John 3:12-15

Das Irdische und das Himmlische

Der Herr beantwortet die Frage des Nikodemus zunächst wieder mit einem leichten Vorwurf. Nikodemus hätte doch wissen können, was Er meint, zumindest wenn er die Propheten aufmerksam gelesen hätte. Nikodemus kennt zwar die Propheten, nicht aber die wahre Bedeutung dessen, was sie gesagt haben. Sein Denken war nämlich auf die Herrlichkeit Israels und nicht auf die Herrlichkeit des Messias gerichtet. Als „der Lehrer Israels“ hätte er wissen müssen, was der Herr meint. Sicher wird er Abschnitte aus Jesaja 44 und 55 und die bereits angeführte Stelle in Hesekiel 36 oft genug überdacht haben (Jes 44:3; Jes 55:1; Hes 36:24-32). Weil er aber nicht von neuem geboren war, hat er deren wirkliche Bedeutung nie erfasst.

Nach diesem leichten Vorwurf beendet der Herr das Gespräch nicht, sondern belehrt ihn weiter und geht sogar auf die himmlischen Dinge ein. Zum dritten Mal gebraucht Er das zweifache „Wahrlich“ und fährt wieder fort, um die Wichtigkeit seiner Belehrung zu betonen: „… ich sage dir“. Er macht Nikodemus deutlich, dass die Dinge, über die Er spricht, nicht unbekannt sind. Er ist vollkommen befähigt, über die Dinge zu sprechen, die Er soeben gesagt hat, weil Er gesehen hat, was Er bezeugt. Nur Gott kann sagen, dass Er „weiß“, worüber Er spricht. Bei Ihm ist vollkommenes „Wissen“. Er besitzt die vollkommene Kenntnis des Wesens aller Dinge.

Der Herr Jesus weiß, was im Menschen ist, weil Er den Menschen kennt (Joh 2:25). Er weiß, was in Gott ist, denn Er kennt Gott, da Er selbst Gott ist. Er macht Gott bekannt (Joh 17:23). Der Herr spricht in der „Wir“-Form, weil Er gemeinsam mit dem Heiligen Geist Zeugnis ablegt. Er und der Heilige Geist sind göttliche Personen, die vollkommene Kenntnis aller Dinge haben. So wie der Sohn kennt auch der Heilige Geist vollkommen, was im Menschen ist und was in Gott ist. Damit ist Er vollständig vertraut. Niemand weiß, was in Gott ist, als nur der Geist Gottes (1Kor 2:11).

Will ein Mensch Anteil daran haben und die göttlichen Dinge kennenlernen, muss er zuerst von neuem geboren werden und den Geist Gottes empfangen. Durch die neue Geburt ist er in der Lage, die Dinge Gottes kennenzulernen und zu begreifen. Der natürliche, nicht wiedergeborene Mensch nimmt die Dinge Gottes nicht an, weil sie geistlich beurteilt werden (1Kor 2:14). Er kann die Dinge nicht einmal annehmen, weil er das Leben nicht hat, das dafür notwendig ist.

Der Herr hat über die irdischen Dinge gesprochen, das sind die Dinge, die der Prophet Hesekiel mitgeteilt hat und die nötig sind, um an den irdischen Segnungen im Friedensreich teilhaben zu können. Die neue Geburt ist eine irdische Sache, die nötig ist, um in das irdische Friedensreich eingehen zu können. Schon das begreift Nikodemus nicht, wie soll er dann etwas begreifen, wenn der Herr über himmlische Dinge spricht?

Das Reich Gottes hat nämlich nicht nur irdische Aspekte, sondern auch himmlische (Heb 12:22-24; Eph 1:10; Kol 1:20). Die himmlischen Dinge werden uneingeschränkt durch den Geist offenbart, nachdem Christus sein Blut vergossen hat und in den Himmel aufgefahren ist. Doch im Sohn Gottes, der hier mit Nikodemus spricht, sind diese himmlischen Dinge in Vollkommenheit gegenwärtig. Nikodemus hat allerdings (noch) keinen Blick dafür.

Der Sohn des Menschen, der im Himmel ist

Niemand kann besser über die himmlischen Dinge sprechen als der Sohn. So, wie Er hier spricht, konnte niemals ein Prophet über sich selbst sprechen. Propheten waren Werkzeuge, die Gott gebrauchte, um zu Menschen zu sprechen. Doch der Sohn ist kein Werkzeug, durch das Gott spricht, sondern ist Gott selbst (Heb 1:1). Während Er auf der Erde mit Nikodemus spricht, ist Er im Himmel. Darum spricht Er auf der Erde über Dinge, die Er zur selben Zeit im Himmel sieht. Menschen können zum Himmel auffahren, Engel können aus dem Himmel herabsteigen, doch sie ändern dabei ihren Aufenthaltsort. Nur der Sohn des Menschen bleibt, wo Er zuvor war, weil Er auch der eingeborene Sohn Gottes ist. Er ist die Antwort auf die herausfordernden Fragen Agurs in Sprüche 30 (Spr 30:4).

Der Herr Jesus hört niemals auf, Gott zu sein. Deshalb kann Er, während Er hier auf der Erde mit Nikodemus spricht, sagen, dass Er zur gleichen Zeit im Himmel ist. So haben wir von Ihm auch gelesen, dass Er als der Sohn, der im Schoß des Vaters ist, den Vater auf der Erde kundgemacht hat (Joh 1:18).

Doch Er sagt das als der Sohn des Menschen! Das bedeutet, dass wir seine Gottheit und seine Menschheit nicht voneinander trennen können. Er ist eine Person. Als Sohn des Menschen ist Er daher auch der vollkommen vertrauenswürdige Verkündiger himmlischer Dinge. Nur Er, der im Himmel ist, kann uns die himmlischen Dinge mitteilen. Die Frage ist, ob mein Herz darauf vorbereitet ist, diese himmlischen Dinge aufzunehmen.

Denn so hat Gott die Welt geliebt

Nachdem der Herr Jesus nun die himmlischen Dinge genannt hat, gibt Er weitergehende Belehrung dazu. Um die himmlischen Dinge zu verstehen, reicht nämlich die neue Geburt nicht aus. Die neue Geburt ist zwar notwendig, bleibt aber bei den irdischen Dingen stehen. Durch die neue Geburt kann jemand die Dinge auf der Erde so erkennen, wie Gott sie sieht und beurteilt. Doch um die himmlischen Dinge kennen und genießen zu können, ist es nötig, dass wir die Bedeutung des Kreuzes kennen.

Um seine Belehrung über das Kreuz zu verdeutlichen, weist der Herr Jesus auf das hin, was Mose in der Wüste mit der Schlange getan hat. Das ist ein Beispiel dafür, was mit Ihm als dem Sohn des Menschen geschehen würde. Die Erhöhung der Schlange in der Wüste ist ein Hinweis auf die Erhöhung des Sohnes des Menschen am Kreuz.

Mose fertigte die eherne Schlange nach dem Bild der feurigen Schlangen an (4Mo 21:9). Die feurigen Schlangen waren die Plage, an der das Volk starb. Mose erhöhte die Schlange, die er aus Kupfer gemacht hatte, so dass jeder nach ihr schauen konnte, wo immer er sich im Lager befand. Wer das tat, wurde geheilt. Dazu war es nötig, dass jemand anerkannte, dass er gebissen war und daher sterben würde. Und es war der Glaube nötig, dass nur ein Blick auf die erhöhte Schlange das Leben geben konnte. Nichts anderes würde von den Auswirkungen des Schlangenbisses befreien, wie schlau es auch ausgedacht wäre.

Mose machte also die Schlange zum Symbol der Errettung, die jemand nur dadurch empfing, dass er einfach auf dieses Symbol blickte. Durch den Blick gab jemand zu, dass er von der Schlange gebissen war und in der Folge sterben würde.

Das ist ein Beispiel für das, was Gott mit seinem Sohn, dem Sohn des Menschen, getan hat. Gott hat seinen Sohn in Gleichgestalt des Fleisches der Sünde gesandt, um in Ihm die Sünde im Fleisch zu verurteilen (Röm 8:3). Als der Sohn des Menschen am Kreuz erhöht wurde, wurde Er dort von Gott zur Sünde gemacht. Der Sohn Gottes wurde von seinem Volk verworfen und auf das Kreuz erhöht (Joh 8:28).

Doch Gott gebrauchte in seiner unergründlichen Weisheit dieses größte Verbrechen des Menschen, den Höhepunkt seiner Sünden, um seine Pläne durch seinen Sohn zu erfüllen, indem Er Ihn zur Sünde machte. Die Sünde konnte auf keine andere Weise weggetan werden. Die Sünde konnte nur durch das Gericht Gottes über den Herrn Jesus weggetan werden, der allein in der Lage war, das Gericht über die Sünden zu tragen. Und es musste ein Mensch sein, der Sohn des Menschen, sollte es für Menschen ausreichen.

Dieses Werk musste für oder im Blick auf uns geschehen, damit wir die Gabe des ewigen Lebens empfingen, während die neue Geburt, über die der Herr mit Nikodemus gesprochen hat, ein Werk ist, das in uns geschieht. Sowohl für das Werk in uns als auch für das Werk für uns gebraucht Er das Wort „muss“ (Joh 3:7; 14). Beide waren erforderlich, damit wir in eine gesegnete Beziehung zu Gott kommen konnten.

Das herrliche Ergebnis gilt jedem, der glaubt. Es geht um den Glauben an Ihn. Der Gläubige schaut weg von sich selbst und sieht auf den Herrn Jesus. So wie der von den feurigen Schlangen gebissene Israelit lediglich auf die erhöhte Schlange zu schauen brauchte, um errettet zu werden, so braucht jemand heute nur auf den am Kreuz erhöhten Christus zu blicken, um nicht verlorenzugehen. Christus ist am Kreuz von Gott für uns zur Sünde gemacht worden, damit wir Gottes Gerechtigkeit würden in Ihm (2Kor 5:21).

Durch den Glauben an den Gekreuzigten erkennen wir die Notwendigkeit des gerechten Handelns Gottes im Gericht über uns an, zugleich jedoch, dass dieses Gericht bereits ausgeübt worden ist. Daher schauen wir nicht mehr auf uns selbst, sondern auf den, der das Gericht für uns getragen hat. Wir gehen nicht mehr verloren, weil Er, der zur Sünde gemacht wurde, das Gericht trug. Das ist die Parallele zur kupfernen Schlange.

Doch der Herr geht über diesen Vergleich mit der kupfernen Schlange hinaus. Es ist nicht nur so, dass wir nicht verlorengehen und nicht ins Gericht kommen, es gibt auch eine gewaltige positive Folge des Werkes Christi am Kreuz. Die sehen wir in dem, was wir aufgrund dieses Werkes empfangen haben, und das ist „ewiges Leben“.

Ewiges Leben ist nicht nur Leben, das ewig währt, denn dann hätten auch die Ungläubigen ewiges Leben. Ewiges Leben ist Leben, das in sich selbst ewig ist, das keinen Anfang und kein Ende hat. Das ewige Leben ist uns in dem Herrn Jesus offenbart. Er selbst ist das ewige Leben (1Joh 5:20). Es ist jedoch nicht nur in Ihm offenbart, sondern es ist uns gegeben.

Das ist ein Geschenk, das wir mit unserem Verstand nicht begreifen können. Es kommt aus der Liebe Gottes hervor. Die Gabe des ewigen Lebens wird durch das Wort „denn“ in Joh 3:16 unmittelbar mit der Liebe Gottes verbunden. Das Werk Christi am Kreuz fand seinen Ursprung in der Liebe Gottes. Und wenn Gott seine Liebe offenbart, hält Er nichts zurück.

Er hat seinen Sohn gegeben, damit Verlorene gerettet würden, die unter der Macht der Sünde waren (Röm 8:3). Sie waren von der Schlange gebissen, das ist der Teufel (Off 12:9). Der Herr Jesus, der eingeborene Sohn, wurde zur Sünde gemacht und mit Gottes gerechtem Gericht gestraft. Dadurch ist die herrschende Macht, die in unserem alten Leben wirkte, gerichtet.

Es kann jedoch sein, dass der Gläubige, wenn er auf den erhöhten Sohn des Menschen schaut, im Blick auf die Sünde erleichtert ist, doch keinen Frieden mit Gott hat. Das ist der Fall, wenn er Gott weiterhin als Richter betrachtet, vor dem er Angst hat, der ihm aber glücklicherweise nichts mehr antun kann, weil Christus zwischen ihm und Gott steht. Um diese Angst wegzunehmen, offenbart der Herr Jesus nun, dass das alles aus der Liebe Gottes hervorkommt. Vor Gott braucht man sich nicht zu fürchten, denn Er hat seine ganze Liebe zur Welt gezeigt, da Er das Liebste, das Er hatte, hingegeben hat.

Wenn es um die Liebe Gottes geht, kann sie nicht auf Israel beschränkt bleiben, sondern erstreckt sich auf die gesamte Welt. In diesem Evangelium überschreitet alles die Grenzen Israels. Die Liebe Gottes kann nicht eingeschränkt werden. Die Größe seiner Liebe kann man in der Gabe seines eingeborenen Sohnes sehen. Diese Bezeichnung zeigt den höchsten und einzigartigen Platz, den der Sohn in der Liebe Gottes hat, der den Sohn gab.

Jeder, der diese Gabe Gottes im Glauben annimmt, in dem Bewusstsein, dass er sonst verlorenginge, bekommt als eine besondere Gabe das ewige Leben. Dieses ewige Leben schließt zwei großartige Dinge in sich: Es ist der Herr Jesus selbst (1Joh 5:20), und es ist die Kenntnis des Vaters und des Sohnes des Vaters, des Herrn Jesus Christus (Joh 17:3).

Der Glaube an den Herrn Jesus öffnet für alle, die glauben, eine Herrlichkeit, von der kein Gläubiger im Alten Testament jemals etwas gehört hat. Das war auch nicht möglich, denn damals hatte Gott den Sohn noch nicht gegeben. Da Er aber jetzt seinen eingeborenen Sohn gegeben hat und sein Sohn Ihn durch seinen Weg und sein Werk auf der Erde verherrlicht hat, ist es Gottes Freude, allen, die an seinen eingeborenen Sohn glauben, auf die denkbar herrlichste Weise an allem Anteil zu geben, was von dem Sohn ist.

Nachdem Gott seine Liebe so offenbart hat, sind die Gnadenerweisungen Gottes aufgrund des Werkes seines Sohnes nicht länger auf die Grenzen Israels beschränkt. Wenn Gott sich in seinem Sohn als ein Heiland-Gott offenbart, entspricht es seiner Liebe, dass sich die gute Botschaft an die gesamte Welt richtet. Er hat seinen Sohn nicht als Richter gesandt, sondern als Retter.

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