Matthew 15:24

Die kanaanitische Frau

In den vorigen Versen haben wir ein so superfrommes Volk gesehen, dessen Herz aber in Wirklichkeit weit von Gott entfernt war. Der Herr verlässt das Gebiet Israels, um die Orte aufzusuchen, die von den jüdischen Vorrechten am weitesten entfernt waren, zu den Städten, die Er zuvor als Beispiele für Unbußfertigkeit angeführt hatte (Mt 11:21; 22). Hier nun trifft Er eine heidnische Frau, die zwar äußerlich weit von Gott entfernt, innerlich Gott aber ganz nah ist, Sie stammt aus einem verfluchten Geschlecht, aus Kanaan. Die Bezeichnung „kanaanitisch“ unterstreicht noch einmal nachdrücklich, dass sie unter dem Fluch stand, in völligem Gegensatz zu dem Volk, dem der Segen Gottes verheißen war.

Sie ist in großer Not. Ihre Tochter ist schlimm besessen und sie appelliert deshalb an das Erbarmen des Herrn, den sie als „Sohn Davids“ ansprach – völlig untypisch für diese heidnische Frau. Er ist in der Tat Davids Sohn, aber nicht für sie, sondern allein für sein eigenes Volk. Sie muss deshalb zuerst lernen, auf der angemessenen Basis zu Ihm zu kommen. Sie kann Ihn nicht als Angehörige des Volkes Gottes ansprechen, und deshalb kann Gott ihr so keine Hilfe bieten. Auch uns hat der Herr ja nicht in seiner Eigenschaft als Messias Israels segnen können.

Der Herr antwortet ihr nicht. Es mutet einen seltsam an, dass der Herr auf den Hilferuf eines Menschen in Not nicht reagiert. Diese Frau aber ruft Ihn als Sohn Davids an, und als solcher hat Er mit dieser heidnischen Frau nichts zu tun. Deshalb antwortet Er ihr nicht, schickt sie aber auch nicht fort. Gerade das wollten aber die Jünger; sie wollen, dass der Herr die Frau wegschickte, weil sie hinter ihnen her schreit. Sie wollen mit dieser Frau lieber nichts zu tun haben und bringen für das Mitgefühl des Herrn kein Verständnis auf. Der Herr geht auf das Ansinnen der Jünger ein, indem Er ihnen das Ziel seiner Sendung nennt: Er ist nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt. Damit stellt Er fest, dass Israel genau so verloren ist wie diese Frau und dass es Hoffnung nur für solche geben kann, die das anerkennen.

Die Frau wird diese Worte des Herrn wohl mitgehört haben, denn sie lässt nicht nach und hält sich an die vom Herrn angedeutete Grundlage der Gnade, für die es keine Grenze gibt. Die Frau zeigt einen ausdauernden Glauben und bittet den Herrn noch einmal um Hilfe in ihrer Not. Die Antwort des Herrn klingt zunächst noch abweisender. Zuerst hatte Er ihr zu verstehen gegeben, dass sie keine Israelitin war und somit auf seine Zuwendung keinen Anspruch hatte; jetzt aber sagt Er ihr unmissverständlich, dass sie zu den Völkern gehört, die Er mit verachteten Hunden gleichsetzt.

Und nun sehen wir, welche Wirkung diese Worte des Herrn haben: Durch seine scheinbare Härte hat der Herr erreicht, dass die Frau ihren wahren Platz vor Gott empfindet und sich auch dazu bekennt – ähnlich wie Mephiboseth einst die Stellung eines toten Hundes einnahm (2Sam 1:8). Das bedeutet keineswegs, dass Gott ihr gegenüber weniger gütig und barmherzig ist. Das würde ja eine Selbstverleugnung Gottes einschließen, eine Verkennung seines Charakters und seiner Natur, die im Herrn Jesus ihren Ausdruck findet. So konnte Er nicht etwa sagen: Gott hat für solche Menschen keinen Krümel übrig. Die Krümel werden den Hunden ja nicht absichtlich zugeworfen, sondern sie fallen aus Versehen herab, und es ist Gnade, dass die Hunde sie fressen dürfen. Niemand, der jemals an die Gnade Gottes appelliert, tut das vergeblich.

Der Herr antwortet jetzt aus der Fülle seines Herzens. Zum zweiten Mal erkennt Er einen großen Glauben, und wieder bei einem Heiden (vgl. Mt 8:10). Beide verurteilen sich und denken gering von sich selbst. Nur so entsteht dieser große Glaube, und aus Gnaden empfängt die Frau alles, während sie ihre eigene völlige Unwürdigkeit erkennt. Auf diese Weise und nur so (!) kann eine Seele den Segen empfangen.

Dies alles hängt nicht nur davon ab, dass die Not echt empfunden wird. Das war ja schon von Anfang an der Fall und hat die Frau zum Herrn geführt. Es reicht auch nicht, dass man dem Herrn die Rettung aus aller Not zutraut. Wir müssen in der Gegenwart der einzigen Segensquelle zu der Einsicht gebracht werden, dass wir, obwohl wir dort sind, keinerlei Anrecht darauf haben, in ihren Genuss zu kommen. Wenn man einmal dahin gelangt ist, ist alles nur Gnade. Gott kann dann gemäß seiner eigenen Güte handeln, und Er entspricht dem Verlangen des Herzens, das so in Gemeinschaft mit Ihm glücklich wird.

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