Matthew 27:45

Von Gott verlassen

Alle Menschen hatten sich gegen den Herrn gewendet. Nun folgt die Schöpfung: Es wird finster. Jede Aussicht wird dem Herrn genommen. In grenzenloser Einsamkeit hängt Er zwischen Himmel und Erde. Die Erde wollte Ihn nicht und erhöhte Ihn, nun verschließt sich auch der Himmel über Ihm. Die Finsternis ist nicht nur eine völlig unnormale Naturerscheinung, denn es ist ja mitten am Tag! Diese besondere Finsternis ist auch ein Zeichen dafür, was in diesen Stunden geschehen ist. In diesen Stunden herrscht auch Finsternis in der Seele des Herrn Jesus. Er wird mit den Sünden all derer beladen, die seit Adam an Ihn geglaubt haben, sowie aller, die noch an Ihn glauben werden, bis Er den neuen Himmel und die neue Erde errichten wird. Außerdem wird Er zur Sünde gemacht, zu der Quelle, aus der alle Sünden hervorgekommen sind (2Kor 5:21). Auf diese Weise richtet Gott in seinem vielgeliebten Sohn alles, was seinem Willen zuwider in die Schöpfung eingedrungen ist. Er hat Ihn nicht verschont (Röm 8:32).

Am Ende dieser für uns undurchdringlichen Stunden erklingt der Schrei des Herrn Jesus: „Eli, Eli, lama sabachthani?“ Die Tiefe dieses Rufes ist für uns nicht zu ergründen. Der Herr Jesus war immer in vollkommener Gemeinschaft mit seinem Gott. Niemals hatte es irgendeine Störung zwischen Ihm und Gott gegeben. Er war Gottes „Genosse“ (Sach 13:7). Mehrfach hatte der Vater sein Wohlgefallen bezeugt, das Er an seinem Sohn hatte (Mt 3:17; Mt 17:5). Die gesamte Zeit seines Lebens auf der Erde ist Er in vollem Umfang seinem Gott zur Freude gewesen. Dabei war Er der einzige Mensch, der alle Gebote Gottes vollkommen befolgt hat. Und Er hat darüber hinaus noch viel mehr getan, indem Er auch das erfüllte, was das Gesetz gar nicht verlangte. Und bei allem erbringt der Sohn diesen Gehorsam Gott gegenüber aus einer vollkommenen Liebe zu seinem Vater. Es ist seine Speise, den Willen des Vaters zu erfüllen (Joh 4:34).

Und diesen Sohn, der Ihn in allem so geehrt hat, macht Gott jetzt zur Sünde. Als das Abscheulichste, was es auf der Erde gibt, stößt Gott Ihn von sich weg. Das Schwert seiner Gerechtigkeit erwacht und schlägt Ihn (Sach 13:7). Von dem, was der Herr Jesus in diesen drei Stunden erlebt hat, können wir in Psalm 22,1–22a etwas lesen. Nach den drei Stunden der Finsternis, in denen der Herr Jesus, zur Sünde gemacht, Gottes Gericht über die Sünde empfing, bringt Er die Größe und Tiefe seines Schmerzes mit den Worten zum Ausdruck: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Ps 22:2a).

Dies ist eines der wenigen Male, dass der Heilige Geist einen Ausspruch des Herrn Jesus im originalen Wortlaut wiedergibt, um für uns dann die Übersetzung hinzuzufügen. Dass die Wehklage des Herrn in derselben Sprache wiedergegeben wird, die Er selbst benutzt hat, verstärkt das Mitempfinden mit seinem Leid. In der Sprache seines vertraulichen Umgangs äußert Er seine tiefsten Empfindungen über die Verwerfung, die Er nun erlebt. Alles, was Menschen Ihm angetan haben, hat Er klaglos und schweigend ertragen. Nun aber hat sein Gott, der immer bei Ihm gewesen war, Ihn verlassen – das ist unerträglich! Bis in den tiefsten Grund seiner Seele empfindet Er, dass Gott sich gegen Ihn gewendet hat.

Er spricht Gott als seinen Gott an. Immer ist Gott für Ihn „mein Gott“ gewesen; hier nun sagt Er es zweimal, wodurch es verstärkt zum Ausdruck kommt, wie sehr dieser Umgang mit seinem Gott Ihm jetzt fehlt. Dann fragt Er Gott, warum Er Ihn verlassen habe. Auch darin kommt seine Vollkommenheit zum Ausdruck. Denn auch dadurch, dass Er unsere Sünden auf sich nahm, hat Er ja den Willen Gottes erfüllt. Zugleich konnte Gott aufgrund dessen keinen Umgang mit Ihm haben, da Sünde ja immer eine Trennung zwischen Menschen und Gott bewirkt. In den Stunden der Finsternis hat das den Herrn Jesus in aller Konsequenz betroffen. Wir wissen, warum Gott Ihn verlassen musste: Es war wegen unserer Sünden, die uns von Gott trennten. Diese Scheidung hat der Herr Jesus aufgehoben, indem Er sie selbst ertrug. Was für eine Gnade!

Die Umherstehenden legen seine Worte bewusst verkehrt aus. Was Er in seiner größten Not zu Gott ruft, wird Ihm spottend als ein Hilferuf an Elia ausgelegt. Und siehe da! Jemand hat tatsächlich Mitleid mit Ihm. Angetan durch das, was er hört und sieht, will dieser Zuschauer dem Herrn zu trinken geben, um seine Leiden zu mildern. Zugleich erfüllt er damit das Wort aus Psalm 69 (Ps 69:22). Gott sorgt dafür, dass jede Einzelheit seines Wortes Wahrheit wird, und der Herr Jesus selbst ist die Erfüllung.

Die bösen Menschen aber kennen keine Gnade. Der Mann, der dem Herrn zu trinken geben wollte, wird von ihnen zurückgehalten. Sie setzen ihre Verspottung fort. Sie wollen jetzt sehen, ob Elia kommt, um Ihn zu erlösen. Sie haben soeben die Finsternis erlebt, aber deren angsteinflößende Eindrücke sind augenblicklich wieder verschwunden, sobald die Dunkelheit vorbei ist. So reagieren viele Menschen in Angstsituationen. Sie kommen Gott dadurch nicht näher, sondern sie leben in ihrer Gottlosigkeit weiter, sobald ihre Lage sich wieder zum Guten verändert hat.

Dann ruft der Herr noch einmal, zum letzten Mal, „mit lauter Stimme“. Diese laute Stimme zeigt, dass seine Kraft ungebrochen ist. Danach übergibt Er seinen Geist – in einer bewussten, von Ihm selbst gewollten Handlung. Für jeden anderen Menschen wäre das eine Sünde, für Ihn aber ist es eine vollkommene Handlung. Bis in den Tod hinein vollbringt Er alles, was in der Schrift über Ihn geschrieben steht. Auch sein Tod ist ein übernatürliches Ereignis und wird begleitet von übernatürlichen Zeichen, die in den folgenden Versen beschrieben werden.

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