Luke 6:39

Das Richten anderer

Wenn die bisherige Belehrung zu Herzen genommen wurde, droht eine andere Gefahr, und die besteht darin, dass man sich besser als andere und anderen überlegen fühlt. So ist Gott in der Welt nicht aufgetreten. Wenn der Jünger das vergisst, wird er von einem Kritikgeist erfasst, was sich darin äußert, dass er an allem Kritik übt, was nicht dieser früheren Belehrung entspricht.

Der Herr warnt seine Jünger vor einem stolzen Geist, dem Dünkel, alles zu richten. Das bedeutet, sich eine ausgesprochene Meinung über etwas zu bilden, was jemand tut und worüber man urteilt, dass es nicht gut ist, ohne dass dieses Urteil dem Jünger zusteht. Verurteilen bedeutet, jemanden aufzugeben, der nach dem Urteil des Jüngers nicht richtig handelt. Der Jünger muss damit rechnen, dass er, wie er urteilt und verurteilt, selbst auch beurteilt und verurteilt wird.

Der Herr drückt es negativ aus. Wenn du das nicht tust, wird es auch mit dir nicht geschehen. Darum müssen wir unsere Meinung über andere loslassen, wir müssen anderen die Freiheit geben und sie dem Herrn überlassen. Wir werden das selbst als wirkliche Befreiung erfahren. Immer zu glauben, über alles ein Urteil haben und verurteilen zu müsse, ist Gebundenheit. Wenn wir lernen, loszulassen, werden wir in wirklicher Freiheit leben, das heißt, dass wir dem Herrn dienen können, wie Er das gern will. Statt an anderen Kritik zu üben, sollen wir anderen geben. Wenn wir das tun, werden wir auch Vergeltung empfangen, und zwar auf eine beindruckend überfließende Weise.

Der Herr führt dazu ein Beispiel vom Markt an. Jemand, der Korn kaufte, kaufte das in einem Hohlmaß. Der Kaufmann füllte das Korn da hinein. Er konnte es locker einfüllen, aber er konnte auch versuchen, so viel wie möglich hineinzugeben, indem er das Korn schüttelte und presste. Er konnte sogar noch einen Becher drauf geben, so dass das Maß überlief. So wird Gott mit uns im Überfluss handeln. Wir werden von Gott über das hinaus empfangen, was wir wirklich verdient haben. Der allgemeine Grundsatz ist, dass uns getan wird, wie wir selbst getan haben. Das gilt sowohl für das Üben von Kritik wie für das Geben.

In einem Gleichnis spricht der Herr Jesus darüber, wie die Eigenschaften Gottes sichtbar gemacht werden können. Gott können wir nicht sehen, seine Söhne dagegen können wir sehen. Dabei kann es um echte Söhne gehen, solche, die durch Christus sehend gemacht sind und die dadurch Gott kennen und seine Eigenschaften zeigen können. Es kann jedoch auch um solche gehen, die sich anmaßen, mit Gott in Verbindung zu stehen. Sie behaupten, Ihn zu kennen, und werfen sich als Führer anderer auf. Der Herr macht uns entsprechend unserem Bekenntnis verantwortlich, nach dem, was zu sein wir vorgeben und anderen zeigen. Meinen wir, dass wir sehen und andere leiten können? Jedenfalls kann ein Blinder nicht einen Blinden leiten. Ein Blinder ist jemand, der Christus kennt.

Wenn wir nicht auf Ihn sehen und Ihm ähnlich sind, können wir niemals einem anderen den guten Weg zeigen. Wir kommen gemeinsam mit denen um, die uns folgen. Das können unsere Kinder sein, das können Mitchristen sein. Ein Jünger soll sich nicht anmaßen, mehr zu sein als sein Lehrer. Ein echter Jünger will seinem Lehrer gleichen, wie ein echter Sohn seinem Vater gleichen will. Und das nicht nur ein wenig, sondern in allem. „Vollendet“ bedeutet: Jemand, der vollkommen unterwiesen und durch die Unterweisung des Lehrers ganz geprägt ist und ihm dadurch gleicht. Er wird seinem Lehrer in allem gleich sein, worin er durch diesen geprägt worden ist. Christus war und ist die Vollkommenheit, und wir wachsen in allen Dingen zu Ihm hin, zu dem Maß des vollen Wuchses der Fülle des Christus (Eph 4:13-15; Kol 1:28).

Vielleicht ist unser Problem nicht so sehr, dass wir blind sind. Wir sehen ja, wir kennen den Herrn, aber unser Problem ist, dass wir so wenig auf Ihn sehen. Wir sind zwar nicht blind, aber wir sind doch in unserem Sehvermögen sehr eingeschränkt, und das, ohne es selbst zu durchschauen. Wir meinen sogar, so scharf zu sehen, dass wir den Splitter im Auge unseres Bruders wahrnehmen können, wobei wir nicht begreifen, dass wir selbst einen Balken im Auge haben. Der Herr benutzt diese Übertreibung, um zu zeigen, wie blind wir für unsere eigenen Fehler sind, während anderen die deutlich auffallen. Wir dagegen denken, dass wir den geringen Mangel im Leben unseres Bruders haarscharf beurteilen können.

Wir müssen zweierlei kennenlernen: wer der Herr ist und wer wir selbst sind. Jemand, der den Balken in seinem eigenen Auge nicht sieht, hat sein Auge nicht auf den Herrn gerichtet und kennt sich selbst nicht. Es geht sogar noch weiter. Es ist nicht nur so, dass der Balken im eigenen Auge vorhanden ist und man trotzdem den Splitter im Auge des anderen wahrnimmt. Da bildet man sich auch noch ein, man könne schnell den Splitter aus dem Auge des Bruders entfernen, ohne auch nur das geringste Empfinden für den Balken im eigenen Auge zu haben.

Jünger können gänzlich blind sein für ihre eigenen offensichtlichen Fehler, über die sich viele in ihrer Umgebung ärgern. Es ist wirklich erschütternd, wie leicht solche Menschen eine kleine Unfreundlichkeit in einem Mitjünger aufdecken, über die sie sich ärgern, und dann sogar auch noch anbieten, mal eben die ärgerliche Taktlosigkeit zu entfernen. Der Herr nennt solche Jünger Heuchler. Sie sollten sich zuerst einmal selbst ansehen. Erst wenn sie sich selbst im Licht Gottes gesehen und verurteilt haben, können sie einem anderen helfen.

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