Hebrews 5:12

Milch und feste Speise

Den letzen Abschnitt haben wir mit dem Blick auf eine besondere Zeit im Leben des Herrn Jesus auf der Erde beendet. Der Schreiber hat uns dort nach Gethsemane mitgenommen, wo der Herr Jesus mit dem tiefsten Leiden konfrontiert wurde, das einen Menschen jemals treffen konnte. Er empfand das Leiden auf dem Kreuz auf ganz intensive Weise im Voraus. Voller Ergebung wandte Er sich an seinen Vater, bat Ihn und flehte Ihn an, von diesem Leiden errettet zu werden. Er nahm den Willen seines Vaters völlig an und fügte sich dessen Willen. Ich denke, dass du in dieser Szene den Höhepunkt eines Lebens im Gehorsam findest.

Heb 5:8. Sein ganzes Leben war Leiden, Leiden als Folge von Versuchungen, die auf Ihn zukamen, weil Er Gott vollkommen gehorsam war. Bevor Er Mensch wurde, war Gehorchen für Ihn eine fremde Sache. Im Himmel musste Er niemandem gehorchen. Im Himmel konnte Er nicht mit Gehorsam vertraut gemacht werden. Dort gehorchten Ihm die Engel. Doch als Er auf die Erde kam, nahm Er einen Platz der Unterordnung ein, zuallererst Gott, aber auch seinen Eltern gegenüber (Lk 2:51). Er musste also das Gehorchen in die Praxis umsetzen und in diesem Sinn lernen, was Gehorchen ist.

Heb 5:9. Anders als wir hatte Er keinen eigenen Willen. Er musste sich nichts abgewöhnen, bei Ihm musste nichts im Zaum gehalten oder umgebogen werden. Bei Ihm gab es nichts, was nicht untertan war. Auf diese Weise wurde Er durch sein Leben auf der Erde völlig in die Lage versetzt, im Himmel seinen hohepriesterlichen Dienst für uns ausüben zu können – für uns, die ebenfalls in einer Stellung sind, wo wir gehorchen müssen. Er wurde gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz (Phil 2:8).

Gehorsam war das Geheimnis seines Weges. Gehorsam ist auch das Geheimnis deines Weges, wodurch du nicht in die Fallstricke des Feindes gerätst. Wenn du Ihm gehorchst, der durch seinen Gehorsam vollkommen das Ende erreicht hat, wird Er auch dich dorthin bringen, wo Er nun schon ist. Durch seinen hohepriesterlichen Dienst bewahrt Er dich vor den Gefahren und Versuchungen der Wüste, bis du die endgültige Errettung, die Sabbatruhe, erreicht hast. Er ist der Urheber „ewigen Heils“, das heißt, dass die Tragweite und die Segnungen dieser Errettung bis in alle Ewigkeit reichen.

Heb 5:10. Weil Christus seinen Weg auf der Erde vollendet hat, ist Er „vollkommen“ geeignet, unser Hoherpriester zu sein. Wegen seines vollkommen gehorsamen Lebens konnte Gott Ihn als Hohenpriester nach der Ordnung Melchisedeks begrüßen. Gott redete Ihn nach seinem Werk auf der Erde so an und bestätigte damit seinen Dienst, den Er nun im Himmel für uns tut. Nachdem Gott Ihn (in Heb 5:6) zu diesem Dienst berufen hatte, wird Er nun (in Heb 5:10) als solcher von Gott begrüßt, um mit diesem Dienst zu beginnen.

Der notwendigen Bedingung hatte Er entsprochen: Er war vollendet worden. Ein Priester, der der Sohn Gottes war, hätte wenig für uns tun können, wenn Er nicht durch Erfahrung die Voraussetzung für seinen Dienst kennengelernt hätte. Gerade weil Er aus eigener Erfahrung weiß, womit du vielleicht zu kämpfen hast, ist Er vollkommen imstande, dir zu helfen. Er ist die absolute Garantie für deine endgültige, ewige Errettung.

Heb 5:11. Mit diesem Vers beginnt ein dritter Einschub, der bis Kapitel 6,11 geht. Ein Einschub ist eine Unterbrechung in der Ausführung des Schreibers, in der er seine Leser mit Nachdruck auffordert, seine Belehrung zu Herzen zu nehmen, und ihnen sagt, was die Folgen sind, wenn sie das nicht tun. Im ersten Einschub hatte er sie ermahnt, nicht vom Wort abzugleiten (Hebräer 2,1–4) und nicht am Wort zu zweifeln (Hebräer 3,7–4,13). Die Ermahnung in diesem dritten Einschub lautet, das Wort nicht langweilig zu finden, denn das hätte Trägheit im Glauben zur Folge.

Der Schreiber weist darauf hin, dass über Ihn – das heißt über Christus als Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks – noch viel zu sagen wäre. Darüber würde er gern weiter mit ihnen sprechen, aber das wäre nur möglich, wenn bei den Lesern eine passende geistliche Gesinnung vorhanden wäre, und die war nicht da. In diesem Einschub will er versuchen zu erreichen, dass sie (geistlich) so weit kommen, dass er doch mit ihnen darüber sprechen kann.

Im Augenblick jedoch war diese Sache schwierig zu erklären. Das lag nicht an seinen Qualitäten als Lehrer, sondern an seinen Schülern. Sie konnten wegen ihrer geistlichen Trägheit seine Belehrung nicht aufnehmen. Nicht immer waren sie träge gewesen, aber sie waren träge geworden. Sie waren lau geworden und hatten ihre erste Frische verloren. Es gibt nichts, was in geistlichen Dingen so träge macht wie religiöse Tradition.

Wenn die himmlischen Dinge ihren Glanz verlieren, gewinnen die irdischen Dinge wieder an Einfluss und Bedeutung, und das brachte es mit sich, dass seine Leser nur zögerlich der christlichen und himmlischen Berufung folgten. Es fehlte ihnen nicht an Intelligenz, und er stellte auch nicht eine feindselige oder weltliche Gesinnung fest. Die Ursache dafür war, dass sie im Herzen wieder nach den alten religiösen Formen des Judentums verlangten. Das hinderte sie, in der Wahrheit Gottes, wie sie im Christentum offenbart ist, praktisch zu wachsen.

Sie wollten wohl auf die Belehrung Christi auf der Erde hören, denn das war mit ihrer Religion verbunden. Dann blieb wenigstens das Sichtbare und Greifbare bestehen, und ihre Religion gab ihnen Halt. Der verherrlichte Christus als die Erfüllung all dieses Sichtbaren und Greifbaren war noch nicht alles für sie. Wenn ihnen darüber etwas erzählt wurde, wurden sie im Hören träge. Dadurch verstanden sie ihre wahre christliche Stellung nicht.

Heb 5:12. Aber sie waren doch schon so lange Christen, dass sie in der Lage hätten sein müssen, andere zu unterweisen. Stattdessen hatten sie es selbst nötig, wieder über die ersten Anfänge der Aussprüche Gottes belehrt zu werden. Sie hätten Lehrer sein sollen in dem Sinn, dass sie geistlich so gewachsen waren, dass sie die geistlichen Dinge miteinander hätten teilen können. Aber die alten Formen ihrer Religion, die sie bei ihrer Bekehrung aufgegeben hatten, begannen wieder anziehend zu werden.

Du kannst dir kaum ein größeres Hindernis für das Fortschreiten im geistlichen Leben und das Wachsen in der geistlichen Erkenntnis ausdenken. Meist wird das Festhalten an einer alten Religionsform als der Beweis für Frömmigkeit angesehen, während in Wirklichkeit Formendienst ein Hindernis bildet zwischen deiner Seele und dem, was Gott dir zeigen will.

Ein weiteres Hindernis für dein geistliches Wachstum bilden die Weisheit und die Philosophie der Welt (1Kor 2:6; 1Kor 3:1; 2). In Kolosser 2 werden beide Hindernisse zusammen „Elemente der Welt“ genannt und Christus gegenübergestellt (Kol 2:8). Sowohl religiöse Überlieferung als auch weltliche Weisheit sind Feinde des Glaubens. Nur durch das Wort Gottes, dessen Mittelpunkt Christus ist, wird der Glaube genährt.

Die Hebräer waren wegen ihrer Trägheit im Hören nicht nur in ihrem geistlichen Wachstum steckengeblieben, sondern sie waren wieder zum Anfang zurückgefallen. Dadurch mussten sie erneut über das belehrt werden, was sie längst wussten, aber seine Bedeutung für ihr Herz verloren hatte. Es hatte in ihrem Leben keine Autorität mehr. Sobald das Wort Gottes nicht mehr dein Herz füllt und dein Leben bestimmt, nickst du ein und läufst Gefahr, zur Welt zurückzukehren. Dann hast du es nötig, wieder über die Elemente der Aussprüche Gottes belehrt zu werden, auf das, was Christus auf der Erde geredet hatte (Heb 6:1; Heb 1:2).

Heb 5:13-14. Dieses Reden Christi auf der Erde nennt der Schreiber „Milch“. Milch ist das Wort von und über Christus auf der Erde. Feste Speise konnten sie noch nicht vertragen. Feste Speise ist die Belehrung darüber, dass Christus jetzt im Himmel ist. Als Christ lebst du von Milch, wenn du beispielsweise die Bergpredigt (Mt 5–7) als Norm für dein christliches Leben nimmst, während du nicht über deine himmlische Stellung in Christus nachdenkst. Es ist nicht verkehrt, ein Baby zu sein, wohl aber, eins zu bleiben oder so zu tun, als wäre man wieder eins.

Wenn du über deine himmlische Stellung in Christus nachdenkst, bist du mit fester Speise beschäftigt oder, wie das in Heb 5:13 genannt wird, mit dem „Wort der Gerechtigkeit“. Du bist dann mit der Gerechtigkeit Gottes beschäftigt, die durch das vollkommene Werk Christi das Teil eines jeden ist, der glaubt. Aufgrund dieser Gerechtigkeit hat Christus den Platz bekommen, den Er jetzt im Himmel einnimmt und den du in Ihm dort hast. Bist du darin unerfahren (obwohl du es besser hättest wissen müssen!), dann bist du ein kleines Kind. Um es mit den Worten von Galater 4 zu sagen, wo es um dieselben Dinge geht: Du bist ein Unmündiger (Gal 4:1-7).

Demgegenüber steht der geistlich Erwachsene, der ein gesundes geistliches Wachstum erfahren hat und der seine Stellung in Christus kennt und danach lebt. Geistlich erwachsen werden ist kein Automatismus, sondern die Folge von der Gewöhnung, deine Sinne zu üben. Mit „Sinne“ ist dein Wahrnehmungsvermögen oder Unterscheidungsvermögen gemeint. Dein geistliches Wachstum hängt in hohem Maß davon ab, ob du Gut und Böse unterscheiden kannst. Wenn du dein Auge auf den himmlischen Christus richtest, bist du nicht ein weltfremder Sonderling, sondern du bekommst Verständnis dafür, was es heißt, das Gute zu tun und das Böse zu lassen.

Lies noch einmal Hebräer 5,8–14.

Frage oder Aufgabe: Gibt es Dinge in deinem Leben, die dein geistliches Wachstum hindern?

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