Job 32:22

Warum er reden muss

Hiob sprach nicht mit Elihu und forderte ihn nicht heraus, wie er es mit seinen drei Freunden tat (Hiob 32:14). Elihu reagiert deshalb auch nicht aus einer persönlichen Verärgerung heraus, wie es die Freunde getan haben. Hiob kann ihn nicht der Parteilichkeit bezichtigen. Elihu wird anders zu Hiob sprechen, nicht mit unbegründeten, vehementen Anschuldigungen, sondern mit Worten von Gott.

Die Freunde sehen „bestürzt“ aus (Hiob 32:15). Sie sehen aus wie Menschen, die sich über die verächtliche Ablehnung ihrer gut gemeinten Ratschläge wundern. Ihre Münder bleiben vor Erstaunen offen stehen und sie können kein Wort mehr herausbringen. Sie sind besiegt. Sie wissen auch nichts mehr zu sagen. Sie haben ihre Worte weggeworfen, weil ihnen nichts mehr einfällt. Mit großem Enthusiasmus hatten sie begonnen, ihre Meinung zu äußern. Sie würden Hiob schon überzeugen können. Doch allmählich verschwand das Feuer aus ihren Reden, bis sie schließlich ganz verstummten.

Elihu hatte noch auf eine Antwort gewartet, aber sie meldeten sich nicht mehr zu Wort (Hiob 32:16). In Schweigen gehüllt stehen sie da. Sie können sich nicht hinsetzen, aber sie können auch nicht weggehen. Sie sehen aus wie Statuen, ohne Kraft, sich zu bewegen, gleichsam gelähmt durch die Erkenntnis ihrer Niederlage.

Elihu hat deutlich gezeigt, dass die Freunde in ihrem Vorgehen gegenüber Hiob versagt haben. Damit ist der Weg frei für ihn, Hiob seinerseits zu antworten und ihm seine Gefühle, seine Meinung über ihn darzulegen (Hiob 32:17). Elihu sagt das nicht hochmütig und mit Verachtung für ihr Versagen. Er spricht nicht außer der Reihe und erst, als die anderen wirklich nichts mehr sagen können.

Vielmehr hat er jetzt, da die anderen, die Älteren, keine Worte mehr haben, die Möglichkeit, seine Gedanken in Worte zu fassen. Das Gespräch ist völlig festgefahren und die Teilnehmer befinden sich in einer Pattsituation. Sein Eingreifen ist nicht voreilig und unangemessen, sondern höflich und mit dem richtigen Gespür für den Stand des Gesprächs oder, noch mehr, für den Stand des Schweigens. Er spricht nicht, weil er sich durchsetzen will, sondern aus Eifer für Gott.

Elihu sieht dieses Schweigen als ein Zeichen Gottes, dass er an der Reihe ist, zu sagen, was er auf dem Herzen hat (Hiob 32:18). Und das ist nicht wenig, denn er ist „voll … von Worten“. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass er in Selbstbeherrschung gewartet hat, bis er an der Reihe war zu sprechen. Als er dann an der Reihe ist, kann er sich nicht länger zurückhalten. Er muss sprechen, so sehr drängt ihn der Geist in seinem Inneren. Er fühlt sich wie jemand, der solange die Luft angehalten hat, dass seine Lungen zu platzen drohen.

So wie Jeremia und Paulus in bestimmten Situationen nicht schweigen konnten, kann auch er jetzt nicht schweigen; er empfindet das Bedürfnis zu sprechen als etwas, das ihm aufgezwungen wird (Jer 4:19; Jer 20:9; 1Kor 9:16; Ps 39:3; 4; 2Kor 5:14). Es ist auch wichtig, dass wir „voller Worte“ sind, um sie zur richtigen Zeit und bei der richtigen Gelegenheit zu sprechen. Das wird so sein, wenn „das Wort des Christus reichlich in uns wohnt“ (Kol 3:16).

Elihu sagt, dass sein Bauch, d. h. seine inneren Gefühle, zu platzen drohen, so groß ist der Druck, den er spürt (Hiob 32:19). Er vergleicht das Gefühl, das er hat, mit neuen Lederschläuchen, in denen zum Beispiel Wein aufbewahrt wird. Wenn der Wein zu gären beginnt, kann der Druck auf die Schläuche so groß werden, dass sie reißen. Diesen Druck spürt Elihu in seinem Inneren. Deshalb muss er sprechen (Hiob 32:20). Dann wird der innere Druck nachlassen und er wird Luft bekommen. Wenn er seine Lippen öffnet, kann er Hiob antworten. Das Öffnen seiner Lippen bezieht sich auf das Öffnen der neuen Lederschläuche, um zu verhindern, dass sie reißen. Die Öffnung seiner Lippen verhindert also, dass er innerlich zerrissen wird.

Was Elihu in Hiob 32:21 sagt, richtet er nicht an eine bestimmte Person, sondern ist eher ein laut gesprochener Seufzer. Er will für niemanden Partei ergreifen, und nimmt sich vor, das auch nicht zu tun. Er will auch niemanden nach dem Mund reden, um dessen Gunst zu gewinnen. Er will nicht schmeichelnd sprechen, sondern ohne Ansehen der Person. Auf diese Weise handelt er in gleicher Weise wie Gott und Paulus (Gal 1:10; Gal 2:6; 5Mo 1:17; 5Mo 10:17; 5Mo 16:19; 2Chr 19:7; 1Tim 5:21).

Er ist auch nicht in der Lage, irgendjemandem nach dem Mund zu reden, denn er lebt in der Gemeinschaft mit Gott und ist von Ehrfurcht vor seinem Schöpfer erfüllt (Hiob 32:22). Das bestimmt sein Sprechen. Weil Gott sein Schöpfer ist, muss er gemäß Gottes Absicht mit ihm handeln. Gott schuf ihn mit der Absicht, Ihn zu repräsentieren. Wenn er das nicht tut, so weiß er, wird Gott ihn sofort wegnehmen. Dann wird Er ihn nicht länger gebrauchen können. Elihu fürchtet Gott mehr als Menschen. Deshalb hat er so viel mehr Weisheit als seine Freunde, um Hiob weise zu antworten.

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