‏ Lamentations 2:7

Einleitung

Hier beginnt das zweite Lied, das ebenfalls mit dem Wort „Wie“ beginnt (Klgl 2:1; vgl. Klgl 1:1). Wie schon im ersten Lied, haben wir auch hier zweiundzwanzig Strophen zu je drei Zeilen, wobei die erste Strophe mit dem ersten Buchstaben des hebräischen Alphabets beginnt und jede weitere Strophe mit dem jeweils nächsten Buchstaben. Erneut hören wir von Jeremias großem Kummer und wie er jeden Buchstaben braucht, um seinem Schmerz Ausdruck zu verleihen.

Im ersten Klagelied (Klagelieder 1) geht es mehr um die Trostlosigkeit, Einsamkeit und Schande als Folge der Zerstörung Jerusalems. In diesem zweiten Klagelied sehen wir mehr den Zustand der Zerstörung, wobei die Zerstörung des Tempels das Hauptthema ist. Es wird nachdrücklich betont, dass die Zerstörung das Ergebnis des Zorns Gottes ist.

1. Die Klgl 2:1-9 beschreiben die Zerstörung Jerusalems und dass sie vom Herrn (Adonai) ausgegangen ist.

2. In Klgl 2:10 sehen wir, in welchem Zustand sich einzelne Überlebende befinden.

3. In den Klgl 2:11; 12 hören wir Jeremias persönliche Not.

4. In den Klgl 2:13-17 wird Jerusalem beklagt; Jeremia sucht nach einem Grund des Trostes, findet aber keinen.

5. Die Klgl 2:18; 19 enthalten einen Aufruf, den Herrn (Adonai) anzurufen.

6. In den Klgl 2:20-22 hören wir, wie der HERR (Jahwe) angerufen wird.

Jerusalem zerstört – Der Herr hat es getan

Schon gleich zu Beginn sagt Jeremia, dass nicht der Feind, sondern der Herr (Adonai) in seinem Zorn Jerusalem in das Dunkel der Trauer und des Schmerzes gehüllt hat (Klgl 2:1). Die Stadt ist ganz darin eingetaucht. Kein Lichtstrahl der Gegenwart Gottes ist in dieser Finsternis zu sehen. Da ist kein Gebet, das zum Herrn durchdringen kann.

„Die Herrlichkeit Israels“, die Wohnstätte des Herrn, den Tempel, hat Er durch die Hand der Feinde „vom Himmel zur Erde geworfen“ und dem Erdboden gleichgemacht. Zion wurde von der höchsten Herrlichkeit zur tiefsten Schande (vgl. Mt 11:23). Obwohl es die Feinde waren, die der Herr zur Ausführung seines Zorns benutzt hat, schreibt Jeremia doch alles dem Herrn zu – Er hat es getan.

„Der Schemel seiner Füße“, der Ort seiner Ruhe, ist die Lade seines Bundes (1Chr 28:2). Er wollte und konnte sie nicht bewahren, weil das Volk Ihn seiner Ruhe beraubt hat durch ihre Sünden Er musste den Tempel verlassen und deshalb hat dieser einschließlich der Gegenstände darin keine Bedeutung mehr. Am Tag seines Zorns gab Er alles in die Hand der Feinde, um es zu zerstören oder wegzutragen.

Der Herr hat seine eigene Behausung nicht verschont. Er (Adonai) hat auch die Wohnstätten seines Volkes nicht verschont, sondern hat sie alle vernichtet (Klgl 2:2). Die Fußnote zu Klgl 2:2 benutzt dafür das Wort „verschlungen“. Das weist auf eine vollständige Zerstörung hin.

Sein Zorn über ihre Sünden ist groß. Deshalb hat Er die Festung der Tochter Juda, auf die sie ihr Vertrauen gesetzt hatte, niedergerissen. Die Beschreibung ist eindeutig. Der Herr hat mit den Wohnstätten gehandelt.

Er hat sie „zu Boden geworfen“, dem Erdboden gleichgemacht. Damit hat Er das Königreich und seine Fürsten „entweiht“, das heißt ihnen die besondere Stellung genommen, die sie vor Ihm hatten. Juda verlor seine Unabhängigkeit. Zedekia wurde nach Babel weggeführt und seine Söhne und Fürsten wurden getötet.

„Jedes Horn Israels“ hat Er in seiner Zornglut abgehauen (Klgl 2:3). Das Horn ist ein Bild der Stärke (1Sam 2:1; Jer 48:25). Israel war stark durch den HERRN. Doch von ihrer Stärke ist nichts mehr übrig, weil sie ihren starken Gott verlassen haben. Sie stehen machtlos inmitten von Elend und Trümmern.

Als der HERR handelte, tat Er es gegen sein Volk. Doch auch als Er nicht handelte, sie sozusagen sich selbst überließ, tat Er es gegen sie. „Seine Rechte“, die sie schützte, für sie kämpfte und sie erlöste (2Mo 15:12; Ps 18:36; Ps 20:7; Ps 108:7), hat Er von ihnen zurückgezogen (Ps 74:11). Nun mussten sie es ohne seine Hilfe schaffen. Das sah der Feind und ergriff seine Chance.

So hatte der Feind freie Hand bekommen, weil der Zorn des Herrn gegen Jakob entbrannt war. Sein Zorn ist „wie ein flammendes Feuer, das ringsum frisst“. Nichts wird verschont. Jeder Winkel des Landes wird heimgesucht und fällt seinem richtenden Feuer zum Opfer.

Der Herr ist „wie ein Gegner“ für sein Volk geworden (Klgl 2:4), „wie ein Feind“ hat Er gegen sein Volk gehandelt. In Klgl 2:3 hatte Er seine rechte Hand von seinem Volk zurückgezogen, hier taucht sie wieder auf. Doch jetzt hat Er „seinen Bogen … gespannt“, bereit, seinem Volk „wie ein Gegner“ zu nahen und es zu strafen. Er hat den Bogen gespannt und „alle Lust der Augen“, das heißt die kämpfenden jungen Männer, getötet.

Nun wütet das Feuer seines Zorns im Innern des Zeltes, einem Ort der Geborgenheit und der Gemeinschaft (Ps 27:5b), womit Jerusalem und besonders der Tempel gemeint sind.

Der Herr (Adonai) ist für sein Volk „wie ein Feind geworden“, denn Er hat es in die Hand des Königs von Babel gegeben. Er hat diesen Feind stellvertretend zum Vollstrecker seines Gerichts gemacht (Klgl 2:5). Wenn sein Volk Ihm gehorsam dienen würde, so wäre Er der Feind der Feinde seines Volkes (2Mo 23:22). Aber jetzt ist Er, der Herr selbst, zum Feind seines Volkes geworden (vgl. Jes 63:10). Er hat es getan, seine Hand hat dieses Unglück über sie gebracht. Das müssen auch wir gut bedenken bei allem, was auf uns zukommt oder zu uns gesagt wird. Wie feindselig oder fleischlich dies auch sein mag, wir müssen es aus seiner Hand annehmen.

Wieder wird das Wort „vernichtet“ (wörtlich: „verschlungen“) verwendet (vgl. Klgl 2:2). Israel und alle seine Paläste wurden von Ihm „verschlungen“. Alle seine Festungen wurden „zerstört“, dem Erdboden gleich gemacht. Das verursacht ein zunehmendes Seufzen und Stöhnen bei seinem Volk, der Tochter Juda.

Er hat seinen Tempel, „sein Gehege“, niedergerissen, als wäre es eine vorübergehende Behausung, so wie Bauern sie auf den Feldern errichten und auch wieder abreißen, wenn sie mit der Feldarbeit fertig sind (Klgl 2:6). Vom Tempel ist nichts übrig geblieben, denn Er hat ihn „zerwühlt“. Das zeigt deutlich seinen glühenden Zorn – Er hat es gründlich getan. Der „Garten“ ist sein Land und darin hat sein Volk den Götzen geopfert. Warum also sollte Er noch seinen Tempel erhalten? Deshalb hat Er ihnen das Vorrecht genommen, Ihn anzubeten.

„Der Ort seiner Festversammlung“, der Ort, an dem sich das Volk zu Ihm und mit Ihm versammelte, der Tempel, ist nicht mehr da. Er selbst hat diesen Ort zerstört. Das Verhalten seines Volkes hat Ihn dazu gezwungen. Dasselbe sehen wir heute, wenn Orte des Zusammenkommens verschwinden, weil Hochmut seinen „Ort“ zu einem Ort gemacht hat, an dem Menschen das Sagen haben. Wenn Ihm an seinem Platz des Zusammenkommens nicht mehr alle Autorität gegeben ist, kann Er dort nicht mehr in der Mitte sein (vgl. Mt 18:20).

Alles, was das Volk mit dem HERRN (Jahwe) in einer Festversammlung verbunden hat, ist vorbei. Das Volk hat es vergessen, weil es nichts mehr gibt, was daran erinnert. Der HERR hat es verursacht, denn Er hat mit dem Tempel auch „Fest und Sabbat“ weggenommen. Er hat es unmöglich gemacht, dass sie Ihm anlässlich der Feste im Tempel begegnen könnten. Das gilt in doppelter Hinsicht: Er hat den Tempel verlassen und Er hat ihn zerstört.

Mit der Zerstörung des Tempels sind auch „König und Priester“ verschmäht. Das Haus Davids und die Priester sind in Gefangenschaft. Es gibt eine enge Verbindung zwischen dem Königtum Davids und dem Priestertum der Leviten. David und sein Sohn Salomo waren aufs Engste mit dem Tempel, dem Tätigkeitsfeld der Priester, verbunden. Wenn der Tempel nicht mehr da ist und es keinen Platz mehr für die Priester gibt, gibt es auch keinen Platz mehr für das Königtum. Das ganze öffentliche gottesdienstliche Leben hat keine Daseinsberechtigung mehr. Diese Situation wird so lange bestehen, bis der wahre König-Priester, der Herr Jesus, als Priester auf seinem Thron sitzen und regieren wird (Sach 6:13).

In seiner Majestät hat der Herr (Adonai) „seinen Altar verworfen“ und „sein Heiligtum verschmäht“ (Klgl 2:7). Er konnte es nicht länger aufrechterhalten, weil sie weiterhin sündigten. Indem sie das taten, zeigten sie, dass sie den Altar als Symbol der Versöhnung und sein Heiligtum als Symbol seiner Gegenwart nicht wertschätzten.

Auch die Mauern der Prachtgebäude der Fürsten hat Er in die Hand des Feindes gegeben. Was menschlich gesehen Schutz hätte bieten sollen, ist für die Feinde zu einem leicht überwindbaren Hindernis geworden, weil der Herr ihnen half.

Dafür haben die Feinde selbst keinen Blick. Sie befinden sich im Tempel anstelle seines Volkes, und zwar nicht, um dem HERRN zu danken, sondern um in hochmütiger Freude über den Sieg ihr Gebrüll in diesem Haus erklingen zu lassen. Es ist ihr Festtag. Es ist keine Freude für den HERRN und kein Festtag, der Ihm geweiht ist.

Der HERR hat nicht aus einem Impuls heraus gehandelt, sondern nach sorgfältiger Abwägung und reiflicher Überlegung einen Beschluss gefasst. Wegen ihres unwiderruflich sündigen Verhaltens musste Er den Beschluss fassen, Jerusalem zu zerstören (Klgl 2:8). Die Mauer ist gefallen. Der Feind kann direkt hineinspazieren.

Das sorgfältige Abwägen sehen wir auch daran, dass Er „die Mess-Schnur“ zog. Eine solche Arbeit geschieht mit Sorgfalt. Es war seine Hand, die dies tat und mit genauer Präzision das Maß des Verderbens bestimmte (vgl. 2Kön 21:13; Jes 34:11). Normalerweise wird eine Mess-Schnur benutzt, um aufbauende Arbeiten zu verrichten (Hiob 38:5; Sach 1:16), doch hier kommt sie zum Einsatz für ein Zerstörungswerk.

Die Zerstörung betrifft hier vor allem die Festungen, Mauern und Wälle. Sie werden hier wieder als lebende Personen dargestellt, die ihr Schicksal betrauern. All der Schutz, der für Frieden und Sicherheit sorgen sollte, ist zusammengebrochen mit dem Ergebnis, dass sie kläglich daliegen und trauern.

Die Tore und Riegel sind zerstört (Klgl 2:9). Als Nehemia von den eingestürzten Mauern und den zerstörten Toren und Riegeln hört, demütigt er sich vor dem HERRN, er betet und handelt (Nehemia 1–3). Diejenigen, die die Stadt beschützen und regieren sollten, „ihr König und ihre Fürsten“ – möglicherweise sind hier Jojakin und sein Gefolge gemeint – sind weggeführt worden und befinden sich unter den Nationen.

Niemand spricht mehr über das Gesetz. Das Gesetz wurde abgeschafft und die falschen Propheten haben ausgedient. Nach dem Willen Gottes wurde nicht gefragt. Die Priester wurden nicht gebeten, das Gesetz zu erklären und die Propheten wurden nicht angesprochen, um zu hören, was der HERR ihnen gezeigt hatte. Es machte auch keinen Sinn, denn Gott schwieg. Alles, was dem Volk in Gottes Auftrag Führung und Orientierung gab, ist verschwunden Er musste es ihnen wegen ihrer Untreue nehmen (vgl. 1Sam 28:6) und es gab keine Botschaft des Trostes und der Unterstützung für sie.

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