Judges 9:1-3

Einleitung

Dieses Kapitel ist eine Fortsetzung der letzten Verse des vorherigen Kapitels. Dort wird ein erneutes Abweichen von dem HERRN erwähnt. Hier lesen wir über ein noch weiter gehendes Verlassen von Ihm. Die Folge ist Sklaverei und Erniedrigung. Aber hier ist die Sklaverei nicht die Folge einer feindlichen Macht von außen, sondern von innen. Die vorausgegangenen Lektionen drehten sich um die Haltung des Volkes seinen Feinden gegenüber. Die Lektion, die wir in der Geschichte Abimelechs zu sehen bekommen, hat mit den Beziehungen innerhalb des Volkes Gottes zu tun.

In Abimelech begegnen wir jemandem, der, anstatt gegen die Feinde zu kämpfen, über Gottes Volk herrscht. Ihm und seinem Verhalten wird das längste Kapitel des Buches Richter gewidmet, ganze 57 Verse. Abimelech ist kein Befreier Israels, sondern er ist jemand, der einen Grundsatz vorstellt, der auch bei einem gewissen Diotrephes zu sehen ist. Diotrephes wird vom Apostel Johannes in seinem dritten Brief erwähnt. Er ist jemand, „der gern unter ihnen [das heißt in der Gemeinde] der Erste sein will“ (3Joh 1:9). Er ist jemand, der sich Autorität anmaßt, unter Ausschluss anderer, wie Johannes weiter von ihm sagt: Er „nimmt uns nicht an“. Er duldet keine Konkurrenz.

Diese Handlungsweise sehen wir in Abimelech veranschaulicht. Es ist auffällig, dass er nicht ein einziges Mal den Namen Gottes nennt. Ebenso ist er eine der düsteren Personen, die im Alten Testament ein Vorbild des Menschen der Sünde, des Antichristen, sind. Daran dürfen wir auch denken, wenn wir uns mit seiner Geschichte beschäftigen.

Das Wichtigste ist jedoch, dass er etwas von dem erkennen lässt, was in unser aller Herzen vorhanden ist. Es steckt uns allen im Blut, der Erste, der Wichtigste sein zu wollen. Wir müssen auf den Herrn Jesus blicken, der sich selbst für nichts achtete und der Diener aller geworden ist. Er, der „nicht gekommen ist, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele“ (Mt 20:28).

Er hat dies nicht allein gesagt, sondern auch getan. Darum kann er zu seinen Jüngern sagen, als sie sich darüber streiten, wer unter ihnen wohl der Größte sein darf (dieser Geltungstrieb steckte also auch in ihnen): „Ihr aber nicht so; sondern der Größte unter euch sei wie der Jüngste, und der Führende wie der Dienende. Denn wer ist größer, der zu Tisch Liegende oder der Dienende? Nicht der zu Tisch Liegende? Ich aber bin in eurer Mitte wie der Dienende“ (Lk 22:26; 27). Lasst uns bei der Betrachtung des Auftretens von Abimelech stets auf den Gegensatz zum Auftreten unseres Heilands achten.

Der Griff nach der Macht

Abimelech wird nicht Richter genannt. Er ist auch nicht von Gott dazu erweckt worden, Israel zu befreien. Vielleicht ist er wohl durch die Bedeutung seines Namens – sein Name bedeutet „mein Vater ist König“ – auf die Idee gekommen, auf der Grundlage der Thronfolge die Herrschaft zu beanspruchen. Sein Vater war der Führer Volkes, er sollte das auch sein. Wie es auch sei, er kommt dazu zu fordern, was sein Vater verweigert hatte (Ri 8:22; 23) und wird auf diese Weise einer von solchen, „die über ihre Besitztümer herrschen“ (1Pet 5:3). Er ist jemand, über den Paulus spricht, wenn er zu den Ältesten von Ephesus sagt: „Und aus euch selbst werden Männer aufstehen, die verkehrte [Dinge] reden, um die Jünger abzuziehen hinter sich her“ (Apg 20:30).

Er ist ein Diotrephes. Abimelech gehört zu der Sorte Menschen, die die Gemeinde so leiten, wie Manager es in ihren Betrieben tun. Ein solcher Mensch wird immer versuchen, Menschen um sich zu sammeln, um so seine Ideen über den Charakter der Gemeinde zu verwirklichen und Veränderungen durchzuführen. Er wird dies tun, indem er Gunstbeweise gewährt, durch die man sich ihm verpflichtet fühlt. Seine Werbekampagne läuft gut, und seine Sprache schlägt an.

Abimelech tut so, als ob er sich für die Belange seiner Familie einsetzen will und geht geschickt auf ihre Gefühle ein, während er seine 70 Halbbrüder an die Seite schiebt. Er präsentiert sich nicht als der Sohn Gideons, sondern er nimmt den Charakter seiner Mutter an. Gideon hat seine 70 Söhne zweifelsohne in seinem eigenen Haus aufgezogen, während Abimelech in Sichem aufgewachsen ist.

Er kennt überhaupt keinen Respekt für seine Halbbrüder. Als er einmal gewählt ist, lässt er sie umbringen. Dafür bezahlt er pro Person ein Silberstück an nichtswürdige Leute, die alle 70 Brüder gefangen nehmen und sie in Schach halten, während Abimelech sie einen nach dem anderen auf einem Stein tötet. Dass das Geld aus dem Götzentempel kommt, stört ihn nicht im Geringsten.

Abimelech will sich selbst erhöhen und ähnelt darin der Person, die in Daniel 11 beschrieben wird (Dan 11:36). Es wurde bereits auf die Ähnlichkeit zwischen Abimelech und dem Antichristen hingewiesen. Über die Kennzeichen des Antichristen können wir in 1. Johannes und 2. Thessalonicher etwas lesen (1Joh 2:22; 1Joh 4:3; 2Thes 2:3; 4). Der Antichrist geht genauso zu Werke wie Abimelech. Auch er wird durch schöne Worte die Gunst des Volkes zu gewinnen wissen (Ps 55:22; Dan 11:32). Bei Absalom, einem Sohn Davids, begegnen wir diesem Kennzeichen, dem Gebrauch von schmeichelnder Sprache, ebenfalls. Wir lesen von ihm: „So stahl Absalom das Herz der Männer von Israel“ (2Sam 15:6). Das ist es, was Abimelech hier tut.

Ein Mann entkommt der Mordpartei (vgl. 2Chr 22:10-12). Das ist Jotham. Sein Name bedeutet „der HERR ist vollkommen“. Er ist ein wahrer Zeuge seines Namens. Gott wird niemals ohne einen Zeugen sein. Jotham legt sein Zeugnis in den folgenden Versen ab. Er ist ein wahrer Antipas, das bedeutet „einer gegen alle“ (Off 2:13). Er stellt den treuen Überrest dar, den Gott zu allen Zeiten aufrechterhält, nach Auswahl seiner Gnade (Röm 11:5).

Abimelech ist der erste Mensch, der sich in Israel zum König ausrufen lässt. Er setzt sich völlig über die Anforderungen hinweg, die Gott für dieses Amt niedergelegt hat (5Mo 17:14-20). Ironischerweise findet die Huldigung in der Nähe des Baumes in Sichem statt, wohin Josua das Buch des Gesetzes Gottes für das Volk gelegt hatte (Jos 24:25; 26).

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