‏ Job 12:18

Hiob beschreibt die Macht Gottes

Hiobs Bemerkung über Gottes Weisheit und Macht in Hiob 12:13 gibt Anlass zu Beispielen dafür, wie Gott seine Weisheit und Allmacht in der Praxis einsetzt. Hiob tut dies, um seinen Freunden zu zeigen, dass er sehr wohl weiß, wer Gott ist. Das müssen sie ihm nicht erklären. In seinem Elend wirft Hiob ein einseitiges Licht auf Gottes Allmacht und Weisheit. Er stellt es so dar, dass Gott alles umstößt, worauf der Mensch sich in Sachen Gerechtigkeit, Schutz und Trost verlassen könnte.

Möglicherweise liegt darin auch ein Unterton der Anklage an Gottes Adresse. Es ist gesagt worden, dass Hiob in diesen Versen Gott gleichsam des „Missmanagements“, des Missbrauchs seiner Macht anklagt. Es ist auffallend, dass Hiob hauptsächlich Gottes Macht zu zerstören beschreibt. Das passt ja zu allem, was wir bis jetzt aus Hiobs Mund über Gott gehört haben. Er versteht Gott nicht. Wie kann Gott so mit jemandem wie ihm, der Ihm so treu gedient hat, umgehen? Gott hat sein Leben zerstört, und es gibt keine Aussicht, es wieder aufzubauen (Hiob 12:14). Er fühlt sich in seinem Elend gefangen und hat keine Möglichkeit, ihm zu entkommen.

Was er von Gott erfährt, sieht er überall um sich herum. Gott handelt, wie Er will, ohne dass Ihn jemand aufhalten kann und ohne dass Er Rechenschaft über sein Handeln ablegen muss. Hiob ist immer noch blind für die Tatsache, dass hinter allen Handlungen Gottes eine weise Absicht steht. Er misst das Handeln Gottes an den Umständen, in denen er sich befindet. Er kann sich nicht über seine eigene Beurteilung derselben erheben. Noch ist er nicht so weit. Das Ringen in seinen Gedanken über Gott ist noch zu intensiv.

Was Gott mit einem Menschen wie Hiob tun kann, kann Er auch mit den Wassern tun (Hiob 12:15). Er kann sie aufhalten und Er kann sie gewähren lassen. Wenn Er sie aufhält, entsteht Dürre. Wenn Er sie loslässt, kommen Fluten und stellen die Erde auf den Kopf. Hiob beschreibt hier nur die negative Auswirkung dessen, was Gott tut. Er sieht nicht die Segnungen, die Gott auch damit im Sinn hat. Gott spricht nämlich durch Naturkatastrophen zu den Menschen, damit sie sich zu Ihm bekehren.

Für Hiob ist Gott nun jemand, bei dem Macht vor Weisheit geht (Hiob 12:16; vgl. Hiob 12:13). Er beschäftigt sich in erster Linie mit der Macht Gottes, die er erfährt, aber dann in ihrer zerstörerischen Form. Sicherlich weiß er, dass auch Gott Weisheit besitzt. Nur ist es ihm ein Rätsel, woraus diese Weisheit erkennbar wird, denn er versteht nicht, warum Gott ihn so behandelt. Der Irrende und der Irreführende, unterliegen beide in der Macht Gottes. So mächtig ist Er. Warum Er zulässt, dass sie nebeneinander existieren, ist für Hiob unbegreiflich.

Dann spricht Hiob von Ratgebern, die von Gott mittellos dahingerafft werden (Hiob 12:17). Bei aller Klugheit – siehe z. B. Ahitophel (2Sam 16:20-23; 2Sam 17:1-5; 14) – konnten diese Menschen nicht verhindern, dass Gott sie in die Hand von Feinden gab, die sie beraubt – wörtlich: barfuß – wegführten (vgl. Jes 20:4). Die Richter, die Einblick in das Gesetz haben und in Streitfällen Recht sprechen sollen, werden von Gott dem Wahnsinn überlassen und ihrer Vernunft beraubt. Gott ist souverän und kontrolliert sogar den Verstand der weisesten Männer der Welt.

Selbst Könige sind seiner Herrschaft unterworfen (Hiob 12:18). Sie können alles sagen und entscheiden, aber Gott macht es in seiner Allmacht wieder rückgängig. Er bindet ihnen sogar „eine Fessel um ihre Hüften“, was bedeutet, dass Er ihnen ihren königlichen Gürtel (ihre Würde) nimmt und ihnen einen gewöhnlichen Gürtel umlegt und sie als Gefangene mitnimmt. Was für die Könige als politische Führer gilt, gilt auch für die Priester, die geistlichen Führer (Hiob 12:19). Auch sie kann Er bettelarm wegschaffen. Auch die Feststehenden stehen unter seiner Autorität. Sie mögen denken, dass sie ihre Macht ungestört ausüben können, aber Er stürzt sie ins Verderben. Die Art und Weise, wie Er mit ihnen handelt, macht deutlich, dass Er die Umstände des Lebens in seiner Hand hat und sie nach seinem Gutdünken verändern kann.

Er hat das letzte Wort, nicht sie. Ratgeber, Richter, Könige, Priester – sie alle stehen unter seiner Autorität, und Er handelt mit ihnen, wie Er es will. Hiob hat damit Recht, wenn sie es verdient haben, aber er zieht diese Seite nicht in Betracht. Er sieht nur, wie Gott mit ihm umgeht. Er ist ein „Zuverlässiger“ (Hiob 12:20). Das weiß er über sich selbst. Gott scheint das anders zu sehen, denn Er knebelt ihn. Alle Erkenntnisse alter Männer reichen nicht aus, um dies zu erklären.

Die „Edlen“ zählen bei Ihm nicht (Hiob 12:21). Er überschüttet sie mit „Verachtung“. Das Prinzip ist allgemein (Ps 107:40), aber auch hier meint Hiob vor allem sich selbst. Das „Schlaff machen des Gürtels der Starken“ bedeutet, dass Gott es ihnen unmöglich macht, zu gehen oder ihre Bewegungsfreiheit stark einschränkt. Der Gürtel dient dazu, die Kleidung hochzuhalten, damit sie den Menschen beim Gehen nicht behindert. Hiob erlebt, dass Gott es ihm unmöglich macht, zu gehen. Gott ist so allwissend, dass Er offenbart, was dem Menschen am meisten verborgen ist (Hiob 12:22; vgl. 1Kor 4:5a). Selbst das, was für den Menschen „Todesschatten“ ist, was ihm völlig verborgen ist und ihn erschaudern lässt, ist vor Gott nicht verborgen. „Alles ist bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, mit dem wir es zu tun haben“ (Heb 4:13). Gott hat die Kontrolle über die am tiefsten verborgenen Dinge.

Was für Personen gilt, gilt auch für Nationen (Hiob 12:23-25). Er hat auch die totale Kontrolle über die Nationen (Hiob 12:23). Alle Ressourcen, aus denen sie schöpfen und durch die sie groß werden, stammen von Ihm. Er kann diese Ressourcen auch in einem Augenblick wegnehmen und sie von der irdischen Bühne verschwinden lassen. Ihr Wohnbereich, über den sie verstreut sind, wird von Ihm bestimmt. Nicht die Völker bestimmen ihren eigenen Kurs, sondern Er tut es.

Dies scheint im Widerspruch zu stehen zu dem, was Paulus sagt: „Der in den vergangenen Geschlechtern alle Nationen auf ihren eigenen Wegen gehen ließ“ (Apg 14:16). Dieser Widerspruch ist nur scheinbar. Beide Aussagen sind richtig. Die Nationen sind für ihre eigenen Entscheidungen verantwortlich. Sie haben sich entschieden, ihren Weg ohne Gott zu gehen. Gott hat sie ihren eigenen Weg gehen lassen. Das bedeutet nicht, dass Gott die Kontrolle aus der Hand gegeben hat. Wenn die Völker ihren eigenen Weg gehen, steuert Gott sie so, dass sie die Folgen ihrer Entscheidung zu spüren bekommen.

Hier zeigt sich, was wir in der Heiligen Schrift immer wieder finden: auf der einen Seite die Verantwortung des Menschen und auf der anderen Seite der Plan Gottes. Gott erfüllt seine Absichten und schließt dabei das Handeln des Menschen ein, ohne die Verantwortung des Menschen in irgendeiner Weise zu verringern. Wir können diese beiden Seiten nicht zusammenbringen, aber Gott kann es. Deshalb ist Er Gott.

Um sein Ziel bei den Völkern zu erreichen, bringt Er die Führer der Völker in die Irre (Hiob 12:24). Sie irren durch die Welt wie in einer Wüste, „in pfadloser Öde“. Sie sehen keinen gangbaren Weg. Ihre ganze Planung schlägt fehl. Sie tappen in der Finsternis herum, „wo kein Licht ist“ (Hiob 12:25). Wenn ein Mensch seinen Weg ohne Gott geht, bedeutet das, dass er in der Finsternis ist, wo alles Licht fehlt. Ein solcher Mann torkelt wie ein Betrunkener. Er sucht nach etwas, an dem er sich festhalten kann, findet es aber nicht.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Hiob in seiner Rede an die drei Freunde die Macht und Weisheit Gottes erklärt hat. Zwischen den Zeilen spüren wir seine Schwierigkeiten mit der Güte und Gerechtigkeit Gottes. Diese Schwierigkeit wird in Hiob 13 näher erläutert.

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