Daniel 9:1-6

Anlass zum Gebet

Die Herrschaft des babylonischen Reiches ist zu Ende gegangen. Die Regierung befindet sich in der Hand der Meder und Perser, dem zweiten Reich. Hier befinden wir uns im ersten Jahr, in dem Darius zum König „über das Reich der Chaldäer“, dem eroberten Babel, ernannt wurde. Daniel ist jetzt mehr als 70 Jahre im Exil. Er hat den Aufstieg und Fall Babels erlebt. Jetzt sind die Meder und Perser an der Macht. In beiden Reichen nimmt er eine hohe Stellung ein.

Aber alle seine Erlebnisse sowie die hohe Stellung, die er bekleidet, haben seine Liebe zu Gott, zu Gottes Wort und Gottes Volk nicht geschwächt. Auf ihn trifft das, was wir in Psalm 137 lesen, was die Gefühle der Weggeführten in Babel widerspiegelt, vollkommen zu (Ps 137:5; 6).

Seine Liebe zu Jerusalem führt ihn zu „den Schriften“ des Alten Testaments, soweit sie ihm zur Verfügung stehen. In einer dieser Schriften, dem Buch des Propheten Jeremia, bemerkt er, dass von der Anzahl der Jahre die Rede ist, die die Zerstörung Jerusalems dauern würde (Jer 25:11b; Jer 29:10). Daniel sieht, dass der erste Teil der Prophezeiung erfüllt ist, nämlich der Untergang Babels. Er glaubt auch an den zweiten Teil, also die Wiederherstellung Jerusalems.

Obwohl Daniel selbst ein privilegierter Prophet ist, der die Gedanken Gottes empfängt und weiter gibt, tritt er auch an die Stelle eines Schülers. Er möchte von anderen, von Gott inspirierten Propheten lernen, um Gottes Gedanken zu kennen. Diese Haltung ist notwendig, um geistlich zu wachsen und um Weisheit und Kenntnis zu vermehren.

Daniel macht seine Entdeckung „im ersten Jahr Darius’“. Die tatsächliche Rückkehr wird nicht lange auf sich warten lassen. In dem Moment, als Daniel vom Ende der 70 Jahre liest, gibt es aber noch keine Hinweise, die die Hoffnung auf eine Rückkehr rechtfertigen. Dass Gott eine Tür für sein Volk öffnet, um in sein Land zurückzukehren, entdeckt er in „den Schriften“. Er wird von Gottes Wort geleitet, nicht von den Umständen. Er bittet auch nicht um eine besondere Offenbarung. Gottes Wort ist ausreichend.

Dies ist ein wichtiger Hinweis für unsere Zeit. Es gibt irregeführte Menschen, die glauben, dass Gott noch Offenbarungen gibt, die sie dann empfangen. Aber Gott hat eine vollständige Offenbarung seiner selbst und seiner Gedanken über uns und über die Zukunft gegeben. Er erwartet von uns, dass wir seine vollständige Offenbarung studieren, die uns in seinem Wort gegeben wurde. Aus seinem Wort erfahren wir seine Absicht und wie wir in dieser Zeit leben können. Das Wort Gottes liefert den passenden Schlüssel zur Prophetie. Wir müssen nicht aufgrund bestimmter Ereignisse die Prophezeiung erklären, noch müssen wir auf die Erfüllung der Prophezeiungen warten, um sie zu verstehen.

Daniel betet und bekennt

Was Daniel las, hätte ihn sehr glücklich machen können. Schließlich war da zu lesen, dass die 70 Jahre vorbei sind und somit die Wiederherstellung unmittelbar bevorsteht. Aber von Freude ist bei Daniel keine Rede. Was er gelesen hat, führt ihn zum Bekenntnis. Er kennt Gott und weiß, dass Gott nur dann Barmherzigkeit erweist, wenn Sünden bekannt werden. Ohne Sündenbekenntnis kann Er nichts tun.

Die direkte Folge dessen, was Daniel gelesen hat, ist, dass er sich an Gott wendet. Er geht nicht mit der guten Nachricht von seiner Entdeckung zu seinen Freunden oder Mitweggeführten. Durch seinen Umgang mit Gott sieht er den niedrigen geistlichen Zustand des Volkes. Er sieht seinen wahren Charakter; und deshalb bekennt er, statt in Jubel auszubrechen. Nur in dieser Haltung und mit diesem Empfinden kann man für andere Fürbitte tun.

Die wahrhaft Geistlichen gehen voran, wenn es um Bekenntnis geht. Sie spüren besser als andere, wie sehr Gott von seinem Volk entehrt wird. Das macht den Propheten zu einem, der Fürbitte tut. Kenntnis der Zukunft führt in erster Linie zur Fürbitte, d. h., zu einem Reden mit Gott zum Wohl des Volkes; und nur dann kann man im Namen Gottes zum Volk sprechen. Gott macht die Zukunft bekannt, um zu unseren Herzen zu sprechen, und nicht um unsere Neugierde zu befriedigen. Bei prophetischen Aussagen geht es nicht um Sensation, sondern um eine Erfahrung nach Gottes Gedanken.

Daniel beginnt sein Bekenntnis damit, Gott in seiner Größe und Furchtbarkeit zu ehren. Davon ist er tief beeindruckt. Jeder, der Gott kennt und eine Beziehung zu Ihm hat, wird mit großem Respekt zu Ihm und von Ihm sprechen. Das gilt ganz allgemein. Gleichzeitig schenkt diese mächtige Majestät das große Vertrauen, dass Er sich an alles halten wird, was Er gesagt hat. Er sagt nicht nur etwas, Er tut es auch. Er ist in der Lage zu tun, was Er sagt und versprochen hat.

Daniel erinnert Gott sozusagen an seinen Bund und seine damit verbundene Treue. Daniel verbindet dies auch mit seiner Barmherzigkeit. Das ist Gottes Seite des Bundes. Aber es gibt auch die Seite der Verantwortung des Menschen. Gottes Bund und Barmherzigkeit gelten für solche, die Ihn lieben und seine Gebote halten. Und das ist völlig schief gegangen. Dies bringt Daniel zu seinem bewegenden Bekenntnis.

Wir haben gesündigt

Daniel macht sich eins mit dem Volk in ihrem Abweichen von Gott und seinen Geboten, indem er von „wir“ spricht. Er bekennt die Sünden des Volkes Gottes. Es ist auffallend, dass er die verschiedensten Ausdrucksweisen verwendet. Es ist, als ob seine Gefühle alle diese Worte brauchen, um eine Befreiung von der enormen Last zu finden, die sein Herz bedrückt. Das wird er nicht mit einem schnellen, bedeutungslosen, allgemeinen „Es tut uns leid“ los; vielmehr spricht er von „verkehrt“, „gottlos“, „empört“.

Die Ursache für das Elend, in dem sich das Volk Gottes befindet, ist sein Abweichen von den Geboten und Rechten Gottes. Aber nicht nur das. Als das Volk abwich, sandte Gott auch seine Diener, die Propheten, zu seinem Volk. Der böse Zustand des Volkes wurde dadurch umso mehr offenbar. Dieser böse Zustand war in allen Teilen des Volkes zu finden – bei Königen, Fürsten, Vätern, ja, bei dem ganzen Volk. Zu allen reden die Propheten im Namen des HERRN. Aber was sagt Daniel dazu? „Wir haben nicht ... gehört.“ Aus dem Bericht in 2. Chronika wissen wir, wie sehr der HERR sich bemüht hat, das Volk zu Ihm zurückzubringen; aber sie haben seine Propheten sogar verachtet und geschmäht (2Chr 36:15; 16).

Dieses Bekenntnis der Sünden des Volkes durch Daniel hat auch uns etwas zu sagen. Auch wir haben es nicht nur persönlich, sondern auch gemeinsam mit Gott zu tun. Wenn wir uns Christen nennen, dann tragen wir die Schuld an der Schande, die die Christen dem Namen Christi angetan haben, nach dem wir uns ja nennen. Auch wenn wir in unserem persönlichen Leben Christus als Herrn ehren, schämen wir uns und bekennen unsere Schuld an der Ungerechtigkeit, die im Namen Christi geschehen ist. Wir sind schuld, gemeinsam mit allen Christen.

Dies gilt auch für die Glaubensgemeinschaft, zu der wir gehören. Es gibt Schwäche und Untreue, Weltlichkeit, Fleischlichkeit, Gesetzlichkeit. Es gibt nichts, worüber wir uns rühmen können, als wären wir bessere Christen, nur weil in „unserer“ Glaubensgemeinschaft bestimmte Sünden nicht vorkommen oder durch das Ausüben von Zucht weggetan werden. Ein solches Bekenntnis erfordert Glauben und geistlichen Verstand, was man aber nur dann erlangt, wenn man sein eigenes Herz erkannt hat und sich der Gnade bewusst ist, die wir zu unserer ständigen Bewahrung nötig haben. Wer kann von sich behaupten, immer auf die Stimme Gottes in seinem Wort gehört zu haben?

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