Luke 1:46-55

Marias Lobgesang

Nach dem Lobgesang der Elisabeth folgt ein Lobgesang der Maria, der in vielem mit dem Lobgesang von Hanna übereinstimmt, den sie anlässlich der Geburt von Samuel anstimmt (1Sam 2:1-10). Nach dem Lobgesang Marias folgen in den beiden Anfangskapiteln von Lukas noch fünf, so dass wir insgesamt sieben Lobgesänge finden. Wir hören noch von dem Lobgesang des Zacharias (Lk 1:67-79), von dem der Engel (Lk 2:14), dem der Hirten (Lk 2:20), von Simeon (Lk 2:29-32) und von Anna (Lk 2:38). Es sind alles Äußerungen des persönlichen Glaubens, der von der Güte des Herrn überwältigt ist. Wo das der Fall ist, kann ein Lobpreis nicht ausbleiben.

Von Maria heißt es nicht, dass sie mit Heiligem Geist erfüllt wird, wie wir das von Elisabeth lesen (Lk 1:41). Das bedeutet nicht, dass sie nicht mit Heiligem Geist erfüllt ist, sondern dass ihre Äußerungen noch mehr als die von Elisabeth ihre persönlichen Glaubenserfahrungen der Dinge wiedergeben, die ihr gesagt wurden. Sie spricht über die Empfindungen ihrer Seele und ihres Geistes.

Mit ihrer Seele erhebt sie den Herrn, sie macht Ihn groß. Der Herr kann durch unseren Lobpreis nicht größer werden, aber Er kann doch für unsere Seele groß werden. Dieses Großmachen geschieht nicht so, als würde man etwas Kleines unter ein Mikroskop legen und es auf diese Weise vergrößern. Es ist vielmehr so wie bei einem riesig großen Stern, der so weit weg ist, dass er klein erscheint. Wenn man den Stern durch ein Teleskop betrachtet, wird er nicht größer, doch seine Größe wird herangeholt, man kann besser erkennen, wie groß der Stern ist. Auf die Weise kann unsere Seele den Herrn großmachen, Ihn erheben. Wir können alles besingen, worin Er groß ist, wie seine Gnade und seine Barmherzigkeit. So bringen wir in unserer Welt, in der Er so klein und unbedeutend erscheint, etwas von seiner Größe zum Ausdruck.

Wenn wir an alle Wohltaten denken, die Er uns erwiesen hat, steigt aus unserer Seele ein Lobgesang auf. Seine Güte bringt unsere Seele in Bewegung, Empfindungen der Dankbarkeit können nicht ausbleiben. Wir machen Ihn groß, wenn wir auch noch so weit hinter seiner wirklichen Größe zurückbleiben. Paulus verlangte danach, dass Christus an seinem Leib großgemacht, erhoben würde (Phil 1:20). Dort geht es darum, dass durch ihn sichtbar würde, wer Christus ist, und dass andere an seinem Leib Christus sähen, dass Christus näher zu den Menschen gebracht würde. Hier geht es um die Äußerungen der Seele, das Bedürfnis, anderen mitzuteilen, wer Gott für mich persönlich ist. Wie wenig tun wir das, weil wir so wenig unter dem Eindruck der ganzen Güte und Gnade Gottes stehen, die Er in der Gabe seines Sohnes bewiesen hat. So kann Maria ein Ansporn für uns sein, den Herrn zu erheben.

An ihrem Lobpreis ist nicht nur ihre Seele beteiligt, sondern auch ihr Geist. Ein Lobgesang ist nicht nur eine emotionale Ausdrucksform, sondern da sind geistliche Überlegungen. Ihre Freudenäußerung liegt in der Tatsache begründet, dass sie in Gott einen Heiland hat. Damit sagt sie – obwohl sie die Mutter des Herrn Jesus ist –, dass sie Ihn auch als Heiland braucht.

Im Aussprechen ihrer Empfindungen ist sie auch ein Bild von dem Überrest, der auf dieselbe Weise reagieren wird, wenn Christus zum zweiten Mal zu seinem Volk kommt. Der Charakter der Gedanken, die Marias Herz erfüllen, und ihre Anwendung sind ganz jüdisch. Das war auch nicht anders möglich. Es ist so wie mit vielen Psalmen und auch mit dem Lobgesang Hannas (1Sam 2:1-10). Zugleich geben diese Äußerungen von Dankbarkeit uns so gewaltig viel für unsere eigene Seele, für uns, die durch Gnade die herrlichen Wahrheiten des Christentums kennen dürfen. Auch wir dürfen Gott als Heiland kennen. So wird Er mehrere Male im Neuen Testament genannt (1Tim 2:3; Tit 1:3; Tit 3:4).

Wir stehen jedoch nicht mit Ihm als Jahwe in Verbindung, dem Gott des Bundes mit Israel, sondern wir dürfen Gott als unseren Vater kennen und Ihn durch den Heiligen Geist „Abba, Vater“ nennen (Röm 8:15; Gal 4:6). Das ist die Folge davon, dass der Herr Jesus gekommen ist und Gott sich in Ihm als der dreieine Gott offenbart hat: als Vater, Sohn und Heiliger Geist. Bringt das unsere Seele zu einem fortwährenden Lobgesang?

Anlass für den Lobgesang

Maria ist sich ihrer Niedrigkeit bewusst und dass Gott gerade deshalb auf sie geblickt hat. Sie ist tief unter dem Eindruck seines Handelns mit ihr persönlich. Wenn sie sagt, dass alle Geschlechter sie glückselig preisen werden, tut sie das nicht, um sich selbst zu erheben, sondern aufgrund dessen, was Gott mit ihr getan hat und aus ihr gemacht hat. Sie ist das Mittel, durch das Gott geehrt wird, und nicht der Gegenstand der Verehrung, zu dem die römisch-katholische Kirche sie gemacht hat.

Sie besingt Gott als „den Mächtigen“. Das Bewusstsein unserer eigenen Niedrigkeit und dessen, was Gott an uns getan hat, werden dazu führen, dass wir Ihn als „den Mächtigen“ besingen. Nur Er in seiner Allmacht konnte das an uns tun. Das wird der Überrest Israels ebenfalls erfahren, wenn Gott ihn aus der Drangsal in den Segen des Friedensreiches bringt.

Doch Er ist nicht nur mächtig, Er ist auch „heilig“. Alles, was Er an uns tut, beruht auf seiner Heiligkeit. Niemals kann Er einem Menschen, ganz gleich, wer er ist, irgendeinen Segen geben, wenn dieser Mensch nicht seiner Heiligkeit entspricht. Das ist zugleich die Garantie dafür, dass der Segen unveränderlich und sicher ist. Sein Name ist heilig, Er segnet, wo Er mit der Sünde abgerechnet hat. Das hat Er in dem Sohn getan, den zu geben Er im Begriff stand.

Der Segen, den Er gibt, steht einerseits mit seinem heiligen Namen in Verbindung, aber auch mit seiner „Barmherzigkeit“. Gott schaut in seiner Barmherzigkeit aus nach elenden Menschen, die es ohne Ihn nicht schaffen und sich dessen auch bewusst sind. Denen, die Ihn fürchten, verwehrt Er seine Barmherzigkeit nicht. Solange es auf der Erde Menschen gibt, die in ihrer Not zu Ihm rufen, wird Er seine Barmherzigkeit erweisen. Das gilt für den Überrest, der in Not ist, das gilt für den Sünder, der in Not ist, das gilt für den Gläubigen, der in Not ist. Er hört niemals auf, der Barmherzige zu sein.

Die Zukunft als erfüllt besungen

Was Maria in den Lk 1:51-53 besingt, wird erst im Friedensreich Wirklichkeit werden, aber der Glaube sieht diesen Zustand voraus. Maria besingt das mächtige Werk seines Armes. Er wird sich mit seinem Volk beschäftigen, um seine Pläne auszuführen. Was Er tun wird, richtet sich gegen den Hochmut des Menschen. Hochmütige meinen, dass sie die Dinge unter Kontrolle haben, aber wenn Gott zu wirken beginnt, wird Er die Hochmütigen zerstreuen. Nichts wird davon übrigbleiben.

Das gilt für sein Volk Israel, das seinen Weg im Unglauben geht, und das gilt auch für die Menschen der Welt, die meinen, dass sie sich alles gefügig machen können. In beiden Fällen wird die Bosheit der Überlegungen ihres Herzens offenbar.

Trotz aller intellektuellen und finanziellen Anstrengungen wird das Chaos in der Welt auf allen Gebieten größer. Dennoch meint der Mensch in seinem Hochmut, dass er die Angelegenheit unter Kontrolle bekommen kann. Gott jedoch wird zu seiner Zeit in das Weltgeschehen eingreifen, wie Er es schon so oft im Kleinen, im Verborgenen, nur für den Glauben sichtbar getan hat.

Der Glaube sieht, dass durch Ihn Könige regieren (Spr 8:15; 16; Röm 13:1). Er setzt sie ein, und Er setzt sie ab (Hes 13:11; Dan 2:21). Er hat Mächtige wie den Pharao und Nebukadnezar vom Thron gestoßen und einen Hirtenjungen wie David erhöht. So wird Er den Thron Satans umstoßen und seinen Knecht Jesus vor den Augen aller erhöhen. Das ist die Sprache des Glaubens, während die Welt meint, sie könne selbst entscheiden, wer über sie regiert.

Es gibt dem Gläubigen Ruhe, wenn er daran denkt, dass auch die Machthaber keine Macht hätten, wenn Gott sie ihnen nicht gegeben hätte. Der Herr Jesus zeugt davon (Joh 19:11). Dieser Gedanke wird den Überrest stützen, wenn der Antichrist an die Macht kommen und die Treuen heftig verfolgen wird. Das dürfen alle Gläubigen wissen, die unter einer gottfeindlichen Regierung seufzen.

Nicht nur die Machthaber unterstehen seiner Autorität, auch die Umstände, in denen die Gläubigen sich befinden, unterstehen ihr. Er wird allem sozialen Elend, das die Folge von Verfolgung ist, ein Ende machen. Er wird die Rollen umkehren. Die, die Mangel leiden, werden gesättigt werden, und die, die sich auf Kosten anderer bereicherten, werden alles verlieren.

Gott erfüllt seine Verheißungen

Was Gott im Begriff steht, zu tun, ist der Beweis, dass Er seinen Knecht Israel nicht vergessen hat. Es schien zwar so, denn das Volk war schon lange im Elend. Aber das Schicksal seines Volkes schmerzt Ihn. Er ist immer voller Erbarmen für sein Volk gewesen, doch jetzt ist die Zeit gekommen, die Fülle der Zeit, seiner Barmherzigkeit zu gedenken, ihr Ausdruck zu verleihen. Der Glaube hält Ausschau danach.

Maria, der Glaube, der gläubige Überrest ‒ sie wissen, dass die Grundlage für das Handeln Gottes sein Wort ist. Was Er verheißen hat, wird Er tun. Sein verheißener Segen wird kommen. Selbst wenn sich herausstellt, dass das Volk ‒ wenn sein Sohn kommt, um diesen Segen zu bringen ‒ das Maß der Bosheit erfüllt, bleiben seine Verheißungen dennoch bestehen. Er wird sie erfüllen.

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