‏ Nehemiah 1:5

Das Gebet von Nehemia

Die Begründung (Neh 1:5)

Nach dem Bericht wird sich Nehemia machtlos gefühlt haben. Was kann er tun? Beten! Er betet zum „Gott des Himmels“. Sein Gebet ist gegründet auf die Offenbarung Gottes, so wie er Ihn kennengelernt hat. Auch wenn er Gott nicht gekannt hat, wie wir Ihn kennen dürfen, als Vater, betet er zu Jemandem, den er kennt, zu Jemandem, von wem er weiß, wo Er wohnt.

Von irgendwelchem Stolz ist keine Rede. Da ist Vertraulichkeit und zugleich Ehrfurcht. Nehemia kennt Gott als den „großen und furchtbaren Gott“. Gegenüber der überwältigenden Größe Gottes fühlt er sich klein. Vor dem furchtbaren Gott ist er erfüllt mit Ehrfurcht. In seiner heiligen Gegenwart spürt er, wie sündig er ist (vgl. Jes 6:1-5). Aber statt sich aus dem Staub zu machen, nimmt er in seiner Not zu diesem Gott Zuflucht (vgl. Lk 5:8).

Nehemia hat keine Angst vor Gott. Ein Mensch, der Gott den Platz gibt, der Ihm zusteht und selbst den Platz einnimmt, der für ihn gegenüber Gott passend ist, muss keine Angst vor Gott haben. Er weiß nicht nur, wer Gott ist, sondern auch, wie Gott handelt. Gottes „Bund“ und seine „Güte“, die untrennbar damit verbunden ist, bilden die Begründung zum Gebet für Nehemia. Darüber hat der HERR mit Mose gesprochen (5Mo 7:9). Es ist auch die Begründung für das Gebet Salomos (1Kön 8:23).

Der Segen von Gottes Bund und seine Güte ist für die, die Ihn lieben und seine Gebote halten. Liebe und Gehorsam gehören immer zusammen. Sie sind die zwei Kennzeichen, die jemand besitzt, der aus Gott geboren ist. Sie haben mit der Natur Gottes zu tun. „Gott ist Licht“ (1Joh 1:5) und „Gott ist Liebe“ (1Joh 4:8; 16). Die Natur Gottes kommt in seinen Kindern in der Bruderliebe und dem Halten der Gebote des Herrn Jesus zum Ausdruck (1Joh 2:3-11).

Für wen Nehemia betet (Neh 1:6a)

Nehemia ruft leidenschaftlich zu Gott, sein Gebet zu hören und auf ihn, den Bittenden, zu sehen. Er nennt sich selbst „Deinen Knecht“. Da ist kein Gefühl der Überhebung, keine Betonung der Zugehörigkeit zu dem auserwählten Volk Gottes, woran der Name „Israeliten“ denken lässt. Er fleht für seine Brüder, die Israeliten, die er auch „Deine Knechte“ nennt. Er verbindet sie mit sich selbst, um zusammen mit ihnen vor Gottes Angesicht zu erscheinen. Er bittet für sie, aber er schließt sich selbst nicht aus.

Tag und Nacht tut er Fürbitte für sie. Die Gefühle von Trauer und Schmach haben nicht nach Verlauf einiger Zeit wieder nachgelassen. Was er betet, hat ihn fortdauernd beschäftigt, auch während seiner alltäglichen Aufgaben, die er erledigen musste. Er hat seine Trauer nicht zur Schau getragen. Dass es auf die Dauer an ihm sichtbar war (Neh 2:2) ist unvermeidbar und unterstreicht nur, dass er durchgängig mit Gottes Volk, seinen Volksgenossen und ihren Umständen beschäftigt war.

Bekenntnis (Neh 1:6b; 7)

Wie schon gesagt, bringt Nehemia nicht nur seine Volksgenossen vor Gottes Angesicht. Er ist sich bewusst, dass der, der für eine andere Person betet und diese so in die Gegenwart Gottes bringt, dadurch auch selbst in Gottes Gegenwart kommt. Da kann man nicht sich selbst hochhalten. Wer das meint, ist dem Pharisäer ähnlich, von dem der Herr Jesus in Lukas 18 erzählt (Lk 18:11a). Der Mann betet zwar, ruft sogar den Namen Gottes an, aber er ist nicht in Gottes Gegenwart. Er ist vollständig umgeben von sich selbst. Dann kommt man nicht dazu, Fürbitte zu tun, man kann dann auch unmöglich ein Fürbitter sein. Fürbitte tun setzt voraus, dass man ein Bewusstsein für die Not hat, in der der andere sich befindet, ohne sich besser zu fühlen als derjenige.

Nehemia befindet sich vor Gottes Angesicht. Wenn er dann auch für seine Volksgenossen bittet, sieht er zuerst seine eigenen Sünden und die Sünden seiner Familie. Bevor er die Sünden des Volkes bekennt, bekennt er erst seine eigenen Sünden und die seiner Familie. So macht er geistlich den Weg frei, um ein echter Fürbitter zu sein.

Im Folgenden betet er auch nicht für „die anderen“, sondern er spricht von „wir“, die schwer gegen Gott gesündigt haben und ungehorsam gewesen sind. Gott hat seine Gebote offenbart, aber das Volk hat sie nicht beachtet. Er erkennt, dass sie dadurch jedes Anrecht auf Segen verwirkt haben.

Gottes Wort im Gebet (Neh 1:8; 9)

Nehemia führt Gottes Wort an, um seine Wahrheit zu bestätigen. Gott hat so gehandelt, wie Er es gesagt hat. Das Volk ist untreu gewesen und Gott musste es unter die Völker zerstreuen. Nehemia rechtfertigt Gottes Handeln und erkennt damit noch einmal ihre eigene Untreue an. Aber er belässt es nicht dabei. Er weiß auch, was Gott sonst noch gesagt hat. Er bittet Gott, dass, wo Er ja das eine Wort erfüllt hat, Er doch auch das andere in Erfüllung gehen lassen soll. Das ist wirklich leben „von jedem Wort, das durch den Mund Gottes ausgeht“ (Mt 4:4).

So sollten wir auch beten: in dem Bewusstsein von dem, was Gott für uns getan hat, als Er seinen Sohn für uns ans Kreuz gehen ließ, um zu sterben, und was Er in seiner Auferstehung und Himmelfahrt getan hat und was Er bei seiner Rückkehr tun wird. Wenn wir Christus an dem Kreuz und sein vergossenes Blut anschauen, werden wir die Macht eines wirksamen Gebetes erfahren. Sein Handeln in der Vergangenheit ist der Garant für die Erfüllung seiner Versprechen in der Zukunft. Hier gilt, dass Ergebnisse aus der Vergangenheit eine vollständige Garantie für die Zukunft sind.

Die Worte Nehemias sind kein wörtliches Zitat von dem, was in Gottes Wort steht. Sie sind eine Zusammenfassung dessen, was Gott gesagt hat, was bei Untreue und was bei einer Umkehr geschehen wird (5Mo 4:27-31; 5Mo 30:4-10). Wir dürfen Ihn daran erinnern und daraus Mut schöpfen, wie es Nehemia getan hat. Das Wort gibt Hoffnung (Ps 119:49).

Nehemia betont in seinem Gebet, was Gott über Jerusalem gesagt hat: „Den Ort …, den ich erwählt habe, um meinen Namen dort wohnen zu lassen.“ Darum geht es ihm, um diesen Ort. Das Herz Nehemias ist voll von dem, wovon Gottes Herz erfüllt ist.

Deine Knechte und Dein Volk (Neh 1:10)

Mit welchem Recht spricht Nehemia noch von „deine Knechte und dein Volk“? Weil Gott dieses Volk selbst aus Ägypten befreit und zu seinem Volk gemacht hat. Nehemia erinnert Gott an das, was Er vor vielen Jahrhunderten getan hat. Und auch vor nicht langer Zeit hat Er, auch wenn es nur ein Überrest war, der zurückzog, sein Volk aus dem Exil befreit. Aus allem wurde sichtbar, dass Gott sein Volk nicht im Stich gelassen hat. Sollte Er dann ihr Elend nicht sehen, in dem sie sich aufs Neue nach ihrer Rückkehr im Land befanden?

Nehemia kennt das Herz Gottes. Gott hat zu viel für dieses Volk getan, um sich jetzt nichts aus ihnen zu machen. Wieder sehen wir eine Parallele zwischen Nehemia und Mose. Nach der Sünde des Volkes mit dem goldenen Kalb spricht Gott zu Mose über „dein Volk“ (2Mo 32:7), als ob es Moses Volk wäre und nicht sein Volk. Aber Mose kennt Gottes Herz und spricht zu Gott über „dein Volk“ (2Mo 32:11). Der Glaube sieht und erhält die Verbindung, die zwischen Gott und seinem Volk besteht.

Noch andere Beter (Neh 1:11a)

Nehemia bildet sich nicht ein, dass er der Einzige ist, der sich um Gottes Volk sorgt. Obwohl er allein ist, weiß er, dass es noch mehr Menschen gibt, die beten, dass Gott eine Umkehr in ihrem Schicksal bewirkt. Er macht nicht den Fehler von Elia, indem er annimmt, dass er der einzige Treue sei, der übriggeblieben ist (1Kön 19:10; 18; Röm 11:2-5). Gott sorgt immer für einen Überrest, der aus mehreren Treuen besteht, die in einer Zeit allgemeiner Untreue Ihm treu bleiben.

Wenn unser Herz unter einer schweren Last gebeugt ist, müssen wir nicht meinen, dass wir die einzigen wären, die diese Last spüren. Vielleicht sind wir doch allein, aber wir dürfen wissen, dass Gott auch andere dieselbe Last spüren lässt (vgl. 1Pet 5:9).

Gebet in Hinblick auf seine Stellung (Neh 1:11b)

Das Ziel und der Auftrag für sein Volk sind ihm im Gebet klar geworden. Aber es ist noch nicht deutlich, zu welchem Zeitpunkt er anfangen kann. Dafür ist er auf die Zustimmung des Königs angewiesen. Zeitpunkt und Zustimmung liegen menschlich gesprochen in der Hand des Königs. Nehemia erkennt in seinem Gebet, dass er vom König abhängig ist. Darum bittet er Gott, dass er „heute“ bei dem König Barmherzigkeit erhält. Seine Aufgabe ist nun, auf Gottes Antwort zu warten.

Warum sollte er erwähnen, dass er Mundschenk des Königs ist? Es scheint so, dass er dies tut, weil es für den Bericht über sein Gespräch mit dem König im folgenden Kapitel notwendig ist. Er hätte damit beginnen können, dies zu erzählen, als er Besuch aus Jerusalem bekam, aber er sieht seine gesellschaftliche Position nicht als etwas an, mit dem er sich rühmt. Nehemia liefert immer die notwendigen Informationen, ohne sich selbst in das Scheinwerferlicht zu stellen.

Durch die Aussage „ich war nämlich Mundschenk des Königs“ betont Nehemia seine völlige Abhängigkeit vom König. Mundschenk ist eine Position mit großem Vertrauen und großer Verantwortung. Aber Nehemia benutzt seine Position nicht, um Einfluss auf den König auszuüben und auf diese Weise Erleichterung für sein Volk zu suchen. Nehemia hätte auch denken können: „Was Israel passiert ist, ist alles eigene Schuld. Da ist nichts dran zu ändern. Ich habe einen guten Job und Gott wird doch selber für sein Volk sorgen, dafür braucht Er mich nicht.“

Nehemia tut keins von beidem. Er macht sich eins mit dem Volk und bekennt die Sünde des Volks als seine eigene Sünde. Genauso wie Mose zieht er es vor, mit dem Volk Schmach zu leiden, „als [den] zeitlichen Genuss [der] Sünde zu haben“ (Heb 11:25). Wir können Gott nur dienen, wenn wir bereit sind, Opfer zu bringen.

Was wir bei Nehemia finden, der am Ende der Geschichte Israels lebt, sehen wir auch bei Mose, zu Beginn der Geschichte Israels. Auch Mose genießt besondere Vorrechte. Er wohnt am Hof des Pharaos, aber auch er benutzt seine Position nicht zugunsten seines Volkes. Als Sohn der Tochter des Pharaos hätte er sogar eine Zeit warten können, bis er selbst den Thron besteigen würde. Er hätte sagen können, dass Gottes Vorsehung ihn in diese Position gebracht hat. Aber er liebt Gott vor dem Volk und möchte nur das tun, was Gott von ihm verlangt.

Einige Lektionen

1. Im Gebet Nehemias werden wir mitgenommen in die tiefen Gefühle eines Mannes, der gebeugt geht unter der Schmach von Gottes Volk und der Unehre, die Gott damit angetan wird. So dürfen wir voll Vertrauen und Ehrfurcht aus der Fülle unseres Herzens zu Gott sprechen. Freimütig, aber nicht dreist, dürfen wir Gott unsere Not anvertrauen. Gott weiß das natürlich schon längst, aber Er möchte gebeten werden. Er möchte das Gebet der Seinen zur Erfüllung seiner Pläne benutzen. Das gibt dem Gebet einen besonderen Wert und eine besondere Bedeutung.

2. In seinem Gebet stellt sich Nehemia nicht über das Volk, oder daneben, sondern er macht sich eins mit dem Volk. Es ist nötig, dass wir uns unzertrennlich mit dem Volk Gottes verbunden wissen, um gleichsam mit ihnen vor Gottes Angesicht zu kommen. Dieses grundsätzliche Bewusstsein bringt uns zum Bekenntnis unserer eigenen Sünden, der Sünden unserer Familie und der Sünden des Volkes.

3. Er rechtfertigt Gott. Gott hat sie zurecht zerstreut. Das Volk hat die Treue gebrochen und Gott hat nicht anders handeln können. Wir wissen aber auch, dass Gott das wieder versammeln kann, was Er zerstreut hat, sei es unter der Bedingung der Umkehr. Wir dürfen uns auf Gottes Treue, sein Wort und sein Handeln in der Vergangenheit berufen.

4. Wenn wir unser Herz so im Gebet frei gemacht haben, können wir Gott fragen, ob Er den Weg frei machen möchte, seinem Volk zu helfen. Nehemia ist von der Zustimmung des Königs abhängig, um zu gehen. Eigenmächtiges Handeln ist ihm fremd und das sollte auch bei uns so sein.

5. Er hat alles in Gottes Hände gelegt. Dann ist das Warten auf seine Antwort und auf seine Zeit ein wichtiger Punkt für jeden, der etwas für den Herrn tun möchte.

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