Job 40:5-9

Hiob demütigt sich

Gott hat Hiob im vorigen Kapitel auf die Wunder seiner Schöpfung hingewiesen. Es stellte sich heraus, dass nur Er allein alles in seiner ganzen Tiefe, in all seinen Einzelheiten und in all seinen Zusammenhängen kennt, versteht, und ständig versorgt und unterhält. Der Mensch hat nur eine sehr begrenzte Vorstellung von Gottes Handeln und wird dann klein. Es ist klar geworden, dass Hiob rein gar nichts zu Gottes Handeln beigetragen hat, auch gar nicht beitragen konnte und das auch niemals können wird. Gott ist so groß und er ist so gering.

Bevor Gott in Hiob 40:2 die Schlussfolgerung in Form einer Frage an Hiob präsentiert, werden wir zunächst daran erinnert, dass Gott dabei ist, Hiob zu antworten (Hiob 40:1; Hiob 38:1). Die Antwort Gottes nach seiner Rede besteht aus einer Herausforderung an Hiob. Hiob führt einen Prozess gegen Ihn, „den Allmächtigen“ (Hiob 40:2; Hiob 13:3; 15). Schließlich hatte er Gott des Unrechts beschuldigt, weil Er ihn leiden lässt, obwohl er unschuldig ist. Dafür wollte er Gott zur Rechenschaft ziehen.

„Nun“, sagt Gott, „hier bin ich. Beweise erstmal, dass du in der Lage bist, diesen Prozess zu führen, indem du mich belehrst und mir alle Fragen beantwortest, die Ich dir in den vorangegangenen Kapiteln gestellt habe.“ Gott fordert Hiob auf, Ihn in Bezug auf seine Herrschaft über das Universum zu belehren oder zu korrigieren. Damit würde er beweisen, dass er eine gleichberechtigte Partei vor Gott ist und daher in der Lage ist, einen Rechtsstreit mit Gott zu führen. Wenn jemand Gott kritisiert, als ob er die Dinge besser wüsste als Er, muss er diese Fragen von Gott auch beantworten können, ansonsten muss er den Mund halten.

Auf diese Frage erwartet Gott eine Antwort, Er verlangt sogar, dass Hiob sie beantwortet: „Antworte darauf!“ Da sich herausgestellt hat, dass Hiob den Ablauf der Schöpfung überhaupt nicht kennt, muss er sich nun entscheiden. Die Auswahlmöglichkeiten sind: Gott zu vertrauen in der Gewissheit, dass Er die Welt mit Weisheit regiert, oder in seiner Verurteilung Gottes zu verharren und sich damit über Gott zu erheben. Was wird Hiob tun? Ihm vertrauen oder Ihn weiterhin anklagen? Hiob hat das Wort.

Dann antwortet Hiob dem HERRN (Hiob 40:3). Er sieht ein, dass er zu klein, zu unbedeutend ist (vgl. 1Mo 32:10), um etwas gegen diesen großen, erhabenen Gott zu sagen und Ihm zu antworten (Hiob 40:4). Jetzt, da er Gott in seiner Schöpfung und der Sorgfalt, mit der Er sie pflegt, sieht, legt er seine Hand auf den Mund, was bedeutet, dass er sich selbst Schweigen auferlegt. Gott hat ihn gedemütigt. Er erkennt an, dass es unangemessen ist, auch nur ein Wort gegen Gott zu sagen. Er hat es ein- oder zweimal getan, aber er wird es niemals wieder tun (Hiob 40:5). Es kommt keine weitere Verteidigung aus seinem Mund. Hier scheint Gottes Ziel erreicht worden zu sein.

Doch Gott wird weiter zu ihm sprechen, denn sein Ziel ist noch nicht erreicht. Hiob hört zwar auf, anzuklagen, aber nur, weil er erkennt, dass dies angesichts desjenigen, der unendlich viel größer und mächtiger ist als er selbst, unangemessen ist. Er hat dies allerdings noch nicht als Sünde bekannt. Die Antwort Hiobs ist Gott zu dürftig. Hiob würde kein schlechtes Wort mehr über Gottes Vorgehen sagen, aber er könnte sich immer seine eigenen Gedanken darüber haben. Deshalb setzt Gott in seiner Gnade sein Werk mit Hiob fort, denn Hiob muss noch zur Reue kommen. Erst wenn das geschehen ist, hat Gott sein Ziel erreicht.

Deshalb hält Gott es für nötig, ein zweites Mal zu ihm zu sprechen. In seiner ersten Rede an Hiob spricht Er über seine Sorge für seine Schöpfung und seine Geschöpfe (Hiob 38 und 39). In seiner zweiten Rede, in Hiob 40 ab Hiob 40:6 und Hiob 41, verweist Er auf die Kontrolle, die Er über alle Geschöpfe hat, die der Mensch nicht beherrschen kann.

Als extremes Beispiel führt Er zwei Tiere an, denen der Mensch völlig machtlos und wehrlos gegenübersteht. Sie sind Typen oder Vorbilder für die unwiderstehliche Kraft und den Stolz, die den Menschen von Natur aus beherrschen und gegen die er völlig machtlos und wehrlos ist. Die beiden Tiere, die Gott Hiob vorstellt, weisen über sich selbst hinaus auf „die geistlichen Mächte der Bosheit“ (Eph 6:12), insbesondere auf die Macht Satans. Auch diese „Weltbeherrscher“ und „Mächte“ sind der Autorität des Schöpfers unterstellt (Kol 1:16).

Das Ziel hier geht weit darüber hinaus, Hiob zu zeigen, dass Gott der Schöpfer und Erhalter der Welt der Natur ist. Das tut Er in seiner ersten Rede. In seiner zweiten Rede geht es darum, Hiob davon zu überzeugen, dass Gott auch Herr über die bösen geistlichen Mächte ist, die seine gute Ordnung auf den Kopf stellen und sie umstürzen. Hiob ist gewissermaßen ihr Sprachrohr gewesen, indem er gegen Gottes Regierung Einspruch erhob, weil er der Meinung war, dass Gott nicht die richtige Haltung gegenüber dem Bösen einnahm (vgl. Mt 16:22; 23).

In der Einleitung zur zweiten Rede (Hiob 40:6-14) spricht Gott von seiner Macht und seiner Fähigkeit, das Böse zu vernichten. Er schaut auf jede stolze Macht herab, um sie zu demütigen und zu unterwerfen. An den beiden Tieren, die das Böse symbolisieren, sehen wir, dass Gott Herr und Meister des Bösen ist und mit ihm so umgeht, wie Er es will und nicht, wie Hiob es für richtig hält. Als Hiob von der Unrechtmäßigkeit seiner Kritik an Gottes Regierung überzeugt ist, ist seine Antwort diesmal eine Antwort der tiefen Reue darüber (Hiob 42:1-6).

Gott fährt fort mit Hiob

Nach Hiobs Antwort auf die erste Rede beginnt der HERR seine zweite Rede. Wie bereits gesagt, ist dies notwendig, weil Hiob noch nicht den Platz vor dem HERRN eingenommen hat, der ihm gebührt. Es muss ein noch tieferes Werk in ihm geschehen. Es ist ein Beweis der Gnade Gottes, dass Er die Geduld mit Hiob nicht verliert, sondern fortfährt, ihm zu antworten (Hiob 40:6; Hiob 38:1; Hiob 40:1). Gott ist nicht darauf aus, Hiob zu zermalmen und zu vernichten, sondern ihn zu unterweisen und zu überzeugen, wofür Er sich liebevoll zu ihm hernieder neigt.

Wie bei seiner ersten Rede antwortet der HERR Hiob „aus dem Sturm“ (vgl. Hiob 38:1). Die Herausforderung, mit der sich Gott in Hiob 40:6 an Hiob wendet, ähnelt auch der Herausforderung, mit der Er seine erste Rede begann (Hiob 38:3). Wieder rät Er Hiob, seine Lenden wie ein Mann zu umgürten (Hiob 40:7). Hiob muss neue Kräfte sammeln und sich in seiner männlichen Kraft hinstellen, denn Gott wird ihn weiterhin „fragen“. Schließlich hat Hiob selbst Gott mit den Worten herausgefordert: „So rufe denn, und ich will antworten“ (Hiob 13:22). Es wird neue Themen geben, die seine ganze Aufmerksamkeit erfordern werden. Er wird aufmerksam zuhören und dann antworten müssen.

Gott hat ihm auch in den vorangegangenen Kapiteln Fragen gestellt, aber der Ton, in dem Er jetzt zu Hiob spricht, ist strenger. Dies ist notwendig, um die Tiefen von Hiobs Herz zu erreichen. Das wird schon in der ersten Frage deutlich, die Gott stellt (Hiob 40:8). In einem vorigen Kapitel sagte Gott, dass Hiob seinen Rat mit Worten ohne Erkenntnis verdunkelte (Hiob 38:2). Jetzt weist Gott Hiob darauf hin, dass es noch schlimmer um ihn steht, denn er will sein Gesetz zerstören, d. h. es für ungültig erklären. Hiob sagte, dass Gott die Dinge umkehrt, indem Er die Gottlosen, die Strafe verdienen, nicht bestraft, und ihn, der keine Strafe verdient, bestraft.

Hiob erklärte Gott für schuldig, Unrecht zu begehen und das Recht zu brechen (Hiob 27:2). Schließlich hat Gott ihn, einen Unschuldigen, bestraft. Hiob hat diese Anschuldigung erhoben, weil er sich selbst als Gerechten sieht. Seiner Überzeugung nach ist an ihm nichts auszusetzen, und trotzdem straft Gott ihn. Dann ist mit Gott etwas nicht in Ordnung. Er stellt Gott unter Anklage, um selbst Recht zu bekommen. Gott wird Hiob klarmachen, dass er sich selbst für rechtschaffen hält, was ihm nicht zusteht und auch nicht wahr ist. Jemand, der rechtschaffen ist, gibt jedem, was ihm zusteht, zuerst und vor allem Gott. Das ist der Punkt, an dem es bei Hiob schief ging. Nur muss er das selbst noch einsehen, und das ist es, womit Gott beschäftigt ist.

Diese schwere Anschuldigung kann Gott nicht einfach ignorieren. Er konfrontiert Hiob jedoch nicht mit seinen falschen Aussagen, sondern mit sich selbst, mit seiner Kraft und Allmacht (Hiob 40:9). Wenn Hiob meint, gegen Ihn reden zu müssen, muss er erst einmal zeigen, dass er Ihm ebenbürtig ist, dass er es mit Ihm aufnehmen kann. Er soll seinen Arm mal zeigen. Der Arm Gottes symbolisiert seine Macht zur Erlösung und zum Gericht (Ps 44:4; Ps 89:14; Jes 59:16; Hes 20:33; 34). Was bedeutet demgegenüber schon der „fleischliche Arm“ (2Chr 32:8) Hiobs? Ist er so stark wie Gott? Wenn ja, dann kann Hiob auch Richter sein, denn es braucht Macht, um Recht zu sprechen.

Und wie verhält es sich mit der Stimme Hiobs? Kann er mit seiner Stimme so donnern, wie Gott es tut (Hiob 37:4; 5)? Wenn Gott spricht, zittert die Schöpfung. In seiner Stimme liegt „der Donner seiner Macht“ (Hiob 26:14). Und was geschieht, wenn Hiob spricht? Überhaupt nichts. Sowohl seine körperliche Kraft als auch die Macht seiner Worte sind nicht im Entferntesten vergleichbar mit der Macht der Taten und Worte Gottes.

Soll Hiob sich doch als Richter aufspielen und sich mit „Erhabenheit und Hoheit“ schmücken, damit jeder sehen kann, dass er über der Sache steht, mit der er sich beschäftigen muss (Hiob 40:10). Er soll wie Gott handeln und sich wie Gott mit „Pracht und Majestät“ bekleiden (Ps 104:1). Dann kann er sich auf den Thron setzen und zeigen, dass er die Welt besser regieren kann als Gott.

Wenn er mit diesen Eigenschaften geschmückt und bekleidet ist, kann er gegen das Böse vorgehen und „die Ausbrüche deines Zorns“ (Hiob 40:11) ausgießen. Dann kann er tun, was Gott nicht geschafft hat. Schließlich macht Gott nichts daraus. Seine Regierung taugt nichts. Das zeigt sich ja in der Art, wie Er Hiob behandelt. Nun, Hiob muss mal zeigen, dass er alle Ungerechtigkeit in der Welt austilgen kann. Wenn er so gut weiß, was er mit den Stolzen zu tun hat, dann soll er „alles Stolze“ ansehen und sie mit seinem Blick demütigen, ohne einen zu übersehen.

Das Wort „sieh“ bedeutet, einen strengen und drohenden Blick zu werfen, sodass der Betroffene merkt, dass der Richter ihn durch und durch kennt und dass er nichts vor ihm verbergen kann. Das kann Gott. Dadurch wird der Stolze erniedrigt. Er hat nichts mehr zu verbergen, nichts, womit er sich brüsten oder verstecken könnte, denn der Richter durchschaut ihn. Gott weist hier auf eines der vielen Beispiele seiner Macht hin und fordert Hiob auf, Ihn darin nachzuahmen.

Hiob muss nicht nur die Stolzen sehen und erniedrigen, er muss auch die Stolzen sehen und „beugen“ (Hiob 40:12; vgl. Jos 2:11; 12). Erniedrigen bedeutet, ihm seinen Stolz zu nehmen. Ihn beugen bedeutet, ihn zu zwingen, seinen Willen zu tun. Auch Hiob muss sich mit den Gottlosen auseinandersetzen. Er muss sie „auf ihrer Stelle“ niederreißen. Das bedeutet ein Urteil ohne Verzug. Wo auch immer sie sich befinden, muss es dort geschehen, damit sie keine einzige Gottlosigkeit mehr begehen können. Sicherlich erwartet Hiob, dass Gott das tut, aber wenn Er es nicht tut? Dann muss er selbst zeigen ob er das kann.

Nach der Vollstreckung des Gerichts muss Hiob dafür sorgen, dass die Stolzen und die Gottlosen „allesamt in den Staub“ der Erde versteckt werden (Hiob 40:13). Sie müssen vollständig aus dem Blickfeld verschwinden. Um die Endgültigkeit des Gerichts zu unterstreichen, muss Hiob ihr Gesicht „in Verborgenheit einschließen“. So würde er eine doppelte Finsternis über diese Verbrecher bringen. Sie sind bereits im Staub versteckt, und jetzt kommt noch eine Augenbinde hinzu. So werden sie von niemandem mehr gesehen und können auch selbst niemanden mehr sehen. Eine Person, deren Gesicht eingewickelt ist, kann nichts mehr sehen. Das geschieht mit denen, die zum Tode verurteilt sind (Est 7:8).

„Sieh, Hiob“, sagt Gott gleichsam, „wenn du das mit den Gottlosen tun kannst, will ich dich preisen (Hiob 40:14). Dann bist du der starke Mann, der seinen Worten Taten folgen lassen kann. Deine rechte Hand hat so viel Macht, dass du dich selbst von Übeltätern und aus allen möglichen schwierigen Situationen befreien kannst. Du brauchst keine Hilfe von anderen. Dann ist bewiesen, dass du mir gewachsen bist und dass du mich zu einer Gerichtsverhandlung vorladen kannst.“

Die Botschaft dieser Einleitung lässt sich wie folgt zusammenfassen: Hiob kann nicht durch seine eigene rechte Hand erlöst werden, sondern ausschließlich durch die rechte Hand Gottes, und er ist Gott absolut nicht gewachsen, weil er Gott nicht ebenbürtig ist. Hiob muss Gott nicht nur als Schöpfer, sondern auch als Erlöser anerkennen. Gott ist der Einzige, der zu preisen ist, nicht Hiob.

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