Luke 1:3

Einleitung

Wenn wir eine Person beschreiben, können wir das aus verschiedenen Blickwinkeln tun. So können wir beispielsweise jemanden als Familienvater beschreiben. Danach können wir dieselbe Person vielleicht auch als Kollegen oder als Nachbarn beschreiben. Wir sehen, wie auf diese Weise vier Evangelisten – unter der Inspiration des Heiligen Geistes – über das Leben des Herrn Jesus, während er hier auf der Erde gelebt hat, berichtet haben. In den vier Lebensbeschreibungen, die wir dadurch in der Bibel haben, berichtet Matthäus in seinem Evangelium über den Herrn Jesus als König, Markus stellt Ihn als Diener vor, Lukas beschreibt Ihn als den wahren Menschen und Johannes schließlich schreibt über Ihn als den ewigen Sohn Gottes.

Die vier lebendigen Wesen im Buch der Offenbarung (Off 4:7) symbolisieren in wunderschöner Weise jeweils eins der vier Evangelien. Das dritte der vier lebendigen Wesen gleicht einem Menschen. Dieses Symbol passt zu dem Evangelium, das den Herrn Jesus als Menschen vorstellt.

Man kann auch einen Vergleich machen zwischen den Farben der Stiftshütte und den vier Evangelien. Die Farbe, die zu diesem Evangelium passt, ist weiß, die Farbe des weißen Linnens; sie weist auf die reine, sündlose Menschheit des Herrn Jesus hin. Wir lesen hier mehr als in den anderen Evangelien von der Sündlosigkeit des Herrn Jesus. Das sehen wir treffend in dem Prozess gegen Ihn, wo ein vielfaches Zeugnis seiner Sündlosigkeit gegeben wird, zum größten Teil von seinen Feinden (Lk 23:4; 14; 15; 22; 41; 47).

Das Ziel dieses Evangeliums besteht darin, dass wir den Herrn Jesus als Menschen betrachten. Wer dieses Evangelium mit dem Wunsch liest, Ihn als Menschen zu sehen, wird Ihn als jemanden kennenlernen, in dem Gott uns Menschen sehr nahe gekommen ist. Er ist den Menschen gleich geworden, ausgenommen die Sünde (Heb 4:15).

Der wesentliche Inhalt dieses Evangeliums

Lukas zeigt den Herrn Jesus als den Sohn des Menschen, den Menschen Gottes, der für alle Menschen da ist. In Ihm offenbart Gott sich verlorenen Menschen, um sie in seiner Gnade zu erlösen. Lukas wendet sich in seinem Evangelium an die gesamte Menschheit. Hier wird nicht, wie im Evangelium nach Matthäus, die Haushaltung des Gesetzes durch eine andere Haushaltung (das Reich) ersetzt, sondern hier wird das Gesetz durch die rettende himmlische Gnade ersetzt. Gnade ist nicht nur die Lösung für das Problem der Sünde. Gnade geht viel weiter, und das wird in diesem Evangelium gezeigt. Es geht in diesem Evangelium nicht so sehr um das, wovon Gott uns befreien wollte, sondern um das, was Er aus uns machen wollte.

In diesem Evangelium werden Menschen vorgestellt, an denen Gott sein Wohlgefallen hat. Gott hat sie dazu bestimmt. Daher könnte als Überschrift über diesem Evangelium stehen: „Begnadigt in dem Geliebten“ (Eph 1:6). Gnade schließt alles ein, was Gott in seinen Ratschlüssen für uns vorgesehen hat. Von Gläubigen heißt es, dass sie begnadigt oder angenehm gemacht sind in dem Geliebten, denn in diesem geliebten Sohn hat Gott sich offenbart. In Ihm kommt Gott in Gnade als Mensch zu uns. Er ist der Mensch aus dem Himmel, wirklich und wahrhaftig Mensch, wenn auch ohne Sünde.

Der Schreiber Lukas

Gott hat Lukas gebraucht, dieses Evangelium zu schreiben. Lukas war ein Mitarbeiter des Apostels Paulus und von Beruf Arzt (Kol 4:14; 2Tim 4:11; Phlm 1:24; siehe auch die „wir“-Texte in der Apostelgeschichte ab Apg 16:10). Er war seiner Herkunft nach höchstwahrscheinlich ein Heide und schreibt an einen Heiden. Das zeigt, dass die Gnade Gottes auch den Heiden gilt.

Lukas, der Paulus auf manchen Reisen begleitet hat, schreibt über Dinge, die Paulus in seinen Briefen näher ausführt. Es gibt eine enge Verbindung zwischen diesen beiden Dienern. Lukas zeigt uns die Sohnschaft des Gläubigen. Paulus arbeitet sie weiter aus. Lukas spricht über Söhne des Höchsten (Lk 6:35), über Söhne des Friedens (Lk 10:6), Söhne des Lichts (Lk 16:8), Söhne Gottes (Lk 20:36), Söhne der Auferstehung (Lk 20:36). Sohnschaft ist die höchste Stellung, die ein Gläubiger vor Gott haben kann. Ein Gläubiger ist ein Sohn Gottes, zur Freude seines Herzens (Eph 1:5).

An Theophilus

Lukas hat seinen Bericht über das Leben des Herrn Jesus auf der Erde geschrieben, damit Theophilus, der bekehrte Heide, besser verstehen lernt, wer der Herr Jesus ist. Es kursierten zwar schon einige Berichte über sein Leben, aber die waren ungenügend. „Viele“, hatten es zwar unternommen, diese Berichte über Christus aufzuschreiben, aber sie waren nicht inspiriert. Lukas unterstellt ihnen keine unlauteren Absichten oder Unaufrichtigkeit bei dem, was sie schrieben, aber ihre Lebensbeschreibung war deutlich unzureichend. Es war in allen Fällen nicht mehr als das Bestreben und die Bemühung des Menschen, Dinge mitzuteilen, die unter den Christen völlig sicher waren und geglaubt wurden.

Weil ihre Arbeit unzureichend war, war es notwendig, einen neuen und vor allem einen von Gott gegebenen Bericht über Christus zu schreiben. Wenn wir lesen, warum Lukas das Leben des Herrn Jesus zu Papier bringen wollte, dann erkennen wir ein „Motiv“ und es ist auch von „Inspiration“ die Rede. Beide kommen von Gott. Gott wirkt in Lukas den Wunsch, sich dieser Aufgabe zu stellen. Dann leitet Er Lukas absolut und vollkommen in allem, was er niederschreibt.

Wir müssen gut im Gedächtnis behalten, dass der Unterschied zwischen einer inspirierten Schrift und einer anderen Schrift nicht darin besteht, dass nur das Inspirierte wahr und das andere unwahr wäre. Eine Schrift, die nicht inspiriert ist, braucht nicht unwahr zu sein. Nein, der große Unterschied ist, dass eine inspirierte Schrift die Wahrheit wiedergibt, so wie Gott sie sieht. Dieses Evangelium, das Lukas schreibt, ist nicht einfach eine Lebensbeschreibung, wie andere Geschichtsschreiber sie abgefasst haben. Es ist der Bericht, wie Gott ihn über Christus gibt, und der lässt von Anfang bis Ende die besondere Absicht Gottes dieses Evangeliums erkennen.

Das ist für alle inspirierten Schriften charakteristisch, ganz gleich, welche Form sie haben oder was mit ihnen bezweckt ist. Inspiration schließt Irrtümer sowohl im Bericht als auch im Text aus. Doch nicht nur das. Mit der Inspiration verfolgt Gott auch eine Absicht: Er möchte den Gläubigen in der Offenbarung der Herrlichkeit Gottes in Christus unterweisen.

Außer in der Tatsache der Inspiration sehen wir auch in der Arbeitsweise einen Unterschied zwischen Lukas und den anderen, nicht inspirierten Schreibern. Die vielen nicht inspirierten Schreiber haben überliefert, was sie selbst vom Leben des Herrn Jesus gesehen hatten. Darin waren sie Diener des Wortes. Das kann bedeuten, dass sie in ihrem Bericht von dem Herrn Jesus als dem Wort (Joh 1:1; 14) zeugten. Lukas will, genauso wie alle anderen, die das getan haben, ebenfalls einen Bericht verfassen.

Sie alle, die einen Bericht verfassten, hatten als Quelle ihre eigene Wahrnehmung. Ihr Ausgangspunkt war das, was sie von den Taten des Herrn mit eigenen Augen gesehen hatten. Das bedingt zugleich, dass das, was sie aufschrieben, nicht mehr war als ihre menschliche Wahrnehmung. Sie konnten nur ihre eigenen Beobachtungen weitergeben, ohne in die Tiefe der Wahrheit vorstoßen zu können, die in Christus zu dem Menschen gekommen ist.

Lukas hat das Leben des Herrn genau und gründlich studiert. Er hat selbst von Anfang an alles tiefgehend untersucht. Er hat sich dabei nicht auf das beschränkt, was er vom Herrn gesehen hat. Er hat auch den Beginn der Dinge, die den Herrn betreffen, untersucht. Es ist übrigens fraglich, ob er den Herrn Jesus auf der Erde gekannt hat. Das ist kein Problem, wenn wir uns bewusst sind, dass Gott ihm die besondere Inspiration und Offenbarung des Geistes gegeben hat. Dadurch ist deutlich, dass Gott Lukas als sein Instrument erwählte, weil Er nicht nur einen neuen Augenzeugenbericht hinzugefügt haben wollte, sondern weil Er Menschen sein Wohlgefallen an diesem Menschen zeigen wollte.

Obwohl Lukas sagt: „… hat es auch mir gut geschienen“, ebenso wie es den anderen gut geschienen hatte, unterscheidet er seinen Bericht doch von dem der anderen. Er berichtet nicht, wie er zu der Kenntnis all der Dinge gekommen ist, über die er schreibt, sondern er stellt einfach die Tatsache fest, dass die Dinge völlig geglaubt werden. Lukas ist durch genaue Untersuchung zu dem Bericht gekommen, den wir in diesem Evangelium vor uns haben.

Wir wissen, dass Gott Lukas alles gezeigt hat, was dazu nötig war. Doch nichts, was Gott einem Menschen zeigt, entbindet diesen von seiner Verantwortung, sich in das zu vertiefen, was er beschreiben will. Nur Gott ist in der Lage, die Verantwortung des Menschen mit seinem souveränen Plan in Übereinstimmung zu bringen. Er kann das so tun, dass die Verantwortung des Menschen vollständig bestehen bleibt, während dieser Mensch doch genau nach dem Plan handelt, den Gott hat, und in Übereinstimmung mit dem Ziel, das Ihm vor Augen steht.

Das ist in diesem Evangelium, das Lukas als Ergebnis seiner Untersuchung vorstellt, eindrucksvoll zu sehen. Die wunderbare Kombination der genauen Untersuchung durch Lukas und der Inspiration und Offenbarung durch den Geist wird mit keinem Wort erwähnt. Doch jeder Gläubige, der dieses Evangelium unter Gebet liest, wird merken, wie sehr auch dieses Evangelium unter der mächtigen Wirkung des Geistes Gottes entstanden ist und damit vollständig anders ist als jeder andere Bericht über das Leben des Herrn.

Es ist noch eine Besonderheit über die Weise zu erwähnen, wie Lukas das, was er herausgefunden hat, weitergibt. Er sagt, er will das „der Reihe nach“ tun. Das soll jedoch nicht heißen, dass er das Leben des Herrn in einer geordneten chronologischen oder historischen Reihenfolge beschreibt. Die geordnete Reihenfolge, die er meint, hat es mit einem geistlichen Zusammenhang der Ereignisse zu tun. Er stellt Ereignisse zueinander, nicht weil das eine Ereignis zeitlich auf das andere folgt, sondern weil bestimmte Ereignisse durch einen inneren Zusammenhang zusammengehören.

So lässt er beispielsweise auf eine Begebenheit, wo Maria zu den Füßen des Herrn sitzt und seinem Wort zuhört, eine Begebenheit folgen, in der es um das Gebet geht (Lk 10:38-42; Lk 11:1-13). Damit betont er den inneren Zusammenhang, der zwischen dem Wort und dem Gebet besteht, ohne sich die Frage zu stellen, ob diese beiden Ereignisse zeitlich aufeinander gefolgt sind. Zwischen beiden Ereignissen ist möglicherweise eine geraume Zeit verstrichen. Wir werden in diesem Evangelium mehrere Beweise für diese Herangehensweise an das Leben des Herrn Jesus finden. Wir werden sehen, wie Lukas Taten, Gespräche, Fragen, Antworten und Darlegungen des Herrn ihrem inneren Zusammenhang nach wiedergibt und nicht so, wie die Ereignisse nacheinander stattgefunden haben.

Dann schauen wir uns an, wie Lukas schreibt. Er schreibt an den vortrefflichsten Theophilus. „Vortrefflichster“ weist auf die amtliche Stellung des Theophilus hin, nicht auf seinen Charakter. Obwohl es Lukas vor allem darum geht, dass die Predigt des Evangeliums den Armen gilt (siehe Lk 4:18; Lk 6:20; Lk 7:22), ist sein Evangelium insgesamt doch an diesen hochgestellten Mann gerichtet, der jetzt ein Jünger des Herrn ist.

Jemand, der in der Welt eine hohe Position bekleidet, ist in besonderer Weise den Listen und Versuchungen Satans ausgesetzt sowie den Sorgen des Lebens. Das alles sind Gründe dafür, dass der Same des Wortes ohne Frucht bleibt (Lk 8:12-14). Dass ein ganzer Teil der Bibel dennoch an diesen einen Heiden gerichtet ist und dann noch an einen in solch einer Stellung in der Welt, ist ein besonderer Beweis der gnädigen Fürsorge Gottes (vgl. 1Kor 1:26). Gott weiß, was jeder Mensch nötig hat, und Er verachtet niemanden. Er will auch den Bedürfnissen dieses hochgestellten Mannes entsprechen, der jetzt demütig ist und sicher trotz seiner Stellung und seines Reichtums seine Armut fühlt (Jak 1:10).

Lukas will den bekehrten, nicht-jüdischen Theophilus von der Zuverlässigkeit der christlichen Wahrheit, die er angenommen hat, überzeugen. Damit gewährt Lukas diesem bekehrten Heiden Nachsorge. Der Evangelist beabsichtigt, ihm ein besseres Verständnis von „dem Weg“ zu geben. Er war in der christlichen Wahrheit unterrichtet, aber er hatte es nötig, befestigt zu werden und ein Fundament zu bekommen. Das heißt, dass er die Schrift brauchte, denn Sicherheit im Glauben ist mit den heiligen Schriften, dem Wort Gottes, verbunden. Ohne das Wort hätten wir überhaupt keine Sicherheit. Wenn wir Menschen, die (soeben) zum Glauben gekommen sind, dienen und im Glauben gründen wollen, dann kann das nur geschehen, indem wir sie im Wort Gottes unterweisen.

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