Acts 17:22

Die Rede des Paulus

Paulus beginnt seine Rede, indem er an das Leben der Athener anknüpft. Er weiß, was für ein Publikum er vor sich hat. Bei den Juden berief er sich auf die Schriften, denn darauf beriefen sich auch die Juden, weil sie sie kannten. Die Athener kannten die Schriften nicht, deshalb zitiert Paulus auch nicht daraus. Alles jedoch, was er sagt, gründet sich völlig auf die Schriften. Er beginnt nicht mit einer Verurteilung ihres Götzendienstes (vgl. Röm 1:22; 23), sondern mit einer neutralen Feststellung. Er spricht weder eine Wertschätzung noch einen Tadel aus.

Er berichtet, was ihm aufgefallen ist, als er durch die Stadt ging. Unter den vielen Gegenständen der Verehrung hatte er auch einen Altar gefunden, der „dem unbekannten Gott“ geweiht war. Sie hatten für den unbekannten Gott einen Altar errichtet, weil sie fürchteten, einen Gott zu vergessen, der geehrt werden sollte. Es kann auch sein, dass es eine Art „Abfalleimergott“ war, zu dem man ging, wenn man bei einer Sache mit den „bekannten Göttern“ nicht zurechtkam.

Diese Lücke in ihrem Götzenkult nahm Paulus zum Anlass, ihnen den wahren Gott zu verkündigen. Er sagt nicht, dass er ihnen den unbekannten Gott verkündige, als würde er die Lücke in ihrem Götzenarsenal auffüllen. Er sagt nicht, „den ihr, ohne ihn zu kennen, verehrt“, sondern „was ihr, ohne es zu kennen, verehrt“. Was Paulus verkündigt, wirft ihr ganzes System des Götzendienstes über den Haufen. Er knüpft nicht bei ihrer Unwissenheit über einen bestimmten Gott an, sondern bei ihrer Unwissenheit im Blick auf alles, was mit Gott zu tun hat. Paulus verkündigt keinen neuen Gott, sondern den Gott der Götter.

Zuerst einmal sagt er, dass Gott der Schöpfer ist. Wenn wir Ihn als Schöpfer nicht kennen, kennen wir Ihn überhaupt nicht. In dieser intellektuellen Stadt muss Paulus auf die unterste Stufe der Leiter der Wahrheit hinabsteigen. Das ist die Folge der intellektuellen Kultur ohne Gott. Paulus geht auf die grundsätzlichen Fragen ein, die jeder denkende Mensch stellt: Woher komme ich? Warum bin ich hier? Wohin gehe ich?

Gott hat alles geschaffen, die ganze Welt und alles, was in ihr ist (Ps 146:6; Jes 42:5). Das steht in völligem Gegensatz zum griechischen Denken, das davon ausgeht, dass Materie ewig ist. Doch Gott hat die Welt gemacht, die Welt ist aus Gott entstanden. Er hat die Dinge, die nicht sind, gerufen, als wären sie da (Röm 4:17; Heb 11:3). Das bedeutet, dass alles, was es gibt, aus dem einen Gott hervorgekommen ist. Gott ist nicht Teil der Schöpfung oder mit der Schöpfung vereinigt. Er ist da und steht über der Schöpfung.

Obwohl Er über seiner Schöpfung steht, beschäftigt Er sich mit ihr. Er ist nicht ein Gott, der sich auf Abstand hält, getrennt von seiner Schöpfung. Er ist auch kein Gefangener seiner Schöpfung, als wäre Er darin eingeschlossen. Er ist zu groß, um in den Werken von Menschenhänden zu wohnen, aber auch nicht zu groß, um sich nicht um die Nöte der Menschen zu kümmern. Menschen müssen ihre Götzen tragen, versorgen und sogar mit in die Gefangenschaft nehmen usw. (Jes 46:1; 2), doch der wahre Gott dient selbst dem Menschen und trägt die Seinen (Jes 46:3; 4).

Gott braucht nichts vom Menschen, doch der Mensch ist von Ihm abhängig. Die Tempel können Gott nicht fassen und der Dienst im Tempel fügt Gott nichts hinzu. Gott kann räumlich nicht eingeschränkt werden, sondern ist allgegenwärtig. Salomo war sich dessen bewusst, als er Gott einen Tempel baute (1Kön 8:27). Heiden haben nur örtlich gebundene Götter.

Mit diesen Argumenten fegt Paulus ihr gesamtes System vom Tisch. Gott ist die Quelle jeder guten Gabe. Er interessiert sich so sehr für den Menschen, dass Er allen „Leben und Odem und alles“ gibt (Ps 50:12). Für Ihn sind auch alle Menschen gleich, denn Er hat sie alle aus einem Blut gemacht, d. h., dass sie alle einen Stammvater haben. Allen diesen Menschen lässt Gott sein Evangelium verkündigen. Gott hat nicht nur Menschen als Individuen Leben und Odem und alles gegeben, sondern hat die Menschen auch in Völker zusammengefasst und jedem Volk sein eigenes Gebiet gegeben. Gott führt die Geschichte aller Völker, und jedem Volk hat Er auf der Erde seinen eigenen Ort zugeteilt, ausgehend von seinem Volk Israel (5Mo 32:8).

Gott hat den Menschen nicht gemacht, um ihn dann sich selbst zu überlassen, sondern dass dieser Ihn suche. Im tiefsten Wesen des Menschen ist eine Sehnsucht nach Gott. So hat Gott Ihn geschaffen. Gott ist nicht fern vom Menschen. Im Evangelium kommt Er dem Menschen nahe. Der aufrichtig suchende Mensch wird Ihn finden. Gott hat alles getan, damit der Mensch Ihn leicht finden kann.

Wie sehr der Mensch in Bezug auf Gott im Dunkeln tappt, deutet Paulus durch das Wort „ertasten“ an. Man tastet sich vor, wenn man kein Licht hat. Der Mensch lebt in der Finsternis, sein Verstand ist vom Gott dieses Zeitlaufs verfinstert (2Kor 4:4). Darum nimmt er Gott nicht wahr und das, obwohl Gott überall zu sehen ist, wo der Mensch auch hinschaut.

Um diese Tatsache der Nähe Gottes den Athenern deutlich zu machen, beruft er sich auf einige ihrer bekannten Dichter, die gesagt haben, dass der Mensch Gottes Geschlecht ist. Was diese Dichter gesagt haben, sagten sie im Hinblick auf Zeus, aber Paulus wendet es in seiner wirklichen Bedeutung auf Gott an. Adam ist aus Gott hervorgekommen, von Ihm geschaffen und daher sein Geschlecht. In diesem Sinn wird Adam auch „Sohn Gottes“ genannt (Lk 3:38). Der Mensch ist nach dem Bild Gottes geschaffen und ist Ihm in gewissen Eigenschaften ähnlich, wodurch er als verantwortliches Wesen handeln kann. Überall wo Menschen sind, sehen wir das Bild Gottes.

Wir können Ihn auch in der Schöpfung erkennen, d. h. seine ewige Kraft und Göttlichkeit (Röm 1:20). In diesem Sinn ist es daher auch völlig richtig, dass Er nicht fern ist von jedem von uns, weil wir in Ihm leben und uns in Ihm bewegen und in Ihm sind. Dass der Mensch Ihn dennoch nicht findet, zeigt, wie groß die Entfremdung des Menschen von Gott ist. In Wirklichkeit ist der Mensch auch nicht auf der Suche nach Gott. Es gibt niemand, der Gott sucht, weil alle vom ursprünglichen Plan Gottes mit dem Menschen abgewichen sind (Röm 3:11; 12).

Mit Bedacht geht Paulus auf dieses Abweichen ein, indem er darauf hinweist, dass sie nicht denken sollen, die Gottheit sei in Bildnissen, die Menschen hergestellt haben. Von dieser Torheit war Athen voll. Wenn wir „sein Geschlecht“ sind, wenn Gott uns also nach seinem Bild geschaffen hat, ist es Torheit, wenn wir nach unserer eigenen Vorstellung Bildnisse von Gott machen. Jeder, der ein solches Bildnis macht, tut das nach seiner eigenen Vorstellung von Gott. Dadurch kann es nicht anders sein, als dass die Größe Gottes, was die Kenntnis des Menschen über Ihn betrifft, zunichtegemacht wird. Wenn der Mensch damit anfängt, kann es nicht anders sein, als dass er dieses Bild verwüstet.

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