Judges 16:16-19

Vierte Phase: das Geheimnis preisgegeben

Dreimal hat er sich selbst befreien können, das letzte Mal nur halb. Doch weil er die Verbindung nicht abbricht, kommt nun der endgültige Fall. Die vorherigen Male hat Delila stets gefragt, wie sie ihn binden müsse. Diesmal gebraucht sie all die Überredungskraft, die sie als Frau in sich hat. Sie spricht jetzt nicht mehr, wie bei den anderen Malen, über eine Methode, um ihn zu binden, sondern trifft ihn in seinem Herzen, indem sie seine Liebe zu ihr in Zweifel zieht. Er hat ihr ja das Geheimnis seiner Kraft immer noch nicht erzählt. Dies hält sie ihm tagelang vor.

Simson erlebt wenig Vergnügen mehr bei seinem Umgang mit Delila. Das ist mit der Frau aus Timna auch schon geschehen. Auch daraus hat er nichts gelernt. Was Delila vorbringt, ist keine offene Feindschaft, sondern etwas, das sehr anziehend aussieht und sehr verführerisch reden kann. Schließlich erliegt er dem psychischen Druck. Er gibt das Geheimnis preis, das sie anders nie erfahren hätte. Denn wer hätte erdenken können, dass seine Kraft in seinem langen Haar war, einem deutlichen Beweis der Schwachheit, der Schwachheit einer Frau?

Das ist immer noch so. Starke junge Menschen, die in großer Hingabe Gott dienten, sind von der Welt irregeführt worden und auf dem Pfad des Ungehorsams gelandet. Dadurch sind sie ihrer Kraft, ihrer Freiheit zum Dienst und ihres geistlichen Unterscheidungsvermögens verlustig gegangen. Das Licht, das in ihnen war, ist zur Finsternis geworden.

Simson gibt sein Geheimnis preis, weil er seiner Gemeinschaft mit Gott verlustig gegangen ist. Dadurch kommt er zu dieser großen Torheit, obwohl er schon so oft von Delila geweckt worden ist. Es muss ihm doch deutlich sein, was ihre Absichten sind.

Wer sich jedoch von der Welt mitreißen lässt, verliert allen Begriff für das Normale und auch den gesunden Menschenverstand. Seine Kraft liegt in seinem langen Haar, hinter dem sich gleichsam seine Persönlichkeit verbirgt. Die einzige Kraft liegt in der „Verborgenheit“. Abhängigkeit von und Hingabe an Christus stellen die verborgene Kraft des Gläubigen zum Leben als Nasir dar. Dies gilt sowohl für das persönliche als auch für das gemeinschaftliche Leben.

Simson überwältigt

Delila spürt, dass er diesmal die Wahrheit sagt. Der vorherige Vorschlag Simsons war schon anders als die ersten beiden gewesen. Damals hat er sich binden lassen. Beim dritten Mal hatte er nicht über das Binden gesprochen, sondern über das Weben seines Haares. Im Anschluss daran ist es für sie nicht schwer zu begreifen, dass er ihr jetzt sein ganzes Herz anvertraut hat.

Sie warnt wieder die philistäischen Fürsten, diesmal mit der Mitteilung, dass sie jetzt auch wohl das Geld mitnehmen können, denn für sie steht der Ausgang fest. Dann bindet sie ihn fest, nicht mit Stricken, auch nicht mit einem Webstuhl, sondern mit der Wärme ihres Schoßes, worauf er in Schlaf fällt. Dort fühlt er ihre Wärme, und das wird sein endgültiger Untergang. Mit all seiner Kraft ist er den Listen einer Frau nicht gewachsen, deren Verführung er erlegen ist.

Während Simson schläft, lässt Delila sein Haar abschneiden. Sie hat ihn jetzt in ihrer Gewalt. Ihre Liebkosungen verwandeln sich in Schläge und Qualen. Zum vierten Mal erschallt ihr Ruf: „Philister über dir, Simson!“ Hierauf vollzieht sich das zutiefst tragische Drama eines nunmehr machtlosen Simsons, der, als er wach geworden ist, noch der Vorstellung unterliegt, dass er noch genauso stark wie immer sei. Es scheint, als ob er sich mit dem Gedanken versöhnt habe, dass er immer wieder angegriffen würde, aber auch, dass er angesichts der vorherigen Male mit einer fortwährenden Übermacht seiner Kraft rechnen könne.

So wie für Simson der Umgang mit Delila verhängnisvoll wird, so wird auch das Flirten mit den unheiligen Grundsätzen der Welt verhängnisvoll für jedes Kind Gottes. Ebenso geht es der Gemeinde. Von ihrer Kraft entledigt, tut sie so, als ob alle Kraft noch vorhanden wäre. Eine kraftlose Kirche unternimmt Versuche, um von sich reden zu machen, und sie weiß nicht, dass überhaupt keine Kraft da ist, weil der Geist zunächst betrübt und dann ausgelöscht worden ist.

Das ist die traurige Situation Laodizeas, wovon es heißt „und du weißt nicht“ (Off 3:17), so wie es von Simson heißt „er wusste aber nicht“ (Ri 16:20). Sie ist für ihre eigene Situation blind. Sie gibt vor, geistlich sehr hoch zu stehen, aber der Herr ekelt sich vor ihr.

Von Ephraim, damit sind die zehn Stämme gemeint, heißt es: „Ephraim vermischt sich mit den Völkern; Ephraim ist wie ein Kuchen geworden, der nicht umgewendet ist. Fremde haben seine Kraft verzehrt, und er weiß es nicht; auch ist graues Haar auf sein Haupt gesprengt, und er weiß es nicht“ (Hos 7:8; 9). Sehen wir die Parallele zwischen Ephraim und Simson? Bei beiden ist durch verkehrten Umgang die Kraft verschwunden, und beide hatten es nicht durchschaut.

Außer einer Warnung für die örtliche Gemeinde enthält diese Geschichte auch eine Warnung für treue, hingegebene Brüder, die im Dienst nützlich sind. Diese Warnung besteht darin, dass sie nicht vergessen dürfen, dass sie von Gott abhängig sind. Sie laufen Gefahr zu denken, dass sie durch ihre Kenntnis der Schrift unantastbar für den Einfluss der schmeichelnden Worte der christlichen Welt seien, wenn sie sich ohne Auftrag Gottes auf diesem Gebiet bewegen. Sie denken, dass ihre Kenntnis der Schrift sie wohl vor diesen schmeichelnden Worten bewahren und aus möglichen verkehrten Verbindungen befreien werde.

Vielleicht haben sie wohl einmal Vorschläge abgelehnt, an irgendeiner Sache mitzuarbeiten, von der sie sahen, dass eine Mitarbeit nicht möglich war. Doch wenn sie die Umgebung, in der sie sich immer wieder ablehnend verhalten müssen, nicht verlassen, kommt tatsächlich der Augenblick, in dem sie zustimmen werden. Dann wird die Absonderung für Gott und der Gehorsam seinem Wort gegenüber preisgegeben und es verschwindet gleichzeitig die Kraft. Möglicherweise denken sie noch, dass der Herr mit ihnen sei, aber das Ergebnis ist, dass sie gefangen genommen werden, genauso wie Simson, und dass sie ihre Einsicht in die Schrift verlieren, so wie Simson sein Sehvermögen verlor.

Er, der die Türen des Stadttors von Gaza weggetragen hat, wird durch dasselbe Tor als Gefangener hineingebracht. In der Bibel ist zum ersten Mal bei Joseph von einem Gefängnis die Rede, in das er selbst hineinkam. Aber er kam hinein, weil er treu bleiben wollte. Simson wird gezwungen, das, was von seiner Kraft übriggeblieben ist, im Gefängnis im Dienst der Philister zu gebrauchen, um sie mit Nahrung und dadurch mit Kraft zu versorgen. Welch ein trauriges Ende eines Menschen, der von Gott zu genau der entgegengesetzten Aufgabe eingesetzt und ausgebildet worden war.

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