Daniel 9:4-19

Daniel betet und bekennt

Was Daniel las, hätte ihn sehr glücklich machen können. Schließlich war da zu lesen, dass die 70 Jahre vorbei sind und somit die Wiederherstellung unmittelbar bevorsteht. Aber von Freude ist bei Daniel keine Rede. Was er gelesen hat, führt ihn zum Bekenntnis. Er kennt Gott und weiß, dass Gott nur dann Barmherzigkeit erweist, wenn Sünden bekannt werden. Ohne Sündenbekenntnis kann Er nichts tun.

Die direkte Folge dessen, was Daniel gelesen hat, ist, dass er sich an Gott wendet. Er geht nicht mit der guten Nachricht von seiner Entdeckung zu seinen Freunden oder Mitweggeführten. Durch seinen Umgang mit Gott sieht er den niedrigen geistlichen Zustand des Volkes. Er sieht seinen wahren Charakter; und deshalb bekennt er, statt in Jubel auszubrechen. Nur in dieser Haltung und mit diesem Empfinden kann man für andere Fürbitte tun.

Die wahrhaft Geistlichen gehen voran, wenn es um Bekenntnis geht. Sie spüren besser als andere, wie sehr Gott von seinem Volk entehrt wird. Das macht den Propheten zu einem, der Fürbitte tut. Kenntnis der Zukunft führt in erster Linie zur Fürbitte, d. h., zu einem Reden mit Gott zum Wohl des Volkes; und nur dann kann man im Namen Gottes zum Volk sprechen. Gott macht die Zukunft bekannt, um zu unseren Herzen zu sprechen, und nicht um unsere Neugierde zu befriedigen. Bei prophetischen Aussagen geht es nicht um Sensation, sondern um eine Erfahrung nach Gottes Gedanken.

Daniel beginnt sein Bekenntnis damit, Gott in seiner Größe und Furchtbarkeit zu ehren. Davon ist er tief beeindruckt. Jeder, der Gott kennt und eine Beziehung zu Ihm hat, wird mit großem Respekt zu Ihm und von Ihm sprechen. Das gilt ganz allgemein. Gleichzeitig schenkt diese mächtige Majestät das große Vertrauen, dass Er sich an alles halten wird, was Er gesagt hat. Er sagt nicht nur etwas, Er tut es auch. Er ist in der Lage zu tun, was Er sagt und versprochen hat.

Daniel erinnert Gott sozusagen an seinen Bund und seine damit verbundene Treue. Daniel verbindet dies auch mit seiner Barmherzigkeit. Das ist Gottes Seite des Bundes. Aber es gibt auch die Seite der Verantwortung des Menschen. Gottes Bund und Barmherzigkeit gelten für solche, die Ihn lieben und seine Gebote halten. Und das ist völlig schief gegangen. Dies bringt Daniel zu seinem bewegenden Bekenntnis.

Wir haben gesündigt

Daniel macht sich eins mit dem Volk in ihrem Abweichen von Gott und seinen Geboten, indem er von „wir“ spricht. Er bekennt die Sünden des Volkes Gottes. Es ist auffallend, dass er die verschiedensten Ausdrucksweisen verwendet. Es ist, als ob seine Gefühle alle diese Worte brauchen, um eine Befreiung von der enormen Last zu finden, die sein Herz bedrückt. Das wird er nicht mit einem schnellen, bedeutungslosen, allgemeinen „Es tut uns leid“ los; vielmehr spricht er von „verkehrt“, „gottlos“, „empört“.

Die Ursache für das Elend, in dem sich das Volk Gottes befindet, ist sein Abweichen von den Geboten und Rechten Gottes. Aber nicht nur das. Als das Volk abwich, sandte Gott auch seine Diener, die Propheten, zu seinem Volk. Der böse Zustand des Volkes wurde dadurch umso mehr offenbar. Dieser böse Zustand war in allen Teilen des Volkes zu finden – bei Königen, Fürsten, Vätern, ja, bei dem ganzen Volk. Zu allen reden die Propheten im Namen des HERRN. Aber was sagt Daniel dazu? „Wir haben nicht ... gehört.“ Aus dem Bericht in 2. Chronika wissen wir, wie sehr der HERR sich bemüht hat, das Volk zu Ihm zurückzubringen; aber sie haben seine Propheten sogar verachtet und geschmäht (2Chr 36:15; 16).

Dieses Bekenntnis der Sünden des Volkes durch Daniel hat auch uns etwas zu sagen. Auch wir haben es nicht nur persönlich, sondern auch gemeinsam mit Gott zu tun. Wenn wir uns Christen nennen, dann tragen wir die Schuld an der Schande, die die Christen dem Namen Christi angetan haben, nach dem wir uns ja nennen. Auch wenn wir in unserem persönlichen Leben Christus als Herrn ehren, schämen wir uns und bekennen unsere Schuld an der Ungerechtigkeit, die im Namen Christi geschehen ist. Wir sind schuld, gemeinsam mit allen Christen.

Dies gilt auch für die Glaubensgemeinschaft, zu der wir gehören. Es gibt Schwäche und Untreue, Weltlichkeit, Fleischlichkeit, Gesetzlichkeit. Es gibt nichts, worüber wir uns rühmen können, als wären wir bessere Christen, nur weil in „unserer“ Glaubensgemeinschaft bestimmte Sünden nicht vorkommen oder durch das Ausüben von Zucht weggetan werden. Ein solches Bekenntnis erfordert Glauben und geistlichen Verstand, was man aber nur dann erlangt, wenn man sein eigenes Herz erkannt hat und sich der Gnade bewusst ist, die wir zu unserer ständigen Bewahrung nötig haben. Wer kann von sich behaupten, immer auf die Stimme Gottes in seinem Wort gehört zu haben?

Das Volk und der HERR

Nachdem Daniel die Sünden „alles Volks des Landes“ (Dan 9:6) bekannt hat, rechtfertigt er Gott als Richter des Volkes (vgl. Klgl 1:18). Er ist sich bewusst, dass auch böse Dinge, wie Trennungs- und Zerstreuungsgeschehen, aus der Hand Gottes angenommen werden müssen. Sicherlich sind sie auch die Folgen der bösen Taten des Menschen, aber wir müssen darin vor allem das Handeln Gottes in heiliger Zucht sehen.

Ganz deutlich sehen wir das zum Beispiel bei der großen Trennung Israels, als das Volk in zehn Stämme und zwei Stämme auseinanderfällt. Rehabeam war der eigentliche Verursacher für diese Trennung. Aber als er sie aus eigener Initiative rückgängig machen will, sagt Gott: „Von mir aus ist diese Sache geschehen“ (2Chr 11:4). 450 Jahre später erkennt Daniel dies auch für die Situation an, in der er sich befindet. Er erkennt an, dass der HERR sein Volk in alle Länder vertrieben hat, in denen sie sich jetzt befinden.

Daniel erwähnt keine Namen und zeigt nicht beschuldigend mit dem Finger auf eine bestimmte Person. Er spricht nicht von Zedekia und seinen Torheiten. Er verweist auch nicht auf Nebukadnezar und seine grausamen Handlungen. Er schaut über das Volk und die Umstände nach oben und sieht in der Trennung und Zerstreuung die Hand eines gerechten Gottes. So sagt es der HERR auch einige Zeit später durch den Propheten Sacharja: „Und ich stürmte sie weg unter alle Nationen, die sie nicht kannten“ (Sach 7:14).

Und noch etwas später erinnert uns Nehemia in seinem Gebet an die Worte des HERRN, der durch Mose sagte: „Werdet ihr treulos handeln, so werde ich euch unter die Völker zerstreuen“ (Neh 1:7; 8). Wir lesen nicht, dass diese Männer davon reden, dass Gott die Zerstreuung „erlauben“ wird. Sie sagen deutlich, dass Gott das Volk vertrieben und dieses Böse über sie gebracht hat.

Im Gegensatz zur Rechtfertigung Gottes in seinem Umgang mit ihnen, spricht Daniel von Beschämung des Angesichts auf Seiten des Volkes. Gott tat nichts anderes, als was Er für den Fall der Untreue des Volkes angekündigt hatte. Das Volk ist untreu geworden; und alles, was nun zu ihnen und zu ihrem Zustand passt, ist Beschämung wegen ihrer Sünden, die sie gegen Gott begangen haben. Daniel kann nur noch auf Gottes Erbarmungen zurückgreifen, denn von ihnen sind die Weggeführten abhängig.

Er kennt Gott als gerechten Gott, aber auch als Gott voller „Erbarmungen und Vergebungen“. Das ist ein schöner Ausdruck, der von Hoffnung und Vertrauen überfließt. Nicht nur ein wenig Erbarmung ist in Gott zu finden – nein, Er ist voll davon. Nicht ein wenig Vergebung für eine einzige Sünde ist notwendig – nein, bei Gott gibt es Vergebungen, d. h, mehrfache Vergebung, für eine Vielzahl von Sünden. Gott „ist reich an Vergebung“ (Jes 55:7) und Er ist „gut und zum Vergeben bereit“ (Ps 86:5). Auch Nehemia kannte Gott so: „Du aber bist ein Gott der Vergebung“ (Neh 9:17). Daran klammert sich Daniel als einzigen Ausweg im Blick auf die Realität: „Denn wir haben uns gegen ihn empört“, und damit ist jedes Recht auf Segen verwirkt.

Nicht gehorcht

Wieder betont Daniel in diesen Versen, dass man der Stimme Gottes nicht gehorchte. Alles Elend, das über das Volk gekommen ist, lässt sich darauf zurückführen. Wenn wir nicht auf Gottes Wort hören und uns seine Warnungen nicht zu Herzen nehmen, wird Gott sein Wort an uns erfüllen – nicht zum Guten, sondern zum Bösen. Wir verlieren die verheißenen Segnungen und erhalten die verheißenen Flüche. Daniel erkennt an, dass das, was über das Volk gekommen ist, nichts anderes ist als die Erfüllung dessen, was Gott für den Fall ihres Abweichens angekündigt hatte. Das hat Daniel gut verstanden. Wir sehen, wie er in seinem Bekenntnis immer wieder betont, dass niemand außer Gott selbst sein Volk zerbrochen hat (Dan 9:7; 12; 14). Darauf beruht sein Flehen.

Wir sehen auch, dass das Unglück beispiellos ist. Noch nie wurde eine Stadt so verurteilt wie Jerusalem. Das liegt daran, dass es noch nie eine Stadt gegeben hat, die so privilegiert war. Es ist die einzige Stadt, die Gott auserwählt hat, um dort seinen Thron aufzurichten und seinen Wohnort, seinen heiligen Tempel, zu haben. Von diesem Volk sagt Er: „Nur euch habe ich von allen Geschlechtern der Erde erkannt; darum werde ich alle eure Ungerechtigkeiten an euch heimsuchen“ (Amos 3:2). Das Gericht ist über die gekommen, die ihm am nächsten stehen und in denen Er sich selbst heiligt (3Mo 10:1-3). „Das Gericht fängt an bei dem Haus Gottes“ (1Pet 4:17a; Hes 9:4-7).

Diese Verse beinhalten auch eine ernsthafte Botschaft an das Volk Gottes für die Tage, in denen wir leben. Wegen seiner Sünden ist das Volk Gottes verstreut und gespalten. Aber wer trauert darüber? Wir sehen es und akzeptieren es resigniert oder sehen es sogar als „wertvolle bunte Vielfalt“. Das zeigt, dass die Wahrheit Gottes über die Einheit der Gemeinde kaum noch bekannt ist. Schlimmer noch: Es besteht kaum der Wunsch, diese Wahrheit kennen zu lernen.

Es ist zu hoffen, dass wir geistliche Übungen über den Zustand des Volkes Gottes haben. Das wird uns ins Gebet vor dem Herrn, unserem Gott, treiben. Dann wird Gott auch sein Wort zu uns sprechen lassen können, und wir werden lernen, mit Gottes Wahrheit weise umzugehen. Letzteres bedeutet, dass wir die Wahrheit Gottes erkennen, sie aufnehmen und befolgen werden. Weise mit der Wahrheit Gottes umzugehen, bedeutet, jedes Wort davon ernst zu nehmen – sowohl die Verheißungen als auch die Warnungen.

Aufgrund des unweisen Umgangs des Volkes mit dem Wort Gottes ist das Böse über sie gekommen. Gott hält sein Wort. Er wacht darüber. Er wacht auch über das Unglück, das Er darin angekündigt hat, um es kommen zu lassen, wenn die Handlungen des Volkes dies erfordern. So sagte der HERR auch zu Jeremia: „Siehe, ich wache über sie zum Bösen und nicht zum Guten“ (Jer 44:27a), bzw.: „Und es wird geschehen, wie ich über sie gewacht habe, um auszureißen und abzubrechen und niederzureißen und zu zerstören und zu verderben, so werde ich über sie wachen, um zu bauen und zu pflanzen, spricht der HERR“ (Jer 31:28).

Wir können verstehen – und wir hören es gerne –, dass der HERR über sein Volk wacht, um es zu beschützen. Aber hier finden wir, dass Er über sie wacht zum Bösen und dass Daniel Ihn darin rechtfertigt: „Denn der HERR, unser Gott, ist gerecht in allen seinen Taten, die er getan hat; aber wir haben seiner Stimme nicht gehorcht“ (Dan 9:14).

Bekenntnis und Bitte

Nach seinem Bekenntnis ruft Daniel den „Herrn, unseren Gott“ als denjenigen an, der einst sein Volk erlöst und sich dadurch „einen Namen gemacht“ hat. Er spricht auch mit Gott über „dein Volk“. Gott sieht es noch nicht so, denn das Volk ist noch nicht sein Volk. Aber der Glaube spricht unter allen Umständen von dem Volk Gottes. Der Name „Herr“ ist die Übersetzung des hebräischen Adonai, das ist der Herrscher, der Gebieter. „HERR“ ist jedoch auch die Übersetzung von „Jahwe“, das ist der Gott des Bundes mit seinem Volk. Daniel spricht nun den Herrn als souveränen Gott an, der in der Vergangenheit zum Wohl seines Volkes gehandelt hat.

Gleichzeitig bestätigt Daniel vor Gott, dass Er „an diesem Tag“ noch immer den Namen trägt, den Er sich damals gemacht hat. Er fleht also den Herrn an, zuerst an sein Erlösungswerk zu denken, das Er zuvor getan hat, indem Er sein Volk aus der Sklaverei errettet hat. Dann ruft er Ihn auf, diesem Namen noch einmal gerecht zu werden; wobei er nun betont, dass sie gesündigt und böse gehandelt haben.

Der Name Gottes wird auf herrliche Weise groß gemacht, wenn Er Gnade beweist, denn dies tut Er auf Grund seiner Gerechtigkeit. Weil der Herr Jesus alle gerechten Forderungen Gottes erfüllt hat, kann Gott dem reuigen Sünder Gnade erweisen. Damit hat Er sich bis in Ewigkeit einen Namen gemacht. Wenn Menschen „sich einen Namen machen“, dann durch eine bestimmte Leistung. Aber auch in dieser Leistung ist nicht alles vollkommen. Gott hat sich durch die Erlösung einen Namen gemacht, der vollkommen ist und für immer bleibt.

Nach seinem Bekenntnis: „wir haben gesündigt, wir haben gottlos gehandelt“, erbittet Daniel nun von „dem Herrn“, Er möge seinen Zorn und seinen Grimm von Jerusalem abwenden. Er spricht mit dem Herrn von Jerusalem als „deine Stadt“ und „dein heiliger Berg“. Er sieht und erkennt im Glauben, dass der HERR der Eigentümer Jerusalems ist, und nicht die Nationen, obwohl Gott die Stadt in die Hände der Nationen gegeben hat.

Er identifiziert auch die Stadt mit dem Berg, auf dem die Stadt liegt, also dem Berg Zion. Das ist ein „heiliger Berg“, der Berg, auf dem Abraham vor langer Zeit seinen Sohn Isaak geopfert hat. Dies spricht von dem Opfer, das Gott der Vater gebracht hat, in der Gabe seines Sohnes. Durch dieses Opfer konnte es einen Tempel geben, in dem Gott wohnen konnte. So ist es auch mit der Gemeinde, in der Gott jetzt wohnt, und die auch als Tempel bezeichnet wird (1Kor 3:16; Eph 2:21). Für den Glauben ist die Gemeinde der Wohnort Gottes im Geist, egal wie sehr sie in der Praxis zu einem Ort geworden ist, an dem Menschen, die den Geist nicht haben, tun was sie wollen.

Es trifft Daniel zutiefst, dass Gottes Stadt und Gottes Volk für alle um sie herum zum Hohn geworden sind. Wie ist das bei uns? Trifft es auch uns zutiefst, dass die Gemeinde und das Zusammenleben der Kinder Gottes für die Welt um uns her zum Hohn geworden sind? Was mein Bruder und Freund John Bax erlebte als er jemandem das Evangelium erklärte, veranschaulicht dies auf schmerzhaft klare Weise. In einem Bericht darüber schreibt er folgendes:

„Als ich laut rief: 'Lasst euch versöhnen mit Gott' und Johannes 3,16 zitierte: 'Denn so hat Gott die Welt geliebt' usw., kam ein alter Mann zu mir. Wir hatten ein Gespräch über die Bibel. Er hatte viel zu kritisieren und zu kommentieren, aber auch 'Warum'-Fragen. Er verstand nicht, dass ein allmächtiger Gott, wenn es ihn gibt, bei all dem Bösen in dieser Welt nicht eingreift. Als ich daraufhin fragte: 'Und wenn Gott einmal wegen all des Bösen in Ihrem eigenen Leben eingreifen würde?', war er nicht mehr so offen und beklagte sich über die Christen und ihr Tun. 'Sind nicht heute so viele Gemeinden rückläufig?', fragte er. 'Welche Art von froher Botschaft wird denn da gebracht, vor der die Menschen weglaufen? Wie viele Spaltungen gab es schon in der Geschichte, wo Ihr Euch nicht einig werden konntet? Schauen Sie sich doch all diese verschiedenen Kirchen und Namen an, die es heute gibt. In Euren Gemeinden habt Ihr viel Streit um den Glauben. Wenn Ihr noch etwas Gemeinsames hättet, was Euch wirklich wertvoll ist, solltet ihr dann nicht auch zeigen, was Euch zusammenhält?'

Ich antwortete ihm: 'Wenn ich den Menschen und die Christenheit betrachte, muss ich Ihnen leider zustimmen. Was wir daraus gemacht haben, ist beschämend. Aber ich möchte Ihnen von der Person des Herrn Jesus erzählen, der an meiner Stelle für all meine Sünden gestorben ist. Und das gilt für einen jeden, der an Ihn glaubt. Ich wollte ihm das Evangelium näher erklären, aber er ging weg. Danach war ich ein wenig verzweifelt über dieses Gespräch und auch traurig, denn die Welt beobachtet uns tatsächlich und sieht, wie wir miteinander umgehen. Und das wird dann auch als Grund für die Ablehnung des kostbaren Evangeliums angeführt. Ich wurde an die Bibelstelle erinnert: „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt“ (Joh 13:35).

Ich glaube nicht, dass ich dem noch etwas hinzufügen muss. Nehmen wir es uns zu Herzen und bitten wir Gott, uns in seiner Gnade zu vergeben und uns eine weitere Gelegenheit zu schenken, nach seinen Gedanken Gemeinde zu leben. Er wünscht sich einen Wohnort auf der Erde. Hier kommen die Seinen zusammen und leben zusammen, in Unterwerfung unter sein Wort und geleitet durch seinen Geist.

Der Herr Jesus sagte: „Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte“ (Mt 18:20). Gott wohnt dort, wo Er Gott sein kann, d. h., wo Er als Gott in seinen Rechten anerkannt wird. Danach können wir immer noch fragen und nach diesem Ort suchen. Wenn wir sein Wort als Leitfaden anwenden und den Anweisungen des Geistes folgen, wird Er uns sicherlich dorthin führen.

Daniel erfleht Gottes Hören

Daniel fleht nicht um ein Ende der Wegführung oder seine persönlichen Interessen. Das Thema seines Flehens sind die Stadt, der heilige Berg, das Heiligtum und das Volk Gottes. Er bittet Gott, „um des Herrn willen“ Sein Angesicht über seinem Heiligtum leuchten zu lassen. Ihm geht es um den herrlichen Namen des Herrn und Gebieters. Daniel lenkt seine Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass sein Heiligtum zerstört ist. Er spricht klar aus, dass Gott es doch nicht so belassen kann.

Deshalb müssen auch wir angesichts dessen, was heute Gottes Heiligtum ist – nämlich seine Gemeinde, die „ein heiliger Tempel im Herrn“ ist (Eph 2:21) –, lernen zu flehen. Wenn wir sehen, was davon in der Praxis des christlichen Glaubens übrig geblieben ist, müssen auch wir sagen, dass dieser Tempel zerstört ist. Wenn wir mehr von Gottes Empfindungen darüber teilen würden, wären wir eher so wie Daniel, der Gott anfleht, sein Angesicht darüber leuchten zu lassen. Was in sein Licht kommt, erlöst Er und stellt es wieder her (Ps 80:4).

Sein Licht offenbart, was vor sich geht, und zeigt auch die Lösung. Ohne sein Licht bleibt alles in der Finsternis. Wenn wir uns danach sehnen, dass Er sein enthüllendes und erholsames Licht über seine Gemeinde leuchten lässt, werden wir das Wort Jesajas beherzigen und danach handeln: „Und lasst ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem befestigt und bis er es zum Ruhm macht auf der Erde!“ (Jes 62:7).

Dann werden wir Gott beständig, energisch und sozusagen schamlos bitten, sein Ohr zu öffnen, um zu hören, und seine Augen zu öffnen, um zu sehen (Lk 11:5-12; Lk 18:1-8). Daniel erwähnt deutlich, dass er sein Flehen nicht aufgrund ihrer Gerechtigkeit vor Gott bringt, denn die haben sie nicht. Er bringt es vor Gott um seiner vielen Erbarmungen willen. Je tiefer wir uns dessen bewusst sind, um so freimütiger werden wir vor Gott treten, ja, zu Ihm hineilen, und Ihn sozusagen noch mehr mit unserem Flehen bombardieren.

Daniel tut dies mit einem dreifachen „Herr“ – ein eindringliches Flehen zum Herrn, zuzuhören, zu vergeben, aufzumerken, zu handeln, und nicht zu zögern. In kurzen Sätzen stößt er seine Worte kraftvoll aus. Die verschiedenen Ausdrücke zeigen ein Herz, das von dem, worauf seine Aufmerksamkeit gerichtet ist, völlig überwältigt ist. Sie drücken ein intensives Engagement aus. Er bittet Gott auch, nicht mit seinem Handeln zugunsten seiner Stadt und seines Volkes zu warten. Die 70 Jahre sind ja vorbei; das hat er doch im Buch des Propheten Jeremia gelesen.

Dieses Gebet ist das eines Propheten, eines Mannes Gottes, eines Mannes, der sein Land liebt, eines Mannes, der die Herrlichkeit Gottes als höchstes Ziel seines Lebens hat. Er hat eine enge, persönliche Beziehung zu Gott, den er in seinem Gebet in Dan 9:18 zum ersten Mal „mein Gott“ nennt. Wenn ein solcher Mensch auf so intensive Weise Fürbitte tut, Sünden bekennt und Argumente für Erhörung vorbringt, wird er auch von Gott angenommen.

Dies sagt er nicht, um Gott zu belehren; und mit seinen Argumenten will er auch Gott nicht beeinflussen. So wie Daniel zu Gott betet, will Gott gerade angesprochen werden, denn nur so können unsere Gedanken in den richtigen Zustand gebracht werden. Wenn wir den Geist, den Glauben, die Reue und den Ernst Daniels haben, können wir sicher sein, dass unsere Gebete erhört werden, so wie sein Gebet erhört wird.

Die Grundlage, auf der er das alles erbittet, ist „um deiner selbst willen“. Er sucht in allem die Ehre Gottes. Es geht um seinen Namen. Diesen Namen hat Er selbst untrennbar mit seiner Stadt und seinem Volk verbunden, weil sein Name darüber ausgerufen ist. Was mit seiner Stadt und seinem Volk geschieht, berührt Ihn selbst. Dies liefert Daniel den Grund zum Flehen. Diesen Grund müssen auch wir haben, Gott anzuflehen, sich für seine Gemeinde einzusetzen, „die er sich erworben hat durch das Blut seines Eigenen“ (Apg 20:28).

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