Luke 15:11-20

Zwei Söhne

Nach hundert Schafen, von denen sich eins verirrt, und zehn Drachmen, von denen jemand eine verliert, finden wir nun zwei Söhne, von denen einer fortgeht. In dieser Geschichte sehen wir in dem jüngeren Sohn die Tiefen, in die der Sünder gefallen ist, und die Höhe, zu der er gebracht wird, wenn er sich bekehrt. Der ältere Sohn verkörpert den Geist der Pharisäer. In den beiden Söhnen haben wir die zwei Pole der Verlorenheit. Daher umfassen sie alle anderen Fälle. In dem jüngeren Sohn sehen wir die Zöllner und Sünder, in dem älteren Sohn die Pharisäer und Schriftgelehrten.

Obwohl dieses Gleichnis auf alle Menschen angewandt werden kann, spricht der Herr in erster Linie über Israeliten, die in einer besonderen Beziehung zu Gott stehen. Sie werden „Kinder des Herrn, eures Gottes“ genannt (5Mo 14:1). Es geht in der Anwendung daher insbesondere um alle, die eine bevorrechtigte Stelllung einnehmen, wie Kinder gläubiger Eltern. In den beiden Söhnen sehen wir die zwei Wege, die Kinder gehen können, die in einer bevorrechtigten Stellung aufgezogen worden sind.

Der jüngere Sohn verlässt seinen Vater

Der jüngere Sohn ist ein Bild des Sünders, der sein Teil vom Leben einfordert, um es so zu leben, wie er will. Indem der jüngere Sohn sein Teil des Erbes schon zu Lebzeiten seines Vaters haben will, erklärt er im Grunde seinen Vater für tot. Der Vater versucht nicht, seinen Sohn auf andere Gedanken zu bringen, sondern gibt seinen beiden Söhnen jedem ihren Anteil.

So hat Gott jedem Menschen die Verantwortung gegeben, mit seinem Leben das zu tun, was er will. Dann wird sich zeigen, wie jemand sein Leben führen will. Es gibt keinen deutlicheren Beweis, dass man die Existenz Gottes leugnet, als dass jemand den eigenen Willen dem Willen Gottes vorzieht. Dieser Eigenwille zeigt, dass jemand ohne Gott leben will, und macht offenbar, dass man seinen eigenen Weg fern von Gott gehen will. Das ist zweifellos die Wurzel aller Sünden. Sünde gegen Menschen wird sicher folgen, aber Sünde gegen Gott ist die wichtigste Ursache.

Der Mensch wird auf die Probe gestellt. Er ist verantwortlich, aber tatsächlich wird ihm nicht verwehrt, seinen eigenen Willen zu tun. Gott behält nur die Oberhand, um seine eigenen gnädigen Absichten auszuführen. Doch es sieht schon so aus, als gestehe Gott dem Menschen zu, das zu tun, was er will. Nur so wird sich zeigen, was Sünde bedeutet, was das Herz sucht, was der Mensch mit all seinen Anmaßungen ist.

Der jüngere Sohn ist, als er den Teil des Vermögens von seinem Vater fordert, ebenso schuldig, wie er es dann bei den Schweinen ist. Er hat im Herzen seinem Vater schon Lebewohl gesagt, bevor er tatsächlich weggeht. Dann sehen wir in ihm vorgebildet, dass der Mensch sich in dem Augenblick, wo er Gott verlässt, dem Satan verkauft. Wir bekommen nicht nur die Beschreibung eines sündigen Lebenswandels, sondern sehen auch das bittere Ende. Der Sünde nachzugeben bringt Elend und Not mit sich. Es entsteht eine Leere, die nichts und niemand füllen kann. Die selbstsüchtige Vergeudung seines ganzen Vermögens sorgt nur dafür, dass er schließlich die Leere umso stärker empfindet.

Als er sich in äußerster Verzweiflung an einen der Bürger jenes Landes um Hilfe wendet, sehen wir die Entartung des Sünders. Da ist keine Liebe, sondern Selbstsucht. Der Bürger behandelt ihn nicht als Mitbürger, sondern als Sklaven. Keine Sklaverei ist so tief und erniedrigend wie die unserer eigenen Begierden. Dementsprechend wird er behandelt. Wie muss es sich in den Ohren eines Juden angehört haben, dass dieser jüngere Sohn aufs Feld geschickt wurde, um Schweine zu hüten. Er sinkt auf den tiefsten Punkt von Not und Elend. Doch niemand gibt ihm etwas.

Der Mangel treibt ihn noch nicht zurück, sondern bringt ihn dazu, Hilfsquellen im Land Satans zu suchen, in dem, was das Land zu geben hat. Wie viele Seelen empfinden die Hungersnot, in die sie sich selbst gebracht haben, die Hohlheit von allem, was sie umgibt, ohne dass sie ein Verlangen nach Gott oder nach Heiligkeit haben. Sie verlangen gerade nach entwürdigenden Dingen in der Sünde. Der Satan gibt jedoch nicht, nimmt aber alles. Nur Gott ist der Geber. Das hat Er bewiesen in der größten Gabe, der Gabe seines Sohnes.

Der jüngere Sohn kommt zu sich selbst

Auf dem Tiefpunkt seines Elends kommt er zu sich selbst. Das ist der Beginn der Rückkehr. Um ihn her ist alles fort. Er ist nur noch mit sich selbst allein, und da er nun keine Ablenkung mehr hat, fängt er an, über zu Hause nachzudenken. Er erinnert sich an das, was er verlassen hat. Er ist als Sohn von seinem Vater weggegangen und sitzt nun bei den Schweinen im tiefsten Elend, während die Tagelöhner seines Vaters an nichts Mangel haben.

Da, wo der Geist Gottes wirkt, finden wir immer zwei Dinge: Das Gewissen wird von Sünde überführt, und das Herz wird von der Liebe Gottes angezogen. So offenbart Gott sich der Seele. Gott ist Licht und Gott ist Liebe. Als Licht überführt Er die Seele von ihrem verlorenen Zustand. Als Liebe ist da die Anziehungskraft seiner Güte. Die Folge davon ist ein echtes Bekenntnis.

Der verlorene Sohn fasst einen Entschluss: Er wird zu seinem Vater zurückkehren. Und er beschließt nicht nur, zurückzukehren. Er sieht ein, dass er gesündigt hat, sowohl gegen den Himmel und den, der darin wohnt, als auch gegen seinen Vater. Das Leben eines Sünders ist im Widerspruch zu dem Leben, das die Engel im Himmel führen, die nur tun, was Gott sagt. Der Sohn ist innerlich von seinen Sünden überzeugt und ist bereit, sie offen zu bekennen. Er ist bereit, aufzustehen, und schon dadurch hat er vor Gott anerkannt, dass er gesündigt hat.

Zugleich sieht er ein, dass er jedes Recht verspielt hat, noch als Sohn angenommen zu werden. Das ist das Werk des Geistes Gottes. Er ist wirklich zerbrochenen und zerschlagenen Geistes. Er will den Platz eines Tagelöhners einnehmen. Wenn er den einnehmen dürfte, wäre er damit zufrieden. Der Wunsch war gut, aber gesetzlich, weil er die Gnade nicht kannte. So leben viele Christen. Sie sind nur mit sich beschäftigt und haben noch so wenig verstanden, was im Herzen des Vaters lebt. Es geht nicht darum, was wir gerne wollen, sondern was der Vater gerne will. Das ist so eindrucksvoll in diesem Gleichnis. Es geht nicht um das, was der Sohn will, sondern um das, was der Vater tut.

Der Vater handelt nach der Fülle der Gnade, die Er in seinem Herzen für verlorene Söhne hat. Gottes Verlangen wird nicht dadurch befriedigt, dass Er verlorenen Söhnen den Platz eines Tagelöhners an der Schwelle seines Hauses gibt. Er will Söhne im Bereich und in der Atmosphäre seines Hauses haben. Viele Christen haben keine Vorstellung davon, was Sohnschaft nach dem Wohlgefallen des Willens des Vaters ist (Eph 1:5). Nur durch ein Zurückkehren ist kein Friede da. Echter Friede kommt, wenn wir die Gedanken des Vaters über uns kennenlernen.

Rückkehr und Empfang

Der jüngere Sohn lässt seinen Worten Taten folgen. Er steht auf und geht zu seinem Vater. Viele Christen bringen zum Ausdruck, dass sie gesündigt haben. Sie sehen auch aufrichtig ein, dass sie es nicht wert sind, dass Gott sie annimmt. Sie stehen jedoch nicht auf, sondern bleiben im Elend stecken. Das verunehrt den Vater. Dann ist kein Vertrauen da, dass der Vater bereitsteht, sie zu empfangen. Es können noch so viele Zweifel da sein, aber der Gedanke an die Güte des Vaters wird jemanden dazu bringen, aufzustehen und zum Vater zu gehen.

Der Vater handelt mit seinem Sohn nicht nach dem, was der verdient hat, sondern nach seinem Vaterherzen. Der Vater hat ihn im Herzen nie aufgegeben. Sein Herz ist mit seinem Sohn gegangen. Er hat Ausschau gehalten. Das Wort „fern“ in Lk 15:20 ist dasselbe Wort wie bei dem Ausdruck „ein fernes Land“ in Lk 15:13. Der Vater hat seinen Sohn dort gesehen, und er hat gewartet, bis er zurückkam.

Als der Vater seinen Sohn in der Ferne kommen sieht, wird Er innerlich bewegt. Dann eilt er zu seinem Sohn. Im Bild sehen wir hier, dass Gott im positiven Sinn eilt, was wohl das einzige Mal in der Bibel ist. Ohne ihm auch nur einen Vorwurf zu machen, fällt er seinem Sohn um den Hals und küsst ihn zärtlich, bedeckt ihn mit Küssen. Das hat der Vater nie mit einem seiner Tagelöhner getan. Das ist ein Empfang, wie er für einen Sohn passend ist! So handelt Gott mit jedem Sünder, der umkehrt und zu Ihm kommt.

Der Sohn fängt an zu sagen, was er sich vorgenommen hatte, aber weiter kommt er nicht. Weiterzusprechen ‒ das wird ihm vom Vater unmöglich gemacht. Der Vater lässt ihn nicht ausreden. Bevor der Sohn sagen kann: „Mache mich wie einen deiner Tagelöhner“, handelt der Vater mit ihm nach seinem Vaterherzen. Die Stellung des Vaters bestimmt die Stellung des Sohnes. Die Liebe, die ihn als Sohn empfangen hat, will auch, dass er als Sohn in das Haus hineingeht und so, wie der Sohn solch eines Vaters sein soll. Der Vater hat Knechte. Zu denen gehört der Sohn nicht. Der Vater macht seine Knechte zu Dienern seines Sohnes.

Der Sohn steht da in seinen schmutzigen, zerrissenen Kleidern. Das ist keine Kleidung, die für einen Sohn passend ist, und es ist keine Kleidung, die für das Haus des Vaters passend ist. Der Vater hat jedoch ein Kleid bereithängen. Die Knechte stehen bereit, um dem verlorenen Sohn dieses Kleid anzuziehen. Der Vater braucht seinen Knechten nur den Auftrag zu geben, das beste Kleid hervorzuholen und es ihm anzuziehen. Die Knechte brauchen nicht zu fragen, wo es hängt. Es hängt fertig da für den Sohn.

Als wir zu Gott kamen, da kamen wir auch in unseren von der Sünde befleckten Kleidern. Aber Gott hat für neue Kleider gesorgt. Für uns hingen sie schon vor Grundlegung der Welt bereit. Er hat uns mit Christus bekleidet. Er hat uns angenehm gemacht in dem Geliebten (Eph 1:6). Mit Christus bekleidet, gehen wir in das Vaterhaus, als Gottes Gerechtigkeit in Ihm (2Kor 5:21). Das ist das beste Kleid, das Kleid des Himmels.

Der Sohn erhält als Zeichen einer besonderen Ehre und Würde auch einen Ring an die Hand gesteckt, wie wir das bei Joseph sehen (1Mo 41:42). Er bekommt auch Sandalen an die Füße. Seine Füße werden beschuht mit der Bereitschaft des Evangeliums des Friedens (Eph 6:15). Er ist im Vaterhaus mit vollkommenem Frieden im Herzen, der ihm im Evangelium zuteilgeworden ist. Er wird für ewig als Sohn dort bleiben (Joh 8:35). Sandalen sind kennzeichnend für unseren Wandel als Söhne Gottes.

Der Sohn empfängt viel mehr, als er hatte, ehe er wegging. So machen die neutestamentlichen Knechte Gottes den bekehrten Sünder damit bekannt, was er in Christus alles bekommen hat. Wir sehen das bei Paulus, der jeden Menschen vollkommen in Christus darstellen will (Kol 1:28). Er predigte nicht nur die Bekehrung, sondern gab auch jedem, der sich bekehrte, Unterweisung im Wort Gottes.

Schließlich lässt der Vater das gemästete Kalb herbringen und es schlachten. Das wollen sie dann essen und fröhlich sein. Er sagt nicht: „Lasst ihn essen“, sondern: „Lasst uns essen.“ Es wird eine Mahlzeit zubereitet, die sie gemeinsam essen, wo sie zusammen an allen Segnungen teilhaben, die der Sohn nun mit dem Vater gemeinsam haben kann. Das geschieht in Fröhlichkeit.

Das gemästete Kalb ist ein Bild von dem Herrn Jesus, der für unsere Sünden geschlachtet wurde. In Lukas sehen wir Ihn als das Friedensopfer. Er ist das Lamm, das geschlachtet worden ist, und um Ihn versammelt dürfen alle Gläubigen, alle Söhne des Vaters, sich gemeinsam mit dem Vater an den Segnungen des Vaters erfreuen. Das Lamm gab dem Vater die Möglichkeit, diesem Menschen alle seine Wohltaten, sein ganzes Wohlgefallen an dem Menschen, zu erweisen. Die Freude besteht darin, gemeinsam am Opfer Christi teilzuhaben. Das knüpft das Band der Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn und untereinander.

Der Vater sagt von seinem Sohn: „Dieser mein Sohn …“ Er hat noch einen anderen Sohn, aber dieser Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden. Das ist in der Begebenheit von der verlorenen und wiedergefundenen Drachme veranschaulicht und zeigt, dass etwas in ihm geschehen ist. „Dieser Sohn“ war auch verloren und ist gefunden worden. Das ist in der Begebenheit vom verirrten und gefundenen Schaf veranschaulicht: Mit ihm ist etwas geschehen. Beide Aspekte sind bei einer Bekehrung immer vorhanden.

Die Folge ist eine nicht endende Fröhlichkeit. Was Frieden gibt und unsere Stellung entsprechend der Gnade kennzeichnet, sind nicht die Gefühle, die in unserem Herzen gewirkt sind, obwohl sie wirklich vorhanden sind, sondern die Gefühle Gottes selbst. Auch heißt es hier nun nicht, wie in den beiden anderen Fällen, dass Freude im Himmel ist, sondern wir sehen die Auswirkung auf der Erde, sowohl in dieser einen Person als auch im Herzen anderer.

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