Jeremiah 31:19

Israels beklagenswerte Gegenwart

Plötzlich sind wir von der Zukunft zurück im gegenwärtigen Zustand. Der Zustand Israels ist jetzt noch ein Zustand der Verwüstung (Jer 31:15). Von Jubel ist noch keine Rede. Was man hört, ist Weinen, für das es keinen Trost gibt, weil es keine Aussicht gibt. Dieser Vers wird auf den Kindermord in Bethlehem angewandt (Mt 2:16-18).

Rama liegt an der Grenze zwischen den zehn und den zwei Stämmen. Rahels zwei Söhne, Joseph und Benjamin, sind getrennt. Joseph gehört zu den zehn Stämmen und Benjamin zu den zwei. Die Kinder sind aber nicht nur getrennt, sondern sie sind gar nicht mehr da, weil sie weggeführt wurden: die zehn Stämme in die Zerstreuung und die zwei Stämme in die Gefangenschaft. Deshalb weint Rahel.

Dann kommt das tröstende Wort des HERRN (Jer 31:16). Sie brauchen nicht mehr zu weinen, und ihre Tränen brauchen nicht hervorzukommen, denn sie werden für ihre Treue belohnt werden. Diese Belohnung ist die Rückkehr aus dem Land des Feindes. Was der HERR selbst gewirkt hat, wird auch noch von Ihm belohnt. Er gibt ihnen Hoffnung, indem Er ihre Aufmerksamkeit auf das lenkt, was in der Zukunft mit den Kindern geschehen wird, über die sie jetzt weint: Sie werden in ihr Gebiet zurückkehren, das Land, das Er ihren Vätern und ihren Nachkommen zu geben versprochen hat (Jer 31:17).

Der HERR versichert Ephraim, dass Er hört, worüber sie sich beklagen (Jer 31:18). Er vergisst sie nicht, sondern nimmt Notiz von dem, was sie sagen. Er hört ihr Bekenntnis, in dem sie anerkennen, dass sie zu Recht gezüchtigt worden sind, weil sie sich eigenwillig wie ein ungezähmtes Kalb verhalten haben. Durch diese Strafe, diese Züchtigung, werden sie dazu gebracht, Ihn zu bitten, sie wieder anzunehmen, weil sie sein eigenes Volk sind. Sie bitten dies mit den Worten: „Bekehre mich, damit ich mich bekehre.“ Es ist das Gebet – nicht eines einzelnen Sünders, einer einzelnen Person, sondern – des Überrestes des Zehnstämmereiches an den HERRN, sein Werk zu vollenden, indem Er das bereits innerlich bekehrte Volk auch wieder in das Land zurückbringt.

Diese Frage an den HERRN zur Bekehrung wird in bestimmten christlichen (reformierten) Kreisen als Argument missbraucht, dass ein Mensch sich nicht bekehren oder Buße tun kann, sondern dass Gott dies tun muss. Dieser Missbrauch rührt von einem Missverständnis der Erwählung her. Dass Gott an anderen Stellen in der Bibel den Menschen zur Bekehrung aufruft, ja, befiehlt, dass der Mensch Buße tun soll (Apg 17:30), das interessiert die Leute in diesen Kreisen nicht. Wenn man sie darauf hinweist, kommen sie sowieso immer mit diesem Vers. Deshalb ist es wichtig, diesen Vers in dem Kontext zu lesen, in dem er erscheint. Er betrifft ein Volk, das innerlich bereits durch ein Werk Gottes zur Bekehrung gekommen ist.

Dasselbe gilt für das, was Jeremia in Klagelieder 5 sagt: „HERR, bring uns zu dir zurück, dass wir umkehren“ (Klgl 5:21). Jeremia spricht diese Worte für und im Namen des Volkes und nicht für sich selbst oder jemanden persönlich. Jeremia ist offensichtlich bereits bekehrt und wiedergeboren. Es handelt sich um eine Umkehr, eine Rückkehr des Volkes Gottes zu der Beziehung, in der es vor seinem Weggang zu Gott stand. Daher ist eine Berufung auf diese Verse durch eine einzelne Person als Ausrede, dass sie nicht umkehren kann, völlig fehl am Platz.

Ephraims Reue ist aufrichtig. Reue ist die Grundlage für die Wiederherstellung. Es ist ihnen nach der Bekehrung gedämmert, wie groß ihre Untreue gewesen ist (Jer 31:19). Sie haben sich selbst entdeckt und zugegeben, dass sie in ihrer eigenen Kraft gehandelt haben. Sie geben dies mit Beschämung zu. Wegen ihrer Abweichungen, schon von frühester Jugend an, sind sie gedemütigt worden.

Die Antwort des HERRN auf ihr Bekenntnis ist die Zusicherung ihres Wertes für Ihn (Jer 31:20). Sie sind für Ihn wie ein teurer Sohn, ein Kind der Wonne. Alles, was Er zu ihnen spricht, kommt aus seinen Gedanken, die sich ständig mit ihnen beschäftigen. Sein Herz naht sich ihnen. Sein Innerstes wird erregt, um sich ihrer zu erbarmen. Die väterliche Zärtlichkeit geht hier über die kindliche Rebellion hinaus und nimmt sie auch auf eine gerechte Art und Weise weg. Im Hebräischen heißt „mein Innerstes … erregt“ wörtlich „mein Innerstes macht Lärm“. Das Sprechen des HERRN ist hier sehr menschlich.

Er weist seinem Volk, den zehn Stämmen, aus der Zerstreuung den Weg zurück zu Ihm (Jer 31:21). Sie sollen die Richtung bestimmen und ihr Herz darauf ausrichten. Dann sollen sie, wie der verlorene Sohn, das tun, was sie sich vorgenommen haben, und aufstehen und sich auf den Weg in ihr Land machen (Lk 15:18; 20a). Er ruft sie als „Jungfrau von Israel“ auf, sich nun auf den Weg zurück zu Ihm und in ihre eigenen Städte zu machen.

Die „Jungfrau von Israel“ ist jetzt immer noch die „abtrünnige Tochter“ (Jer 31:22), die sich in alle Richtungen dreht, um von irgendwoher Unterstützung zu bekommen, aber nicht nach oben schaut, um den HERRN um diese Unterstützung zu bitten. Doch ihr Drehen kommt zu einem Ende. Der HERR wird etwas Neues schaffen. Sie wird sich zum HERRN bekehren. Dann wird sie die Macht der Nationen, die jetzt noch über sie herrschen, überwinden. Im Allgemeinen steht „Frau“ für Schwäche und „Mann“ für Stärke. Der Hauptgedanke des Verses ist, dass das Schwache über das Starke siegen wird. Gottes Kraft wird in Schwachheit vollbracht. Das Schwache macht das Starke zuschanden (vgl. 1Kor 1:27b).

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