Job 4:1-5

Einleitung

Hiobs Ausbruch in Hiob 3 gibt Anlass zu den folgenden drei Gesprächsrunden zwischen Hiob und seinen Freunden. Die Freunde sprechen immer in der gleichen Reihenfolge, möglicherweise nach dem Alter: zuerst Eliphas, dann Bildad und schließlich Zophar. Es handelt sich jedes Mal um Wort und Gegenwort:

1. zunächst eine Beurteilung und Verurteilung seitens der Freunde,

2. worauf eine Selbstrechtfertigung von Seiten Hiobs folgt,

und das in immer stärkerer Aussagen.

In all dem steckt etwas wahrhaft Menschliches. Wir müssen lernen, wie viel Weisheit und Vorsicht wir brauchen, wenn wir Menschen auf etwas ansprechen wollen, das wir wahrnehmen. Die Freunde haben nicht das, was der Herr Jesus hat – und was auch Hiob nach dem Zeugnis von Eliphas hatte (Hiob 4:3; 4) –, nämlich die Fähigkeit, „den Müden durch ein Wort aufzurichten“ (Jes 50:4). Im Gegenteil, sie machen Hiobs Kummer nur noch größer. Sie wissen nicht, „wie gut … ein Wort zu seiner Zeit“ ist (Spr 15:23b).

Es ist auch klar, dass die Freunde Hiob nicht so ansehen, wie Gott ihn ansieht. Immerhin hat Gott wiederholt von Hiobs Vollkommenheit gesprochen. Die Freunde betrachten Hiob als Menschen, die nur das ansehen, was vor ihren Augen ist, und das mit ihrem Wissen über Gott verbinden, also mit ihrer eigenen „Theologie“ darüber, wie Gott ist. Sie beurteilen die Situation nicht aus ihrer Beziehung zu Gott heraus.

Ihre Einschätzung zeigt, dass sie Hiob nicht kennen und dass sie Gott nicht kennen. Sie suchen nach der Ursache des Leidens ohne Kenntnis von Gott und Hiob. Sie sehen hinter dem Leid nur die strafende Hand Gottes. Die erziehende Hand Gottes kennen sie nicht. Es zeigt auch, dass sie sich selbst nicht kennen. Durch all ihre Unwissenheit fügen sie Hiobs Leiden noch weiteren Schmerz hinzu, anstatt ihn in seinem Leiden zu trösten.

Worum es in den Disputen immer wieder geht, ist die Frage der drei Freunde, ob Hiob wirklich ein aufrichtiger Mann ist oder ob er doch ein Heuchler ist. Es ist in der Tat die gleiche Frage, die Satan Gott in Hiob 1 und Hiob 2 stellt (Hiob 1:9; Hiob 2:4; 5).

Allgemein lässt sich zu den Diskussionsrunden noch folgendes sagen:

1. In der ersten Gesprächsrunde (Hiob 4–14) belehren die Freunde Hiob über den strafenden Charakter des Leidens; Hiob antwortet darauf in Verzweiflung.

--a. Eliphas beschreibt seine eigene Erfahrung mit der Größe und Gerechtigkeit Gottes.

--b. Bildad hält Hiob die Tradition vor, dass Leiden eine Vergeltung ist.

--c. Zophar hält an dem Dogma fest, dass Leiden die Folge von begangenen Sünden ist.

Obwohl die Freunde vom gleichen Prinzip ausgehen, haben sie jeweils unterschiedliche Merkmale:

--1. Eliphas zeichnet sich durch Würde, seine Berufung auf Gott und die eindringliche Bitte aus, dass man ihm zuhört.

--2. Bildad appelliert an den gesunden Menschenverstand und die Lektionen der Geschichte.

--3. Zophar zeichnet sich durch dogmatische Strenge und Ungestüm aus, mit denen er die (angeblichen) Sünden Hiobs anprangert und die Verkündung des sicheren Gerichts, das darüber kommen wird.

2. In der zweiten Gesprächsrunde (Hiob 15–21) äußern die Freunde Verdächtigungen und Anschuldigungen; Hiob geht von Verzweiflung zu Hoffnung.

3. In der dritten Gesprächsrunde (Hiob 22–26), bringt Hiob seine Freunde zum Schweigen. Aber das Rätsel des Leidens bleibt.

Eine Hauptursache für den Unterschied zwischen den Reden der Freunde und Hiobs Reden ist der Unterschied in ihrer Beziehung zu Gott. Hiob ist entschlossen, absolut ehrlich zu Gott zu sein. Er erzählt Gott alles, jede Träne, jede Verzweiflung. Es geht ihm um die Aufrechterhaltung seiner Beziehung zu Gott. Die Freunde hingegen erzählen Gott nichts. Sie sprechen nur über Ihn, nie mit Ihm. Sie sprechen nicht aus einer Beziehung zu Gott heraus, sondern bringen ihre Theorien über Gott zum Ausdruck, Theorien, an denen sie krampfhaft als an einem starren Dogma festhalten. Hiob bittet auch nirgends um die Wiederherstellung seines Wohlstandes. Was für ihn zählt, ist seine Beziehung zu Gott und die Beziehung Gottes zu ihm.

In den Streitigkeiten, die die drei Freunde mit Hiob führen, sehen wir, dass sie auf demselben Prinzip beruhen, nämlich dass alles Leiden immer einen strafenden und niemals einen erzieherischen Charakter hat und dass das Leiden mit der Gerechtigkeit Gottes zu tun hat. In ihrem Denken gibt es keinen Platz für die Liebe Gottes im Zusammenhang mit dem Leiden. Sie verkennen, dass beides – Gerechtigkeit und Liebe – auf seinen Wegen immer zusammengehört. Wenn man das Leiden so betrachtet wie sie das tun, wird der Unterschied zwischen dem Leiden, das der Gerechte erleidet, und dem Leiden, das das Teil der Gottlosen ist, nicht beachtet.

Einteilung der ersten Ansprache von Eliphas (Hiob 4–5)

1. Hiobs Verzweiflung wird ihm vorgeworfen (Hiob 4:1-5)

2. Gottes Gunst für die Gerechten (Hiob 4:6-11)

3. Vision von Gottes Größe und Heiligkeit (Hiob 4:12-21)

4. Erfahrung von Wegen Gottes (Hiob 5:1-5)

5. Ermahnung an Hiob, Gott zu suchen (Hiob 5:6-11)

6. Gottes Triumph über das Böse (Hiob 5:12-16)

7. Die Anwendung der Züchtigung (Hiob 5:17-27)

Eliphas wirft Hiob seine Verzweiflung vor

Eliphas, der Temaniter, glaubt nach dem, was Hiob gesagt hat, nicht mehr länger schweigen zu können und verpflichtet zu sein, zu sprechen (Hiob 4:1). Er fühlt sich veranlasst, das Wort zu ergreifen und Hiob zu antworten, überrascht von dessen heftiger Reaktion auf sein Leiden. Er ist der Hauptwortführer der drei Freunde. In jeder Gesprächsrunde ist er der Erste, der die Initiative ergreift und spricht. Wir sehen am Ende des Buches, dass der HERR ihn als Hauptverantwortlichen anspricht und sein Zorn gegen ihn entbrennt (Hiob 42:7).

Mit Eliphas′ Antwort beginnt eine Reihe von Dialogen, in denen auf immer schmerzhaftere Weise auf die Wunden gedrückt wird, die in Hiobs Inneren geschlagen sind. Die Freunde meinen, immer auf Hiobs Klagen eingehen zu müssen, was wiederum eine Reaktion bei Hiob hervorruft.

Eliphas meint, für die Ehre Gottes eintreten zu müssen, weil sie in seinen Augen durch das, was Hiob sagt, verletzt wird. Allerdings bringt sein Reden Hiob nicht dazu, dass er von Gott beeindruckt wird. Warum ist das so? Eliphas hat eine zu enge Sicht der Ehre Gottes, als ob sie nur durch die Ausübung absoluter Gerechtigkeit im Angesicht des Bösen aufrechterhalten werden kann, wobei er auch glaubt, dass Ursache und Wirkung von Menschen berechnet werden können.

Die ersten Worte, die Eliphas spricht, zeigen, dass er sich bewusst ist, dass seine Worte und die seiner beiden Freunde Hiob verletzen werden, und zwar so sehr, dass er annimmt, dass sie Hiob verdrießen werden (Hiob 4:2). Es ist ein merkwürdiger Anfang für einen, der doch gekommen ist, um zu trösten (Hiob 2:11). Aber, so rechtfertigt er sich selbst, er kann es nicht anders. Er muss wohl sprechen.

Er beginnt sofort damit, dass er Hiob darauf hinweist, dass er zuvor andere, die mit Widrigkeiten konfrontiert waren, gelehrt hatte, wie sie damit umzugehen hatten (Hiob 4:3). Durch diese Ermutigungen gab er denen, die litten, Kraft; er stärkte ihre „erschlafften Hände“. Seine Worte haben „den Strauchelnden“ wieder aufgerichtet (Hiob 4:4). Hiob – anders als seine Freunde, wie wir sehen werden – wusste, wie man zur rechten Zeit ein Wort zu den Müden spricht. Dies ermöglichte es den Müden, wieder weiterzuziehen.

Aber nun schaue dir Hiob an, jetzt, wo er selbst im Elend steckt (Hiob 4:5). Jetzt ist von all den Ratschlägen, die er anderen gegeben hat, nichts mehr übrig. Er bricht unter dem Unglück zusammen, das über ihn hereingebrochen ist. Jetzt, wo ihn das Schicksal ereilt hat, ist er ganz klein. Wo sind denn nun die aufbauenden Worte, die er für andere hatte? Eliphas meint, dass man erwarten könnte, dass Hiob, der in der Vergangenheit andere, die in Bedrängnis waren, zu ermutigen wusste, nun die Worte, die er einst sprach, an sich selbst richten würde (vgl. Lk 4:23).

Was Eliphas sagt, ist teilweise wahr, aber der Grund liegt nicht nur in den Katastrophen, die Hiob heimsuchten. Die Ursache liegt tiefer, nämlich in Hiobs Annahme, dass Gott sein Widersacher ist (Hiob 3:20; 23). In dem, was Eliphas sagt, ist auch ein Vorwurf enthalten. Der Vorwurf lautet, dass Hiob, nachdem er einen anderen gelehrt hat, sich selbst nicht lehrt (Röm 2:21).

Wir vermissen ein Wort des Trostes in den Worten dieses Freundes. Die Gnade lehrt uns, mit denen zu weinen, die weinen, und mit den Betrübten mitzufühlen (Röm 12:15). Hiob tat in diesen Fällen, wozu der Schreiber des Hebräerbriefs die hebräischen Gläubigen auffordert (Heb 12:12; 13). Hierin können wir Hiob nachfolgen. Er nahm sich Zeit dafür, obwohl er ein vielbeschäftigter Mann gewesen sein muss.

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