sind, verstanden, auch nicht, dass Er solche sucht, die dafür offen sind. Wenn die Jünger gewusst hätten, was die Frau suchte und was Er ihr gesagt hat, hätten sie sich noch weit mehr gewundert. Er sprach nicht nur mit ihr, Er offenbarte ihr, was sie suchte, und zeigte ihr, dass sie nur Ihn brauchte. Er erfüllte vor allem sein eigenes Verlangen, diese Frau mit der „Gabe Gottes“ bekanntzumachen.

Die Jünger müssen noch viel lernen. Sie empfinden wohl, dass etwas Besonderes geschehen ist, denn sie fragen weder die Frau, was sie sucht, noch den Herrn, warum Er mit ihr spricht.

Das Zeugnis der Frau

Die Frau verlässt nicht den Herrn, wohl aber ihren Wasserkrug. Der Wasserkrug ist das Symbol ihrer täglichen Mühsal. Die lässt sie hinter sich. Sie ist völlig ergriffen von dem Neuen, das ihrem Herzen offenbart worden ist und den sie in ihr Herz geschlossen hat: Christus. Eine neue Welt hat sich ihr geöffnet mit neuen Zuneigungen, neuen Verpflichtungen, aber auch mit einer neuen Kraft, die sie über ihre irdische Schinderei erhebt. Christus hat ihr Herz ergriffen und ihr die Kraft gegeben, von Ihm zu zeugen.

Sie will gehen und den Menschen in der Stadt von dieser besonderen Begegnung berichten, die in ihrem Leben alles verändert hat. Sie ist von ihren Sünden befreit und hat eine herrliche Zukunft. Solange sie lebt, darf sie durch den Sohn den Vater stets besser kennenlernen und Ihn dafür anbeten.

Sie spricht ohne jede Scheu über Christus als den, der ihr ihre Sünden gezeigt, sie aber auch davon befreit hat. Für sie ist Er zwar noch immer „ein Mensch“, doch zugleich auch „der Christus“. Sie geht so in dem Neuen auf, dass sie – ohne darüber nachzudenken – eine Verkündigerin wird. Sie verkündigt Christus aus der Fülle ihres Herzens und ganz einfach.

Ihr Zeugnis hat eine große Wirkung. Alle, die sie sehen und hören und sie kannten, müssen die große Veränderung bemerkt haben, die bei ihr stattgefunden hat. Ein solch begeistertes und persönliches Zeugnis hat große Kraft, weil es nicht nur um Gefühle geht, sondern auch auf das Gewissen einwirkt. Ihr Zeugnis ist der Beginn einer Erweckung in der Stadt. Alle verlassen die Stadt und kommen zum Heiland. Lots Zeugnis hatte ein völlig anderes Ergebnis. Als er bezeugte, was ihm mitgeteilt worden war, lachten sie ihn aus (1Mo 19:14).

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