‏ James 1

Kapitel 1

1
[Status: Zuverlässig]
Jakobus, ein Sklave (Knecht, Diener) Gottes und des Herrn Jesus Christus, an die zwölf Stämme in der Zerstreuung (Diaspora).
die zwölf Stämme in der Zerstreuung (Diaspora) – Der Ausdruck lässt sich auf zwei Weisen verstehen: (1) „Zerstreuung (Diaspora)“ bezeichnet die Orte, an denen die Angehörigen der „zwölf Stämme“ zerstreut sind; die Phrase ist dann restriktiv zu lesen: „[Nur] an diejenigen Angehörigen der zwölf Stämme Israels, die in der Diaspora leben.“ – der Brief richtete sich dann v.a. an die Heidenchristen außerhalb Israels. (2) „Zerstreuung (Diaspora)“ bezeichnet den Zustand des Zerstreut-seins; die Phrase ist dann deskriptiv zu lesen: „An die Angehörigen der zerstreuten zwölf Stämme“. Hier ist sehr wahrscheinlich letzteres die richtige Deutung; denn im Hintergrund steht eine etwas komplexere Vorstellung: Die „Zerstreuung“ eines Volkes war der Inbegriff seiner Niederlage und Vernichtung. In der Folge der verschiedenen Zerstreuungen Israels – v.a. der babylonischen Gefangenschaft – entwickelte sich daher im alten Judentum die Hoffnung, Gott würde am Ende der Zeiten das zerstreute Israel von „allen Enden der Erde“ wieder zusammensammeln und dann mit ihnen ein „Reich Gottes“ errichten, eine Art „Himmel auf Erden“ (s. z.B. Ps 147,2; Jes 11,12; 14,1; 54,5f; Jer 31,10; Ez 28,25 u.ö.). Diese Vorstellung wurde im Laufe der Zeit erweitert: (a) Der Zustand der Zerstreuung wurde als Strafe Gottes für die Sündhaftigkeit Israels verstanden (s. z.B. Neh 1,8f), (b) Jesus bringt die Sammlung des zerstreuten Israels mit seiner - des Menschensohns - Wiederkunft am Ende der Zeiten in Zusammenhang. Diese Vorstellung steht im Hintergrund des Jakobusbriefs; der weitere Inhalt besteht dann in einer Reihe ethischer Anweisungen, denen, anstatt zu sündigen, „geduldig bis zur Wiederkunft des Herrn“ (5,7) Folge zu leisten ist, damit ein so sich Bewährender am nahe bevorstehenden Ende der Zeit „das Leben als Siegeskranz empfangen“ wird (1,12). Unsicher allerdings ist, ob der Brief sich dann allgemein an alle Angehörigen der zwölf Stämme richtet, oder ob diese Vorstellung von der Sammlung der zwölf Stämme im Jakobusbrief auf die Christusgläubigen übertragen wird.
Grüße!
Jakobus eröffnet seinen Brief mit dem Standard-Briefpräskript seiner Zeit, der in etwa dem Briefkopf heutiger Briefe entspricht: Absender (Nominativ), Adressat (Dativ), Gruß (imperativischer Infinitiv) (vgl. z.B. Burchard 2000, S. 47). In die LF muss das freier übersetzt werden; sehr gut z.B. BB: „Jakobus, Diener Gottes und des Herrn Jesus Christus. An das Volk Gottes, das wie die zwölf Stämme Israels über die ganze Welt verstreut lebt. Ich grüße euch.“
2Haltet es für ganze (nichts als) Freude (Haltet es für nichts anderes denn als einen Grund zur Freude), meine Brüder (Geschwister)
Entsprechend dem Stil seiner Zeit spricht Jakobus hier nur die männlichen „Brüder“ an; die weiblichen „Schwestern“ sind aber sehr sicher mitgemeint (-> Generisches Maskulinum). Der Begriff bezeichnet Mit-angehörige der selben Gesellschaftsgruppe, zu der auch der Sprecher/Schreiber gehört, und stellt sie mit sich auf eine Stufe (so gut Hartin 2003, S. 56: „He does not address them from the status of authority, but from their own level“). Besonders interessant ist in unserem Kontext, dass mit diesem Begriff bisweilen auch die Zusammengehörigkeit gerade weit entfernter Personen oder Gruppen unterstrichen werden kann; s. z.B. 2Makk 1,1 (dazu vgl. ebd.). Gerade in einem Brief an die zerstreuten zwölf Stämme ist er daher besonders passend.
, wenn (wann immer) ihr in verschiedenste (vielfältige) Prüfungen (Versuchungen)
Hinter dem Begriff  πειρασμός Versuchung steht die altjüdische Vorstellung, dass Gott immer wieder Unheil über den gläubigen Menschen bringt, damit dieser sich in diesen Bewährungsproben als rechter Gottesdiener bewähren kann (s. z.B. Gen 22,1; Ex 16,4; Ri 3,1-4; Ps 26,2; Sir 2,1; vgl. auch Mt 6,12 FN m). Jakobus führt weiter aus: Wer diese Bewährungsproben besteht, gewinnt damit „Standhaftigkeit“, und impliziert ist wohl: Wer standhaft bleibt und sich außerdem „vollkommener Werke“ befleißigt, wird dann am Ende der Zeit auch aus der Zerstreuung gesammelt werden (s.o.; s. z.B. auch Mk 13,13; 1Pet 1,6f; ähnlich Röm 5,3-5). In Vv. 13-15 wandelt Jakobus diese Vorstellung jedoch ab: Es ist gerade nicht Gott, der diese Versuchungen über einen Menschen bringt; sie erwachsen allein aus den sündhaften Begierden des Menschen (vgl. z.B. Kloppenborg 2010, S. 68f; Wilson 2002, S. 159). Entsprechend wird Jakobus dann im Folgenden auch v.a. vor menschlichen Schwächen warnen (z.B.: Impulsivität (1,19-21), Voreingenommenheit (2,1-9), lose Zunge (3,2-12), Streitsucht (3,13-18), Liebe zur Welt (4,1-4) usw.) und ihnen tugendhaftes Verhalten entgegenstellen. Besonders wichtig: Es ist gerade nicht allein die Standhaftigkeit im Glauben (V. 3), die gerecht macht (wie z.B. Mk 13,4-13.21-23 das nahelegen könnte) - unabdingbar sind außerdem die Werke des Glaubens (2,14-26).
fallt,
3da ihr [ja] wisst (im Wissen, wisst!)
Ptz. coni., hier als kausaler Nebensatz aufgelöst (oder als Präpositionalphrase, so Klammer). Einige Ausleger verstehen das Partizip auch imperativisches Partizip („wisst“).
, dass die Erprobung (die Bewährung) eures Glaubens (das Erprobte an eurem Glauben) Standhaftigkeit (Ausharren, Geduld, Ausdauer, Standhaftigkeit)
Der Begriff hat eine sehr aktive Bedeutung – es wird nicht nur abgewartet, sondern auch entsprechend gehandelt (Dibelius 1964, 101; Blomberg 2008, 49; Mußner 1964, 65f.).
hervorbringt (bewirkt).
4Die Standhaftigkeit {aber}
 δέ aber zur Markierung der Klimax (Grosvenor/Zerwick): Es folgt nun die zentrale Aussage dieses ersten Abschnitts Vv. 2-4. In der LF sollte das kommunikativer übersetzt werden; gut z.B. NeÜ: „[... - und] die Standhaftigkeit wiederum soll...“.
soll ein vollkommenes Werk (vollkommenes Handeln)
Oder sinngemäßer: „Ausgang“ (cf. Johnson 1995, 178).
[zur Folge] haben (zu einem vollkommenen Werk führen)
Der Imperativ Präsens markiert hier, dass nicht ein Mal ein vollkommenes Werk Folge der Standhaftigkeit sein soll, sondern dass vollkommene Werke prinzipiell die Folge der Standhaftigkeit sein sollen.
, damit (:)
 ἵνα damit ließe sich auch als epexegetisches  ἵνα (dazu z.B. Zerwick §410) verstehen: „Die Standhaftigkeit soll zu einem vollkommenen Werk führen: Ihr sollt vollkommen und vollständig und in nichts mangelhaft sein.“ Berücksichtigt man nur V. 4, läge das eigentlich sogar näher als die finale Deutung („... zu einem vollkommenen Werk führen, damit ihr vollkommen und vollständig seid...“), denn das Ausführen vollkommener Werke ist ja nicht die Voraussetzung der Vollkommenheit, sondern umgekehrt sollte man meinen, dass Vollkommenheit Voraussetzung vollkommener Werke ist. Doch siehe FN m.
ihr vollkommen und vollständig und (indem, wenn, weil ihr)
Auflösung eines Ptz. coni. durch und-Koordination. Möglich auch modal, temporal, kausal (so Klammer).
in nichts mangelhaft seid.
5Wenn es [dafür] aber (Wenn es {aber})
S. vorige FN.
einem (jemandem)
Wieder spricht Jakobus einzig männliche Leser an, meint aber auch die weiblichen Leser mit (-> Generisches Maskulinum). Für die LF sei jeweils - falls vorhanden - die Übersetzungsalternative in der Klammer empfohlen.
von euch an Weisheit
Weisheit - Jakobus' Verständnis von „Weisheit“ entspricht v.a. dem Weisheitskonzept der frühjüdischen Schriften: (1) Weisheit ist nicht etwas, das man von selbst erlangen könnte, sondern zunächst eine Gabe Gottes (s. Vv. 5.17; vgl. z.B. Jes 11,2; Spr 1,7; 2,6; Sir 39,5; Weish 7,7.15.25f; 1Kor 2,13; 12,8; Eph 1,17 u.ö.). Und (2) führt sie anders als die „irdische Weisheit“ (i.S.v. „Wissenschaft“, vgl. z.B. 1Kor 1,19-22; 2,6f) nicht zunächst zu Erkenntnis und Wissen, sondern befähigt zu gottgefälligem Handeln (s. Jak 3,17; vgl. Weish 7,22f; Weish 8,6-8; 9,1-4.9-12.17f; 4Makk 1,18-35 u.ö.). Gerade dieser zweite Aspekt macht klar, warum Jakobus in seinem Brief die Weisheit so betont: Für Jakobus ist der Mensch zur Vollkommenheit berufen, und Vollkommenheit erlangt er, indem er den aus den sündhaften Begierden des Menschenherzens erwachsenden Versuchungen widersteht (s. FN e) - und hierfür ist nach dem Verständnis des altjüdischen Schrifttums Weisheit vonnöten, s. die obigen Stellen; besonders eindrücklich 4Makk 1,18f.28-30: : „Der Weisheit Arten sind Klugheit, Gerechtigkeit, Starkmut und Mäßigung. / Die Klugheit ist die trefflichste von allen; / durch sie beherrscht ja die Vernunft die Triebe. [...] Lust und Schmerz sind gleichsam zwei Bäume im Leib und in der Seele, / und so gibt es auch viele Nebenzweige dieser Triebe. / Nun putzt die Allgärtnerin Vernunft sie alle entweder aus / oder beschneidet, umwickelt und begießt sie / oder verpflanzt sie und veredelt so auf jede Weise / das Gestrüpp der Neigungen und Triebe. / Die Vernunft ist ja die Führerin der Tugenden, / aber die Selbstherrin über die Triebe.“ (Üs. nach Rießler 1928)
mangelt, soll er [sie] von Gott, der allen großzügig (vorbehaltlos)
großzügig (vorbehaltlos) - Beide Deutungen des Wortes sind möglich; Gott ist also je nach Verständnis entweder lediglich ein vorbehaltloser Geber (der also bedingungslos gibt) oder sogar ein großzügiger Geber. Die Deutung mit „großzügig“ könnte an die aus Lk 11,9-13 par Mt 7,7-11 bekannte Jesustradition anknüpfen und scheint außerdem besser in den Kontext zu passen.
und ohne Vorwürfe
Auflösung eines adv. Ptz. durch Substantivierung und Koordination „und“. Das Wort heißt meistens eher „(be)schimpfen“. Es bezieht sich hier vermutlich darauf, dass Gott sich nicht darüber beklagt, dass er Weisheit geben „muss“ (BA).
gibt,
Auflösung eines attributiven Ptz. als Relativsatz.
erbitten - und sie wird ihm gegeben werden. s
6Er soll (Man muss) {aber} im Glauben [darum] bitten
Der Imperativ Präsens (statt Aorist) markiert hier, dass nicht ein Mal, sondern entweder prinzipiell oder immer wieder gebeten werden soll.
[und dabei] keinesfalls zweifeln
Modales adv. Ptz., mit „und“-Konstruktion aufgelöst. Es sollen also keine Bedenken gegen die Bereitwilligkeit Gottes zu geben bestehen (Blomberg 2008, 52).
(keinerlei Bedenken haben): Denn wer zweifelt
Subst. Ptz. aufgelöst.
, gleicht einer Meereswoge, die vom Wind bewegt und hin- und hergetrieben wird.
Der letzte Nebensatz ersetzt im Deutschen zwei attributive Ptz., die sich wie Adjektive direkt auf die Meereswoge beziehen.
7Jener (So ein, ein solcher)
 ἐκεῖνος jener muss nicht auf  τις einer, jemand in V. 5 zurückverweisen, sondern kann auch abschätzig auf die Beschreibung „dieser Art von Mensch“ in V. 6 Bezug nehmen: „Eine solche Person...“; „wenn man so drauf ist...“ (vgl. Burchard 2000, S. 61; so fast alle Üss.).
Mensch soll nämlich nicht meinen, dass er etwas vom Herrn erhalten wird,
8[er ist] ein Mann (Mensch) geteilten Herzens
Wörtlich: „zweiseeliger Mann/Mensch“ (cf. 4,8). Das heißt ungefähr: „mit geteiltem Herzen“ (SLT), „in seinem Innersten gespalten“ (NGÜ). Das Konzept bezeichnet das Gegenteil der ungeteilten Hingabe zu Gott (Mußner 1964, 72). Da der Begriff vor Jak nicht belegt ist, könnte der Autor ihn sogar erfunden haben, das Konzept ist aber schon im AT bekannt (Johnson 1995, 180). BA, NSS schlagen die Übersetzung „ein Zweifler“ vor.
,
, z wankelmütig auf allen seinen Wegen
Jakobus greift mit seiner Rede von den „Wegen“ des Zweiseeligen und den „Reisen“ des Reichen auf die Vorstellung vom „Lebensweg“ zurück: Gott hat dem Menschen den „Weg“ gezeigt, dem man folgen soll, und wenn man diesem von Gott gewiesenen Weg geradewegs folgt, verhält man sich gottgefällig. Kennzeichnend für Frevler oder Sünder dagegen ist, dass sie von diesen Wegen „abweichen“ (Ex 32,8; Dtn 9,16; 11,26-28; Ri 2,17; 1Kön 22,43 || 2Chr 20,32; 2Kön 22,2 || 2Chr 34,2), daher werden sie dann auch mitten auf ihren Wegen - d.i. mitten in ihrem Leben (vgl. Burchard 2000; Hartin 2003; McKnight 2011: „[mitten] in seinen Aktivitäten/seinem Leben“) - „vergehen“ (vgl. noch Ps 1,6; 2,12). Was nun die „Zweiseeligen“ tun, ist ganz absurd: Nicht nur weichen sie nach rechts oder links vom von Gott gewiesenen Weg ab - sondern sie übertorkeln ihn: Sie schwanken darauf herum; wenden sich mal nach hier und mal nach dort, folgen dann wieder für kurze Zeit dem Weg und beginnen dann wieder zu wanken - sie sind jene, denen die Richtung in ihrem Leben fehlt.
9Stattdessen
Diese Übersetzung von  δὲ wurde gewählt, um den doppelten Gegensatz auszudrücken, der durch die beiden  δὲ in Vv. 9-10 entsteht.
soll (darf) sich der geringe (demütige, arme) Bruder
zu „Bruder“ s. FN d
seiner hohen Stellung (Erhöhung) rühmen,
10der reiche [Bruder]
Mußner 1964, 74; Moo; Blomberg 2008, 57 halten  ὁ πλούσιος („der Reiche“) für ein Adjektiv, zu dem  ὁ ἀδελφὸς („der Bruder“) aus dem vorherigen Satz zu ergänzen ist. Dagegen sieht etwa Dibelius 111964, 114f.  ὁ πλούσιος als Substantiv. Hier wurde die erste Möglichkeit gewählt, weil es zynisch wäre anzunehmen, dass sich nach Jak jeder Reiche, nicht nur Christen, seiner kommenden Erniedrigung brüsten soll, auch wenn er gar nicht daran glaubt. Auch in den folgenden Kapiteln werden reiche Gemeindemitglieder erwähnt, sodass es natürlich erscheint, hier davon auszugehen, dass der „Reiche“ ebenso ein „reicher Bruder“ ist (cf. Diskussion bei Blomberg 2008, 57) - Allerdings legt der Autor möglicherweise gar kein Augenmerk auf diese Unterscheidung, sondern spricht, in der Tradition der Weisheitsliteratur, allgemein von den Reichen.
aber seiner Erniedrigung, denn er wird wie eine Grasblüte
Wörtlich: „Blume/Blüte des Grases“. Hat hier wohl die Bedeutung von Unkraut im Gegensatz zu kultivierten Pflanzen (BA). Das Bild von der Kurzlebigkeit des Grases wird auch im AT gerne als Bild für die Vergänglichkeit gebraucht (so Jes 40,6; Ps 90,5-7; Dibelius 111964, 115)
vergehen. af
11Denn die Sonne geht (ging )
Im Griechischen steht hier die Verbform „Aorist“. Entweder wird dadurch markiert, dass V. 11 die Geschichte einer Blume erzählt („Die Sonne ging auf und mit ihr kam der heiße Wind, und sie vertrockneten das Gras... Ebenso wird der Reiche...“), oder - wesentlich wahrscheinlicher - die Verbform wird als „gnomischer Aorist“ verwendet und schildert das Verdorren der Blume als überzeitliches Gleichnis („So, wie wenn die Sonne aufgeht und der heiße Wind aufkommt und sie die Blume vertrocknen lassen..., wird auch der Reiche...“).
mit dem heißen Wind
Der verwendete Begriff kann sowohl für Hitze, als auch für sengend heißen Wind stehen. Aber die Hitze wird erst am frühen Nachmittag besonders drückend, während der heiße Wüstenwind den ganzen Tag über weht. Deshalb wurde diese Lösung vorgezogen (Blomberg 2008, 56).
auf und vertrocknet (vertrocknete) das Gras und seine Blüte fällt (fiel) ab, und die Schönheit ihres Aussehens vergeht (verging). Genau so wird auch der Reiche auf seinen Reisen (in seinem Lebenswandel) verwelken (dahinschwinden).
Alle präsentisch übersetzten Verben in diesem Vers stehen im Urtext im gnomischen Aorist.
12Glücklich [ist] der Mensch (Mann)
Die meisten Handschriften lesen hier „Mann“, jedoch mit klar generischer Bedeutung (Blomberg 2008, 69).
, der eine Bewährungsprobe (Prüfung, Versuchung)
Gemeint ist, wie oben, keine geistliche Versuchung, sondern allgemein eine Schwierigkeit, eine „Prüfung“ im Leben. S. Vv. 2-4 (Blomberg 2008, 69).
[standhaft]
Die Einfügung soll der Bedeutung des Verbs näher kommen.
erträgt, denn wenn (weil, indem)
Adv. Ptz. Aor., temporal aufgelöst; alternativ auch kausal, modal. Wörtlich: „als ein erprobt (bewährt, tüchtig, angesehen) Gewordenener“.
er sich [darin] bewiesen hat (bewährt), wird er den Siegeskranz des Lebens
Gen. epexegeticus (NSS). „Siegeskranz, welcher das Leben ist“ (Blomberg 2008, 69).
empfangen, den [Gott (Christus)]
Viele Handschriften ergänzen an dieser Stelle zusätzlich als Subjekt „der Herr“ oder „Gott“; die schwierigere und kürzere (und damit wohl ursprüngliche) Lesart ist jedoch diejenige ohne explizites Subjekt (Johnson 1995, 188).
denen verheißen hat, die ihn lieben
Subst. Ptz., hier aufgelöst.
.
13Niemand soll in einer Bewährungsprobe (niemand, der [gerade] versucht (geprüft) wird)
Wörtlich: „Kein Versuchter (Geprüfter, Auf-die-Probe-Gestellter)“ (Attr. Ptz. Präs.)
sagen
3. Sg. Imp.
, {dass}
 ὅτι recitativum.
: Ich werde von Gott auf die Probe gestellt (geprüft, versucht)! – denn Gott kann nicht vom Bösen auf die Probe gestellt (versucht) (zum Bösen versucht) werden
Die Bedeutung des Adjektivs ist an dieser Stelle nicht sicher zu ermitteln. Der Text ist auf zwei Arten deutbar: „Gott ist im [im] Bösen unerfahren“ oder „Gott ist des Bösen nicht versuchbar / ohne Versuchung / unversucht“. Hier wird der Genitiv „des Bösen“ als Gen. separationis gedeutet, Gott kann also nicht „zum Bösen“ versucht werden (Dibelius 111964, 122f.; Johnson 1995, 192f.; Mußner 1964, 87f.; NSS). Alternative Gen. der Richtung: „Gott kann nicht zum Bösen versucht werden“.
; er stellt selbst auch niemanden auf die Probe (versucht selbst auch niemanden).
14Vielmehr
Diese Übersetzung von  δὲ wurde gewählt, um den Argumentationsgang wie im Urtext aufrecht zu erhalten.
wird jeder auf die Probe gestellt (versucht), indem (weil, während, wenn) er von der eigenen Begierde fortgerissen und verlockt wird.
Modale Auflösung zweier adv. Ptz. Alternativ kausal, temporal, konditional.
15Daraufhin, wenn die Begierde schwanger geworden ist
Ptc. coni. Aor.; temporal aufgelöst.
, gebiert sie Sünde; und die Sünde, wenn sie ans Ziel gelangt (erwachsen geworden) ist
Eig. Futur. Die Alternative „erwachsen geworden“ passt in den Sinn der Metapher von der Begierde, dem Gebären und Erwachsenwerden der Sünde (Blomberg 2008, 72).
, gebiert Tod.
16Lasst euch nicht täuschen
Wörtlich: „Werdet nicht getäuscht“. Alternativ auch aktiv: „Täuscht euch nicht“.
, meine geliebten Geschwister!
17Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt {herab} (ist) von oben az , ,
Wörtlich: „von oben ist herabkommend vom...“ (Ptz. Präs. Akt.). Dabei ist nicht klar, ob „herabkommend“ zu „ist“ gehört oder einen abhängigen partizipiellen Nebensatz einleitet. Der erste Fall wurde hier angenommen; das Ptz. ist dann prädikativ und periphrastisch (so Dibelius, 111964, 130; Blomberg 2008, 73f.). Im zweiten Fall wäre das Ptz. entweder als kausales Ptc. coni.: „ist von oben, weil es … kommt“ (Mußner 1964, 91) oder attributiv zu verstehen: „ist von oben, welches … kommt“ (Johnson 1995, 196). Die periphrastische Deutung stützt sich auf die Wortstellung (Blomberg 2008, 74); für die als Nebensatz spricht, „daß es Jak nicht auf das ‚Herabsteigen‘ ankommt, sondern auf die Herkunft ‚von oben‘“ (Mußner 1964, 91).
vom Vater der Lichter
Gemeint sind wohl die Himmelskörper als natürliche Lichtquellen (vgl. Johnson 1995, 196).
, bei dem es weder Veränderung noch Verfinsterung (Schatten) durch eine (nach einer) Wende
Wörtlich: „[der] Wende (Gen.) Verfinsterung“. Lt. BA war  τροπῆ wohl einmal ein astrologischer Terminus technicus, der wohl „Sonnenwende“ bedeutete. Diese Denotation sei aber in der Koine verloren gegangen.
gibt.
18Aus [freiem] Willen (Weil er [es so] wollte)
Substantivische Auflösung eines kausalen oder modalen Ptz. Aor. Pass. (wörtlich „gewillt habend“).
hat er uns [durch] das Wort der Wahrheit
Dat. instrumentalis.
geboren, damit (um) wir gewissermaßen die Erstlingsgabe seiner Geschöpfe sind.
19Denkt daran (Wisst [dies], Ihr wisst)
So NSS. Wörtlich „Wisst“ (Imp.) oder „Ihr wisst“ (Ind., so Johnson 1995, 198). Hier als Imperativ gedeutet. Alternativ „Wisst dies:“ (Blomberg 2008, 85; Mußner 1964, 99).
, meine geliebten Geschwister: Jeder Mensch soll schnell [dazu bereit] sein zuzuhören, [aber] langsam [bereit] zu sprechen [und] langsam [bereit] zum Zorn.
20Denn [der] Zorn eines Menschen
Hier verwendet der Autor „Mann“ wieder im generischen Sinne als Synomym für „Mensch“ (Blomberg/Kamell).
bewirkt nicht [die] Gerechtigkeit vor Gott
Gen. subi.: also die Gerechtigkeit vor Gott/nach der Gott urteilt. Kann umschrieben werden: „was vor Gott gerecht ist“ (So Lut, EU, NGÜ). Wörtlich „Gerechtigkeit Gottes“ (so bei RevElb, SLT).
.
Alternativ nach NSS: „erfüllt nicht die von Gott gesetzte Gerechtigkeit.“
21Deshalb legt alle Unsauberkeit und übermäßige Schlechtigkeit
Wörtlich: „[alles] Übermaß der Schlechtigkeit“. Die Bedeutung ist eindeutig nicht „alle Schlechtigkeit, die ihr übrig habt“, sondern „von der es so viel gibt“.
ab [und]
Das Verb des ersten Satzteils ist ein Ptz. Aor., das sowohl vorzeitig, als auch gleichzeitig gedeutet werden kann. Deshalb alternativ: „Nachdem/Wenn/Weil ihr ...abgelegt habt“.
nehmt das eingepflanzte Wort, das eure Seelen zu retten vermag, in Bescheidenheit
Oder: „in Freundlichkeit“. Weil dieser Teil im Griechischen zwischen genau zwischen den beiden imperativischen Teilsätzen steht, ist seine Zuordnung nicht ganz klar. Die meisten Übersetzer beziehen es jedoch auf den zweiten Teil (So auch bei Blomberg/Kamell).
auf.
22Aber werdet Täter [des] Wortes und nicht nur [seine] Hörer, die sich selbst betrügen
Attr. od. adv. (modales) Ptz.
!
23Denn wenn jemand Hörer [des] Wortes ist, aber
Adversatives  καί, das entsprechend wiedergegeben wurde.
nicht [sein] Täter, gleicht dieser einem Mann, der sein natürliches Gesicht
Oder: „natürliches Aussehen“ (So NSS). Wörtlich: „Aussehen/Gesicht der Schöpfung“. Dabei handelt es sich um einen Semitismus, der auch einfach mit „Gesicht“ übersetzt werden kann.
in einem Spiegel betrachtet
Attr. Ptz. Das Wort meint nicht ein flüchtiges, sondern ein genaues Betrachten (Blomberg/Kamell). Spiegel in der Antike waren gewöhnlich aus poliertem Metall. Denkbar ist ein Bezug, wonach man sich darin nicht besonders gut erkennen konnte, deshalb musste man schon genauer hinschauen. Andererseits cf. 2Kor 3,18, wo von einem ziemlich klaren Spiegel gesprochen zu werden scheint. Eine kommunikative Übersetzung könnte darum „studiert“ lauten. So auch im nächsten Vers.
Indefiniter Konditionalsatz.
24denn er betrachtet sich
Die ersten drei Verben dieses Satzes stehen eigentlich im gnomischen Aorist/Perfekt.
und geht weg und vergisst sofort, wie er aussah
Wörtlich: „wie er beschaffen war“
.
25Wer sich aber in [das] vollkommene Gesetz der Freiheit vertieft
Wörtlich: „vorbeugt“. Alternativ vorzeitig: „vertieft hat“. Hier wieder gnomisch gedeutet.
und dabei bleibt
Oder vorzeitig: „geblieben ist“
, indem er kein vergesslicher Hörer
Gen. qualitatis. Wörtlich: „Hörer der Vergesslichkeit“
, sondern ein Täter des Werkes [Gottes] wird
Oder vorzeitig: „geworden ist“. Das modale Ptz. Aor. Pass. lässt sich analog zu den vorhergehenden Verben verschieden auflösen.
, der wird durch sein Tun (in seinem Tun) selig sein.
26Wenn jemand gottesfürchtig (fromm) zu sein scheint (meint), aber [dabei]
Eingefügt, um die durativ-iterative Bedeutung des aufgelösten attr. Ptz. Präs. besser zu erfassen.
seine Zunge nicht im Zaum hält, sondern sein Herz betrügt
Attr. Ptz. Präs.
, dessen Gottesverehrung [ist] wertlos.
Indefiniter Konditionalsatz.
27Reine und unbefleckte Gottesverehrung vor [unserem] Gott und Vater besteht darin
Wörtlich: „ist dies“
, Waisen und Witwen in ihrer bedrängten Lage zu besuchen [und] sich selbst vor der Welt unbefleckt (fehlerlos, makellos, untadelig) zu bewahren.
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