Philemon 10

Liebe und Glaube und ein Appell

Phlm 1:4. Paulus beginnt den Brief an Philemon, wie er viele seiner Briefe beginnt: Er dankt Gott für das, was er über Philemon gehört hatte. „Ich danke meinem Gott“, sagt er zu Philemon. Das weist auf das persönliche und vertraute Verhältnis hin, das Paulus zu Gott hatte. Ein solches Verhältnis ist von großer Bedeutung. Ich hoffe, dass auch du von Gott „mein Gott“ sagen kannst und dass du in der Fürbitte für andere vertrauten Umgang mit Ihm pflegst. Paulus dachte stets in seinen Gebeten an Philemon. Wenn er in seinen Gebeten Philemons Namen erwähnte, dann geschah das nicht, um Gott etwas zu sagen, was ihm Sorge bereitete. Natürlich darfst du auch die Sorgen vor Gott ausbreiten, die du um andere hast.

Doch gibt es auch Gläubige, bei denen du sofort Dankbarkeit empfindest, wenn du an sie denkst, weil sie so viel Liebe und Glauben haben? Lässt du sie das auch einmal spüren? Es wird Philemon zweifellos gutgetan haben, dass Paulus in seinen Gebeten immer an ihn dachte. Trotz der Tatsache, dass sie einander wahrscheinlich seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatten, hatte Paulus ihn nicht vergessen. Ich hoffe, dass auch du nicht aufhörst, für Gläubige zu beten, denen du einmal begegnet bist und die dich beeindruckt haben, und dass dein Gebet für sie nicht mit der Zeit nachlässt.

Phlm 1:5. Grund für die Dankbarkeit, die Paulus empfand, waren die Berichte, die er über Philemon empfangen hatte. Diese Berichte gaben Zeugnis von seiner Liebe und seinem Glauben. Liebe und Glaube gehören zusammen. Die Liebe, Hauptthema dieses Briefes, wird hier zuerst genannt. Philemon hatte Liebe zum „Herrn Jesus und … zu allen Heiligen“. Das gehört zusammen. Du kannst nicht von Liebe zum Herrn Jesus reden und gleichzeitig eine Abneigung gegen deine Brüder und Schwestern haben (1Joh 4:20). Mit Glauben ist Glaubensvertrauen gemeint, es kann aber auch mit Treue übersetzt werden. Philemon vertraute dem Herrn Jesus und den Heiligen.

Dem Herrn Jesus zu vertrauen, das mag ja gehen. Aber vertraust du auch deinen Geschwistern? Es ist schon so, dass es für eine gesunde Gemeinschaft wirklich unerlässlich ist, dass man von Vertrauen zueinander ausgeht. Das hat nichts mit Naivität zu tun. Du bist nüchtern genug, um zu wissen, dass dich auch einmal jemand betrügen kann. Trotzdem ist es nicht leichtfertig, wenn du den Heiligen vertraust. Wenn du anfängst, ihnen zu misstrauen und ihnen zu unterstellen, dass sie nicht ehrlich sind, ohne dafür deutliche Hinweise zu haben, richtet das die Gemeinschaft zugrunde. Misstrauen ist ein großes Übel. Bei Philemon war das Gegenteil der Fall.

Paulus sagt diese Dinge nicht, um Philemon zu schmeicheln. Es stimmte wirklich, dass Philemon Liebe und Vertrauen zu allen Heiligen hatte. Gleichzeitig sagt Paulus das sicher auch, um Philemon auf das vorzubereiten, was er kurz darauf für Onesimus von ihm erbitten wird. Dieser entlaufene Sklave gehörte nun ebenfalls zu „allen Heiligen“. Es ist so, als müsste Philemon seine Liebe zu „allen Heiligen“ nun dadurch unter Beweis stellen, dass er Onesimus Liebe erweist. Vielleicht hast du auch schon einmal empfunden, dass es manchmal einfacher ist, Geschwister zu lieben, die weit weg von dir wohnen, als die, die du jeden Tag siehst und mit denen du jeden Tag zu tun hast.

Wenn man einander besser kennenlernt, hat das manchmal zur Folge, dass die Liebe abnimmt oder sogar aufhört; es kann aber auch sein, dass sie zunimmt. Letzteres ist natürlich das Ziel. In einer Ehe ist das auch so. Am Anfang sieht jeder bei dem anderen nichts Negatives. Wenn man einander besser kennenlernt, lernt man auch die weniger schönen Seiten des anderen kennen. Wenn man dann anfängt, einander Vorwürfe zu machen, läuft die Sache schief. Nimmt man sich darin jedoch gegenseitig an, wird das Band nur noch fester.

Phlm 1:6. Nachdem Paulus von seinem Dank gesprochen hat für das, was er über Philemon gehört hatte, schreibt er ihm, warum er für ihn betet, und leitet das mit dem Wörtchen „dass“ oder „damit“ ein. Er wünscht, dass die Gemeinschaft von Philemons Glauben stark sei, damit er all das Gute anerkennt, das in ihnen Christus gegenüber ist. Auch das dient zur Vorbereitung, um das Herz des Philemon mit den Gefühlen des Paulus auf eine Linie zu bringen. Philemon wird in der Gemeinschaft des Glaubens stark sein müssen, um Onesimus, der ihm geschadet hatte, vergeben und als einen Bruder aufnehmen zu können. Auch Onesimus hat nun in dieser Gemeinschaft des Glaubens seinen Platz, und um Onesimus so sehen zu können, benötigt Philemon die Kraft des Herrn. Der Herr will sie ihm geben.

Um Philemon das deutlich zu machen, möchte Paulus, dass Philemon weiß, was sein Herz in Bezug auf den Herrn bewegt. Sein Herz ist voll davon, Gutes für Christus zu tun. Wenn das auch bei Philemon so wäre, dann würde es diesem umso leichter fallen, Onesimus zu vergeben und ihn aufzunehmen. Paulus beginnt hier nicht im Einzelnen darzulegen, worin all das Gute in seinem Herzen bestand, das er für Christus tun wollte. Er betet nur dafür, dass der Herr dies Philemon deutlich machen möge.

Du brauchst es nicht vor dir her zu posaunen, was du alles für den Herrn tust und wie großartig dein Glaubensleben ist, damit andere das auch ja sehen. Leute, die mit ihrer großen Kenntnis und ihrem Glauben angeben, sind mehr mit sich selbst beschäftigt als mit dem Herrn. Wenn du möchtest, dass andere Jesus Christus in dir erkennen, dann bete dafür. Das Gute in dir ist nicht dein Fleisch. Darin wohnt nichts Gutes (Röm 7:18). Das Gute ist der Glaube und was durch ihn bewirkt wurde. Wo Glaube ist, ist auch das Gute. Wo kein Glaube ist, gibt es auch nichts Gutes.

Phlm 1:7. Paulus hatte manches Gute über Philemons Dienst gehört. Die Heiligen waren in ihrem tiefsten Inneren durch Philemon belebt worden. Alle, die mit ihm in Berührung kamen, sahen und empfanden seinen Glauben und seine Liebe. Sie wurden dadurch erquickt, was etwas mit Ruhe zu tun hat, mit einer Arbeitspause, durch die man neu gestärkt wird, um weiterarbeiten zu können.

Diese Berichte waren auch für Paulus eine Wohltat. Sie haben ihn erfreut und getröstet. Es ist schön, wenn man sich an dem, was von einem anderen berichtet wird, erfreuen kann. So mitten im Satz spricht Paulus ihn einfach noch einmal als „Bruder“ an. Das passt in das Konzept eines Briefes, der ganz besonders die Empfindungen des Gläubigen anspricht. Paulus betont damit noch einmal, dass er und Philemon auf derselben Grundlage der Gnade stehen. Hier fehlt jegliche Schärfe im Ton.

Phlm 1:8. Es ist nicht so, dass Paulus nicht hätte befehlen können, Onesimus als Bruder aufzunehmen. Er hatte dazu sogar „große Freimütigkeit“. Das war aber keine menschliche Freimütigkeit, sondern eine Freimütigkeit in Christus. Christus hatte ihm sozusagen die Freiheit gegeben, das zu befehlen. Wenn er das getan hätte, hätte er nichts Verkehrtes getan.

Phlm 1:9. Trotzdem machte er von dieser Freimütigkeit keinen Gebrauch, weil er ein höheres Motiv hatte: das Motiv der Liebe. Wenn du zu einer Sache Freimütigkeit hast, dann ist es, wie du siehst, noch nicht selbstverständlich, dass du auch davon Gebrauch machst.

Um die Dinge richtig abzuwägen, wie Paulus das hier tut, muss man schon nahe beim Herrn sein, seine Gesinnung haben und allein auf die Interessen des Herrn und die des anderen ausgerichtet sein. Es ist natürlich viel einfacher, etwas zu befehlen, besonders, wenn man dazu befugt ist. Mit viel Mühe und Anstrengung einen anderen zu einem bestimmten Handeln zu bewegen, ist viel schwieriger. Dazu musst du, ebenso wie Paulus, etwas von der Liebe Gottes als dem Wesen des Christentums verstanden haben. Da geht es nicht um befehlen, um das Halten von Gesetzen, sondern um den Glauben, der durch die Liebe wirkt (Gal 5:6). Natürlich gibt es Gebote, die wir zu befolgen haben (z. B. 2Thes 3:6). Hier geht es aber darum, Gnade und Liebe zu erweisen. Es geht darum, wie Gläubige miteinander umgehen und wie sie sich gegenseitig annehmen. Das kann man nicht durch einen Befehl regeln. Dazu muss man an die Liebe appellieren, so wie Paulus hier an Philemons Liebe appelliert. Angesichts der Liebe, für die Philemon bekannt war, wäre ein Befehl auch unpassend gewesen.

Paulus spricht Philemons Herz an, wenn er sich ihm als „Paulus, der Alte“ und nochmals als „ein Gefangener Christi Jesu“ vorstellt. Paulus wird hier etwa 60 Jahre alt gewesen sein. Nach unserer Vorstellung ist er damit noch nicht wirklich alt. Trotzdem bezeichnet er sich als einen alten Mann, was sicher auch an den vielen Entbehrungen liegt, die er durchgemacht hatte. Das konnte man ihm wahrscheinlich ansehen.

Vor Philemons innerem Auge entsteht jedenfalls nicht das Bild einer beeindruckenden Persönlichkeit, eines Mannes mit einer starken Ausstrahlung, der leidenschaftlich argumentiert. Für das natürliche Empfinden hat der einst so große Apostel an Würde verloren. Aber gerade ein solches Auftreten ist ein viel stärkerer Appell an die Herzensbereitschaft Philemons, wenn er den großen Apostel so demütig im Blick auf Onesimus bitten hört. Er sieht, wie Paulus den Platz eines armen Bittstellers einnimmt (Spr 18:23).

Phlm 1:10. Bis jetzt konnte Philemon sich gefragt haben, worauf Paulus eigentlich hinauswollte und was wohl der Inhalt seines Anliegens war. Nun aber kommt Paulus zur Sache: Sein Anliegen an Philemon betrifft Onesimus. Wenn Paulus dessen Namen ganz unvermittelt genannt hätte, wären bei Philemon wohl allerlei unangenehme Erinnerungen und unschöne Gefühle hochgekommen. Doch Paulus lässt der Namensnennung von Onesimus eine Beschreibung vorausgehen, die die Gefühle Philemons sicher besänftigt haben.

Paulus spricht über Onesimus als mein „Kind, das ich gezeugt habe in den Fesseln“. Diese Mitteilung hört sich fast wie eine Geburtsanzeige an. Eine Geburt ist ein freudiges Ereignis. Meist steht auf einer Geburtsanzeige, dass man „mit Freuden“ die Geburt bekanntgibt. So spürst du die Freude des Paulus, wenn er mit dieser Formulierung Philemon mitteilt, dass er während seiner Gefangenschaft ein geistliches Kind gezeugt hat.

Es kann durchaus sein, dass der feinfühlige Philemon beim Lesen tief empfunden hat, dass dieses Ereignis für Paulus ein großer Trost gewesen sein muss. Paulus hatte erleben dürfen, dass er jemanden zum Herrn hatte führen dürfen, obwohl er in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt war. Das konnte nur das Werk Gottes sein. Ich weiß nicht, ob er schon sofort so weit war, dass er sich mit Paulus über diese neue Geburt freuen konnte. Doch wird das sicher seine Gefühle beschwichtigt haben. Der Brief ist damit auch noch nicht beendet. Paulus setzt seine vorbereitenden Bemühungen weiter fort, die Philemon bewegen sollen, sich mit Onesimus zu versöhnen.

Wir nennen ihn Onesimus. So hätte auf der Geburtsanzeige stehen können. Dieser Name bedeutet „nützlich“. Mit diesem Namen hatten seine Eltern die Erwartung ausgedrückt, dass so sein Leben sein möge: nützlich. Leider entsprach er den Erwartungen seiner Eltern nicht. Das Gegenteil hatte sich gezeigt. Doch dies hatte sich mit seiner Bekehrung geändert: Aus dem „Nutzlosen“ wurde ein „Nützlicher“. So sollte es bei jedem Bruder und jeder Schwester sein. Die Liebe geht davon aus, dass sich jeder Bruder und jede Schwester zum Nutzen einbringt. Die Bekehrung macht aus jemandem, der nur an sich selbst denkt und auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist, einen Menschen, der für andere nützlich ist.

Lies noch einmal Philemon 1,4–10.

Frage oder Aufgabe: Was könnten andere über deine Liebe und deinen Glauben berichten?

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